Israel hat kapituliert. Was die Feinde des jüdischen Staates mit Waffengewalt nie geschafft haben, hat ein winziges Virus vollbracht. Nach einem wochenlangen Kampf gegen steigende Coronazahlen musste die Regierung am Sonntag den Rückzug befehlen, den sie unbedingt vermeiden wollte: Ab Freitag tritt erneut ein landesweiter Lockdown in Kraft.
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Im Frühjahr galt Israel als Musterland bei der Corona-Bekämpfung. Bereits Anfang März wurde eine 14-tägige Quarantäne verfügt für Reisende aus zahlreichen Ländern, darunter die Schweiz. Erst am 11. März konnte sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dazu durchringen, den Covid-19-Ausbruch offiziell zu einer Pandemie zu erklären.
Sechs Monate sind seither vergangen. Die menschliche Wahrnehmung ist wie so oft sehr unterschiedlich. Während die einen das Gefühl haben, der Corona-Ausnahmezustand habe gerade erst begonnen, dauert er für andere schon eine Ewigkeit. Und nicht wenige haben nach einem relativ lockeren Sommer das Gefühl, der Spuk sei eigentlich vorbei.
Dabei steigen die Fallzahlen in Europa wieder an und zwar auch in Ländern, die sich im Frühjahr vorbildlich geschlagen hatten. Dazu gehörte neben Israel auch Österreich, trotz des Après-Ski-Debakels in Ischgl. Nun schlägt Bundeskanzler Sebastian Kurz Alarm. «Was wir gerade erleben, ist der Beginn der zweiten Welle», teilte er am Sonntag mit.
Schwierig ist die Lage auch in Ländern, die schon im Frühjahr stark gelitten hatten, wie Frankreich und Spanien. Und der kalendarische Herbst beginnt erst nächste Woche. Dennoch bleibt es (noch) ruhig, weil trotz der zunehmenden Corona-Fälle die Zahl der Spitaleinweisungen und Todesopfer viel tiefer ist als auf dem Höhepunkt der ersten Welle.
Liegt das daran, dass sich vor allem junge Menschen anstecken? Oder hat sich das Virus abgeschwächt? Experten sehen dafür keine Anhaltspunkte, dafür gibt es beunruhigende Hinweise, dass sich die Älteren wieder vermehrt infizieren. Damit scheint sich jenes Szenario zu bewahrheiten, vor dem etwa die Basler Biologin Emma Hodcroft gewarnt hat.
Was bedeutet das für die Schweiz? Sie hat vieles, wenn auch längst nicht alles richtig gemacht. Am 28. Februar hatte der Bundesrat Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen verboten und damit ebenfalls Pionierarbeit geleistet. Genützt hatte es wenig, weshalb am 16. März die ausserordentliche Lage und damit der Lockdown verfügt wurde.
Der Bundesrat hat sich diese Entscheide keineswegs leicht gemacht, wie Justizministerin Karin Keller-Sutter im Interview mit watson erklärte:
Mit sechs Monaten Abstand bestätigt sich die Annahme, dass der Bundesrat wohl gerade rechtzeitig die Notbremse gezogen hat, um katastrophale Zustände in den Spitälern zu verhindern. Selbst in der Westschweiz und im Tessin, wo die Lage zeitweise sehr angespannt war, kam es nie zu dramatischen Szenen wie in Bergamo in der Lombardei.
Drei Monate später, am 19. Juni, kehrte der Bundesrat von der ausserordentlichen in die besondere Lage zurück. Der Lockdown war zu jenem Zeitpunkt bereits Vergangenheit, die Schweiz hat im internationalen Vergleich ein sehr forsches Öffnungstempo vorgelegt. Bislang ging es gut, doch die Fallzahlen steigen auch bei uns kontinuierlich an.
Einzelne Massnahmen wurden zurückgenommen und in einigen Bereichen eine Maskenpflicht eingeführt. Gleichzeitig ist eine Corona-Müdigkeit nicht zu übersehen. Das zeigt sich auch in den watson-Kommentaren: Wurde man im Frühjahr gescholten, wenn man den Bundesrat kritisierte, so ist dies heute eher der Fall, wenn man zu Vorsicht mahnt.
Wir wollen unser altes Leben zurück und im schönen und warmen Sommer haben wir das auch ein gutes Stück weit geschafft. Vielleicht sind die Corona-Skeptiker – ein bunter Haufen unterschiedlich motivierter Menschen – deshalb bei uns eine Randerscheinung geblieben. Die grosse Mehrheit der Bevölkerung stützt die Politik des Bundesrats.
Selbst als er mit Notrecht regierte, war die Schweiz nicht einmal annähernd eine Diktatur, auch wenn das gewisse Corona-Rebellen behaupten. Sämtliche Institutionen waren voll funktionsfähig. Es ist nicht die Schuld des Bundesrats, dass das Parlament in den ersten Wochen die Arbeit verweigert hatte und die Kantone überfordert waren.
Natürlich wurden im Vorfeld Fehler gemacht, wie der letzte Woche ausgestrahlte SRF-Dokfilm zeigt, der allerdings von einer besserwisserischen «Im Nachhinein ist man immer schlauer»-Tonalität geprägt war. Und man wird den Verdacht nicht los, dass das Contact Tracing der Kantone bei einer weiteren Zunahme der Fallzahlen irgendwann implodiert. Die Entwicklung im Kanton Waadt jedenfalls gibt allen Grund zur Besorgnis.
Denn über den Berg sind die Welt und damit auch die Schweiz nicht. Sie begibt sich vielmehr auf ein abschüssiges Terrain, mit erhöhter Absturzgefahr. Während immer mehr Länder auf die Bremse treten, bleibt sie locker. Am Montag wurde der physische Lehrbetrieb an den Hochschulen wieder aufgenommen und ab Oktober sind Grossveranstaltungen mit mehreren Tausend Teilnehmern wieder zugelassen.
Manche Experten erfasst deswegen das Grauen. So hat die konservative Regierung in Grossbritannien, dem von der Pandemie am stärksten getroffenen Land in Europa, letzte Woche Versammlungen mit mehr als sechs Personen verboten, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Die Schweiz aber will ab Oktober exakt in die andere Richtung gehen.
Im Bundesrat ist man sich des Risikos bewusst, wie Karin Keller-Sutter im Interview sagte:
Wirtschaftliche Erwägungen hätten in der Schweiz Vorrang gegenüber epidemiologischen Bedenken, befand die «Financial Times». Suzanne Suggs, eine Professorin an der Universität der italienischen Schweiz in Lugano, hob in der Wirtschaftszeitung den Warnfinger: «Alle haben genug von der Pandemie und wollen, dass das Virus verschwindet. Aber es hat nicht genug von uns.»
Und wo stehen sie heute da? Katastrophal schlecht.
Sollen das etwa Vorbilder sein für die Schweiz?
Und wo steht Schweden heute da? Extrem gut, wenn man die Entwicklung der Neuinfektionen über die letzten 2 Monate anschaut.
Ich plädiere deshalb ganz klar für einen Kurs Schweden (wenn auch mit einer Prise Vorsicht versehen).
Aber wir hatten nicht wie in Italien, China oder sonst wo die "Anordnung" zuhause bleiben ZU MÜSSEN. Wir konnten jederzeit raus in die Natur, spazieren etc. Wir hatten eine freie Freiheit. Wir hatten einfach flankierende Massnahmen welche die Grenzen unserer Freiheit teilweise aufzeigten aber so? Es war ok.
In den Kanton Waadt darf man, aber nach den Ferien muss man in Quarantäne. Während dieser darf man nicht raus, auch nicht auf einen Spaziergang, obwohl man auf dem Land lebt. Im Zug muss man eine Maske tragen, aber nachts werden maskenlos Parties gefeiert und toleriert.