Schweiz
Aargau

Gipser verliert nach 16 Jahren die IV-Rente

Gipser geht gegen Halbierung der IV-Rente vor – das ging gründlich in die Hose

Zum Verhängnis werden einem Aargauer IV-Bezüger ein anonymer Anruf – und seine juristische Gegenwehr, obwohl er gewarnt worden war, dass der Entscheid zu seinen Ungunsten ausfallen könnte. Eingliederungsmassnahmen erhält der Mann keine, da der Wille zur Eingliederung fehle.
11.12.2018, 13:38
Manuel Bühlmann / CH MEdia
Mehr «Schweiz»
THEMENBILD ZUR EIDGENOESSISCHEN ABSTIMMUNG ZUR SELBSTBESTIMMUNGSINITIATIVE VOM 25. NOVEMBER --- Le batiment du Tribunal Federal, photographie ce mercredi 28 octobre 2015, a Lausanne.(KEYSTONE/Christia ...
Bild: KEYSTONE

Der Hinweis ging anonym ein: Am Telefon teilte eine Person mit, sie wisse von einem Mann, der Leistungen der Invalidenversicherung (IV) beziehe, obwohl es ihm gesundheitlich gut gehe. Die Zuständigen bei der Aargauer IV-Stelle nahmen den Anruf ernst und liessen den früheren Gipser zwischen Herbst 2015 und Frühling 2016 observieren, an acht Tagen von einem Privatdetektiv. Und was dabei herauskam, erhärtete den Verdacht. Nach einer erneuten Begutachtung durch einen Psychiater wurde die Rente um die Hälfte gekürzt.

Vom kantonalen Versicherungsgericht erhoffte sich der bald 50-Jährige eine Korrektur des Entscheids. Doch als Rückmeldung erhielt er stattdessen die Warnung, das Urteil könne auch zu seinen Ungunsten abgeändert werden – und die Gelegenheit, die Beschwerde zurückzuziehen. Der IV-Bezüger verzichtete auf das Angebot. Ein Fehler, wie er kurz darauf feststellen musste. Denn das Obergericht ging von einer hundertprozentigen Arbeitsfähigkeit aus und strich ihm auch noch die andere Hälfte seiner Rente.

Verzögerungstaktik

Um zu verhindern, erstmals seit 2002 wieder ohne Gelder der IV dazu stehen, zog der Gipser den Entscheid ans Bundesgericht weiter. Er verlangte von der obersten Instanz, ihm weiterhin eine ganze Rente zuzusprechen und die Erkenntnisse der Observation aus den Akten zu entfernen, weil es sich dabei um unzulässige Beweismittel handle. Doch auch der Hinweis auf eine Verletzung seines Anspruchs auf Achtung des Privat- und Familienlebens vermochte die Bundesrichter nicht zu überzeugen. Sie teilen die Ansicht des Aargauer Verwaltungsgerichts, wonach die öffentlichen Interessen höher zu gewichten seien als jene des IV-Bezügers.

Ebenfalls kein Erfolg beschieden war dem Mann mit dem Hinweis auf seinen Gesundheitszustand. Aufgrund einer depressiven Störung sei sein Zustand nach wie vor instabil. Während eineinhalb Monaten habe er sich deswegen Anfang 2018 in einer Klinik behandeln lassen. Die oberste Instanz teilt hingegen die Einschätzung der Aargauer Richter, dass die Schmerzstörung ohne feststellbare organische Ursache sowie die depressive Störung «aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht nicht mehr als invalidisierend erachtet werden». Die Die Folge: Beide Gerichte gehen von einer hundertprozentigen Arbeitsfähigkeit in einer entsprechenden Tätigkeit aus.

Ohne Hilfe zurück in die Arbeitswelt

Ein weiterer strittiger Punkt sind die Eingliederungsmassnahmen, mit denen die Invalidenversicherung unter anderem Menschen mit psychischen Erkrankungen dabei unterstützt, ihre Stelle zu behalten oder den Weg zurück in den Arbeitsmarkt zu schaffen. Der IV-Bezüger macht geltend, ohne Hilfe sei ihm der Wiedereinstieg ins Berufsleben nach über 16 Jahren nicht zumutbar. Nur wer seinen Eingliederungswillen beweist, hat Anspruch auf unterstützende Massnahmen. Einen Willen, den die Richter beim früheren Gipser nicht erkennen. Die Folge: Er erhält keine Eingliederungsmassnahmen zugesprochen – und muss sich selbständig auf Stellensuche machen.

Der Gang vor das Bundesgericht endet für den langjährigen IV-Bezüger auch in anderer Hinsicht mit einer Niederlage: Weil seine Beschwerde als aussichtslos beurteilt wird, erhält er keine unentgeltliche Rechtspflege. Dazu kommen die Gerichtskosten von 800 Franken.

Bundesgerichtsurteil 8C_480/2018 vom 26. November 2018

Das ist den Detektiven mit dem neuen Gesetz erlaubt

Video: watson/Angelina Graf
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
64 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Schlingel
11.12.2018 14:07registriert März 2018
Richtig so. Nähme mich Wunder, wie lange dies schon so lief. Eigentlich müsste man den Herr mit einer saftigen Busse und allfälligen Rückzahlungen bestrafen.
41177
Melden
Zum Kommentar
avatar
fidget
11.12.2018 13:52registriert Dezember 2018
Da kann man nur sagen: "Dieser Schuss ging nach hinten los."
25526
Melden
Zum Kommentar
avatar
Öpfelmues
11.12.2018 14:11registriert März 2017
Tja dann hätte er sich eben um den Wiedereinstieg in das Berufsleben bemühen müssen. Und das bevor er observiert wurde.
22766
Melden
Zum Kommentar
64
SP will Wohnungsminister Parmelin entmachten – jetzt soll Baume-Schneider ran
Wirtschaftsminister Parmelin mache zu wenig gegen Wohnungsnot, findet die SP. Jetzt soll das Bundesamt für Wohnungswesen aus dem Wirtschaftsdepartement herausgelöst und ins Sozialdepartement verschoben werden.

Es war kein sehr schmeichelhaftes Zeugnis für Wirtschaftsminister Guy Parmelin. «So diktierte die Baulobby den «Aktionsplan Wohnungsknappheit», titelte watson letzte Woche, gestützt auf «interne Dokumente». Diese zeigten, dass der SVP-Bundesrat es der Immobilien- und Baulobby von Anfang an habe recht machen wollen. Entsprechend seien die 35 Massnahmen, die aus Parmelins Rundem Tisch resultierten, nicht verpflichtend und noch dazu schwammig.

Zur Story