Warteschlangen vor Baumärkten, Gartencentern und vor Coiffeursalons ohne Voranmeldung: Viele Menschen in der Schweiz waren am Montagmorgen froh, dass sie Dinge erledigen konnten, die sechs lange Wochen nicht mehr möglich waren. Die vorsichtige Lockerung des Corona-Lockdowns hat begonnen, und die Bevölkerung scheint die Abstands-Vorgaben einzuhalten.
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Auch am einmal mehr schönen Wochenende verhielten sich die Menschen diszipliniert. Bei manchen Jungen allerdings scheint der Geduldsfaden langsam zu reissen. Dabei haben die Wochen der Wahrheit gerade begonnen. Nur wenn die Zahl der Virusinfektionen nicht wieder ansteigt, können die nächsten Öffnungsschritte in Angriff genommen werden.
Im schlechtesten Fall kommt die zweite Welle und ein erneuter Lockdown. Gefordert sind diverse Akteure. Was ist zu erwarten? Und was liegt für noch nicht berücksichtigte Bereiche drin?
Die Landesregierung hatte die Krise lange im Griff, doch bei der Vorbereitung der Lockerungen hat sie nicht stilsicher agiert. Die Kommunikation war mangelhaft und die betroffenen Branchen und Verbände wurden zu wenig einbezogen. Eine Folge war der peinliche Rückzieher bei den Ladenöffnungen, mit dem der Bundesrat den Vertrauensverlust nur halbwegs reparieren konnte.
Über den Zusammenhalt im Bundesrat kursieren unterschiedliche Interpretationen. Differenzen wären in einer solchen Krise jedoch normal, und gegen aussen tritt der Bundesrat nach wie vor bemerkenswert geschlossen auf. Selbst Finanzminister Ueli Maurer, der als grösster Lockdown-Gegner gilt, soll die Linie des Bundesrat in den Parlamentskommissionen loyal vertreten.
In den nun folgenden schwierigen Wochen muss der Bundesrat das vorleben, was er der Bevölkerung einbläut: nicht nachlassen. Dazu muss er die von den Massnahmen Betroffenen besser einbeziehen. Ein Anfang wurde am Sonntag gemacht, als er die Vertreter von Gastronomie und Tourismus zu einem zweistündigen «Gipfeltreffen» empfing.
Der Sonntag im Zeichen des Gesprächs: zusammen mit @alain_berset und @s_sommaruga spreche ich mit der #Tourismusbranche und den #Sozialpartnern. Fazit: gegenseitig gutes Einvernehmen und Verständnis. Es braucht noch mehr #Planungssicherheit und #Kommunikation. #CoronaInfoCH pic.twitter.com/rC9L73kmvJ
— Guy Parmelin (@ParmelinG) April 26, 2020
Bei Wirten und Hoteliers war der Frust über den Bundesrat besonders gross. Nun hat ihnen Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga gewisse Perspektiven aufgezeigt. So könnte schon am 11. Mai eine gewisse Öffnung in der Gastronomie möglich sein. In der «NZZ am Sonntag» werden konkret Gartenbeizen und Tea-Rooms (gibt es so etwas überhaupt noch?) erwähnt.
Bleibt das Virus unter Kontrolle, ist laut Sommaruga bei der dritten Lockerungsetappe am 8. Juni «einiges möglich». Darauf wartet vor allem die Hotellerie mit Blick auf die Sommersaison und die dieses Jahr wohl ausbleibenden ausländischen Touristen sehnlichst. Wobei vor allem in den Berggebieten auch das Gesamtpaket (offene Seilbahnen und Restaurants) stimmen muss.
«Kampfpreise» sind am ehesten in den Städten zu erwarten, die in den letzten Jahren geboomt und das Zimmerangebot teilweise stark erweitert haben. Nun werden viele Gäste fehlen, nicht zuletzt Geschäftsleute. Angesichts dieser Perspektiven versicherten Branchenvertreter dem Bundesrat, alle notwendigen Massnahmen zum Schutz von Kundschaft und Mitarbeitenden zu ergreifen.
Der Bundesrat wird vermutlich am Mittwoch das weitere Vorgehen im Hinblick auf Grossveranstaltungen bekannt geben. Sein zögerliches Verhalten verteidigen ihm wohlgesinnte Stimmen mit dem Argument, er wolle für die Branche alle Optionen offen lassen. Falls sich die Infektionskurve positiv entwickle, liege im Spätsommer noch der eine oder andere Anlass drin.
Den grossen Open-Airs und Konzerten hilft dies wenig. Veranstalter-Legende André Béchir sprach im Interview Klartext: «Grosskonzerte 2020 sind eine Illusion, kleine Konzerte eventuell.» Mit eingeschränkter Kapazität könnten «bestuhlte» Events, zu denen auch Sportveranstaltungen zählen, möglich sein. Aber auch in diesem Fall sind Probleme wie der Zu- und Weggang zu lösen
Ab Anfang Mai sollen Aktivitäten ohne Körperkontakt wie Tennis oder Golf wieder stattfinden können, kündigte Sportministerin Viola Amherd letzte Woche an. Im Verlauf des Monats könnten auch Mannschaftstrainings wieder möglich sein. Entsprechende Informationen soll es am Mittwoch geben. Könnte in diesem Fall die Fussballsaison doch noch zu Ende gespielt werden?
Theoretisch könnte dies sogar vor Publikum erfolgen, wenn auch mit weniger Fans als gewöhnlich und ohne Stehrampen. Daraus ergeben sich Fragen: Wer darf ins Stadion? Wie regelt man die Ein- und Ausgänge? Was ist mit den Pausen? Eine Corona-kompatible Lösung ist schwierig, weshalb die Aussichten für das Sportjahr 2020 wenig erfreulich bleiben.
Am 11. Mai solle der Unterricht an den obligatorischen Schulen wieder starten. Ein erstes Konzept des Bundes sieht offenbar vor, dass für Kinder unter 10 Jahren keine Distanzregeln gelten sollen. In Dänemark, das die Schulen nach Ostern teilweise geöffnet hat, gelten hingegen laut der «NZZ am Sonntag» strikte Abstandsregeln. Ausgenommen seien lediglich Fünfergruppen.
Am Mittwoch könnten weitere Konkretisierungen folgen. Die Ausarbeitung des Öffnungskonzepts erfolgt mit den Kantonen, damit diese möglichst geschlossen agieren. Was nicht ganz einfach ist, wie etwa die Kontroverse um die Maturitätsprüfungen zeigt. Wenn alles gut geht, sollen am 8. Juni auch die Mittel-, Berufs- und Hochschulen den Präsenzunterricht wieder aufnehmen.
Die Kantone sind ohnehin eine Knacknuss für den Bundesrat. Die Romandie und das Tessin wurden von der Covid-Epidemie stärker getroffen als die Deutschschweiz und drängen deshalb auf eine vorsichtigere Lockerung. Eine weiterer Punkt sind die Grenzkontrollen: Der Bundesrat erwägt laut den Sonntagsmedien eine vorsichtige Öffnung, primär für Fachkräfte und Familienmitglieder.
Justizministerin Karin Keller-Sutter will die Grenzfrage laut der «NZZ am Sonntag» mit den Nachbarländern koordinieren. Auch dort sind Lockerungen vorgesehen oder eingeführt worden. In ganz Europa sind «Wochen der Wahrheit» angesagt, denn obwohl die Nationalstaaten vor allem für sich schauen, kann kein Land die Coronakrise allein bewältigen – auch die Schweiz nicht.
Herz = volles Vertrauen
Blitz = kein Vertrauen
Erklären warum es zwischen kaum betroffenen Orten wie z.B. Basel/Lörrach oder Kreuzlingen/Konstanz eine harte Grenze braucht aber "alle" Deutschweizer unkontrolliert in Kantone mit hohen Fallzahlen wie Tessin, Waadt, Genf reisen können, werden sie Schreihälse natürlich nicht.