Seit Wochen schau ich immer wieder verzückt in eine Dating-Show rein, bei der niemandem ein nacktes Teil irgendwo raushängen muss und Silikon einzig in der Form von hitzeresistenten Küchenhandschuhen vorhanden ist. Jens Büchner oder Daniela Katzenberger haben auch noch nie reingeschaut, und obwohl viel gegessen wird, liegen weder Maden noch Hoden auf den Tellern. Es ist, als wäre die Kelly Family nie mit Musik berühmt geworden, sondern würde irgendwo in der Provinz eine Beiz führen, die ein bisschen ambitionierter ist als Mövenpick und ein bisschen stylisher als Ikea.
Und hier soll Liebe werden? Echt jetzt? An diesem Ort, wo jede Neigung zum Exzess sofort unter buttrigem Kartoffelstampf verschütt geht? Klingt das nicht auf schon perverse Art langweilig? Eines deutschen Privatfernsehsenders geradezu unwürdig? «First Dates – ein Tisch für zwei» ist die Dating-Shows eines Kochs, weil Liebe ja durch den Magen gehen soll und so.
Roland Trettl, der Mann, der schon mit zwei seiner Restaurants einen Michelin-Stern angelte und im Kochwettbewerb «The Taste» der King der Kandidatenherzen ist, begrüsst hier Singles in einer Kölner Restaurantkulisse. Die Kameras, das versichern alle, die schon dort waren, seien dabei so diskret versteckt und ferngesteuert, dass man sie gar nicht bemerke. Und da sitzen sich dann also zwei von der Redaktion füreinander ausgewählte Menschen in einem zivilisierten Setting gegenüber. Zwischen Anfang zwanzig und Mitte siebzig ist alles dabei, die Mehrheit kurz vor oder nach dreissig.
Der adrette Herr Trettl empfängt sie, der schöne Nic, der auch im richtigen Leben ein Barboy ist, mixt einen Drink, auf Barhockern lockern sich Zungen und Stimmung. Überraschend oft werden die Singles die Information, die ihnen am meisten auf der Seele liegt, als erstes los: «Ich bin die Mutter eines Sohn/ der Vater von zwei Töchtern/ schon dreimal geschieden.»
Tatsächlich geht nach einem feinen Dinner das so abwesend wirkende Manga-Nerd-Mädchen mit dem scheuen, übergewichtigen, schwitzenden Teddybären-Männchen aus dem Studio, sie machen einen romantischen Spaziergang am Rhein und sind seither glücklich. Behauptet das Fernsehen jedenfalls. Und die schicke, alleinerziehende Tanzlehrerin fällt fast um, als sie tatsächlich einen Mann mit Bart vorgesetzt kriegt, so sehr hat sie sich immer einen Bärtigen gewünscht! Sein Traumberuf? Kindergärtner! Jackpot! Eine herzigere Verschossenheit als zwischen den beiden sah man selten. Das kommt gut!
Weit öfter entscheiden sich die Zufallspaare aber dazu, einander nicht ein zweites Mal zu sehen. Etwa eine junge Frau, die von einem Mann «Humor und dass er mich unterhalten kann» erwartet, im Gespräch mit ihrem Gegenüber selbst aber kein einziges Wort spricht. Hoffentlich haben die beiden wenigstens das Essen genossen. Es wäre schade gewesen um das zarte Rehfilet.
Der Charme dieser Sendung, die sich um 18 Uhr enorm unauffällig zwischen das Hochzeitskleider-Melodram «Zwischen Tüll und Tränen» und «Das perfekte Dinner» kuschelt, liegt seltsamerweise gerade in der Abwesenheit von allem, was irritierend, peinlich, skandalös sein könnte. Der (ursprünglich vom britischen Channel 4 erfundene) Rahmen ist zwar bis in den letzten Salzstreuer hinein konzipiert, aber die Dialoge sind nicht gescriptet, wirken authentisch und nachvollziehbar. Ich schwöre, aktuell übt auf mich kein anderes Reality-Format im Fernsehen eine derart liebevolle, nachhaltige Anziehungskraft aus.
Hier erröten Menschen noch und ihre Augen beginnen zu glänzen. Eine Sendung wie ein Fenster zur Wirklichkeit der Liebe. Die zart ist, in ihren Anfängen oft unbeholfen, komisch und verwirrend. Wie gut, dass man sich da ab und zu einen leckeren Bissen in den stotternden oder stummen Mund schieben kann. Bon appetit et bonne chance!
«First Dates – ein Tisch für zwei» läuft von Montag bis Freitag um 18 Uhr auf Vox.