Seit einem Jahr stresst uns die Corona-Pandemie. Zwar ist Licht am Ende des Tunnels erkennbar. Gleichzeitig aber hat man den Eindruck, der Tunnel werde länger und länger. Wegen den Virus-Mutationen sei die Lage in der Schweiz «äusserst fragil», sagte Anne Lévy, die Direktorin des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), am Dienstag vor den Medien.
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Gleichzeitig steht der Bundesrat unter grossem Druck, die Corona-Massnahmen zu lockern oder ganz aufzuheben. Das Rezept ist bekannt: Es braucht Massentests, um so viele Infizierte wie möglich zu identifizieren und zu isolieren. Und es müssen so viele Menschen so schnell wie möglich geimpft werden. Doch in beiden Bereichen harzt es bedenklich.
Graubünden ist der Vorreiter. Baselland zieht nach, weitere wollen folgen: 17 Kantone hätten dem Bund ein Konzept für Massentests eingereicht, sagte Anne Lévy am Dienstag. Einfach ist das Zusammenspiel offenbar nicht. Martin Bühler, der Leiter der Bündner Teststrategie, bezeichnete es in der SRF-«Tagesschau» diplomatisch als «anspruchsvoll».
Länder wie Dänemark und Österreich setzen auf Massentests, um auch bei steigenden Fallzahlen Öffnungen zu ermöglichen. Zum Einsatz kommen auch Selbsttests für den Hausgebrauch, wie sie etwa Roche anbietet. In Österreich kann die Bevölkerung solche «Nasenbohrer»- oder Wohnzimmer-Tests seit Montag gratis in den Apotheken beziehen.
In Deutschland wurden Selbsttests letzte Woche zugelassen. Sie sollen bei Discountern und in Drogeriemärkten erhältlich sein. Das BAG hingegen tut sich schwer mit der Zulassung:
Das Bundesamt fürchtet mit anderen Worten den Kontrollverlust. Grosse Vorbehalte gibt es auch in Bezug auf die Sensitivität:
Die Bedenken wirken überzogen. Selbsttests könnten auch unter Aufsicht gemacht und bei negativem Befund mit einer Bescheinigung verbunden werden, die den Besuch von Kinos oder Restaurants ermöglicht. Auch lassen sich zumindest Personen mit hoher Virenlast und damit potenzielle Superspreader aufspüren, was die Bedenken zur Qualität relativiert.
Selbsttests seien nach der heute geltenden Regelung in der Schweiz nicht erlaubt, sagte die BAG-Chefin. Man prüfe, ob sich dies ändern lasse. Die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) hat dazu eine klare Meinung, wie sie am Dienstag vor den Medien erklärte: «Ich wäre dankbar, wenn wir die Selbsttests bald auch in der Schweiz hätten.»
Im Dezember brüstete sich das Heilmittelinstitut Swissmedic damit, dass die Schweiz den Impfstoff von Pfizer/Biontech als erstes Land der Welt in einem ordentlichen Verfahren zugelassen habe. Seitdem kam das Vakzin von Moderna hinzu, doch weitere sind in der Schweiz bislang nicht verfügbar, auch nicht der Impfstoff von AstraZeneca.
In der EU ist er bereits zugelassen. Bislang gab es Vorbehalte gegenüber der Qualität, doch Zahlen aus Grossbritannien, wo der an der Universität Oxford entwickelte Impfstoff im grossen Stil eingesetzt wird und die Mutante B.1.1.7 das Infektionsgeschehen dominiert, sind ermutigend. Schon die erste Dosis erzeugt demnach eine hohe Schutzwirkung.
Das hat man in anderen Ländern zur Kenntnis genommen. Frankreich hat AstraZeneca am Montag für über 65-Jährige zugelassen. Deutschland will nachziehen. Dort liegen hunderttausende Ampullen ungenutzt herum, weshalb gefordert wurde, Bundeskanzlerin Angela Merkel solle sich live am Fernsehen mit AstraZeneca impfen lassen (sie lehnte ab).
In der Schweiz befindet sich das Vakzin des britisch-schwedischen Herstellers nach wie vor im Prüfmodus. Swissmedic wartet auf eine Studie aus den USA und «versteckt» sich dabei hinter der US-Zulassungsbehörde FDA. Und das BAG «versteckt» sich hinter Swissmedic und verspricht eine Entscheidung «in den nächsten Wochen».
Die Schweiz hat 5,3 Millionen Dosen bei AstraZeneca bestellt. Einen Bericht der «NZZ am Sonntag», wonach der Bund einen Weiterverkauf prüfe, hat das BAG dementiert. Es fällt jedoch auf, dass es auch bei der Beschaffung von weiteren Impfstoffen zögert, etwa jenem des US-Mischkonzerns Johnson & Johnson oder dem russischen Sputnik V.
Sie gelten als weniger wirksam als die mRNA-Impfstoffe von Pfizer/Biontech und Moderna. Ihnen wird eine Schutzwirkung von über 90 Prozent bescheinigt. Die Schweiz setze verstärkt auf solche Impfstoffe, bestätigte Christoph Berger, Präsident der Kommission für Impffragen, in der NZZ. Andere dürften «keine grosse Rolle spielen».
Also hofft man auf einen weiteren mRNA-Impfstoff des deutschen Biotech-Unternehmens Curevac, obwohl ein Gesuch in der Schweiz frühestens im April eingehen dürfte (in der EU wird er bereits im beschleunigten Verfahren geprüft). Ein «pfannenfertiger» Impfstoff wie AstraZenca dagegen wird verschmäht, trotz den tollen Resultaten aus Grossbritannien.
AstraZeneca solle «sofort zugelassen werden», fordern die Tamedia-Zeitungen: «Jetzt kann ein dritter Impfstoff Leben retten und den Beginn einer dritten Welle abwenden helfen.» Noch ist die Schweiz beim Impfen relativ gut unterwegs, aber sie droht zurückzufallen. Selbst das Versprechen eines Angebots für alle Impfwilligen bis Ende Juni lässt sich so kaum erfüllen.
Was ist los in Bern? Warum geht es bei den Tests und den Impfungen nicht vorwärts? Zwei Erklärungen drängen sich auf. Da ist zum einen der helvetische Perfektionsdrang. Nur das Beste ist gut genug. Dabei müsste in der aktuellen Lage jedes Test- und Impfmittel recht sein, mit dem sich Todesfälle und die Belastung der Gesundheitssysteme reduzieren lassen.
Der zweite Punkt ist die Angst vor Fehlern, eine Nullrisiko-Mentalität. Die Schweiz war auf die Pandemie aus eigenem Verschulden miserabel vorbereitet. Unvergessen bleibt die Behauptung von Daniel Koch, Masken böten keinen wirksamen Schutz gegen das Virus. Und heute wird man gebüsst, wenn man gegen die Maskenpflicht verstösst.
Mit dieser Einstellung droht der Bund den Tunnel weiter zu verlängern und das Ende des Lockdowns zu verzögern. Die Schweiz braucht Selbsttests und zusätzliche Impfstoffe. Keine Fehler machen zu wollen ist in dieser Situation der grösste Fehler überhaupt.
Nichts ist teurer als ein Tag Lockdown und Pandemie: Gesundheitlich, wirtschaftlich, sozial, politisch.
Und wenn wir 100 Franken pro Impfung bezahlen würden und pro Person 3 Test pro Woche durchliessen, es kämme langfristig immer noch billiger.
Der Fokus sollte auf diesem "Versagen" (überspitzt) liegen, das langsame Testen und Impfen und nicht dem leiden Kleinkrieg zwischen Parlament und Bundesrat oder den elenden Diskussionen rund um die Schule, die Terrassen oder den Skigebieten.