Die Schweiz stimmt mit dem Portemonnaie ab. So lautet eine Binsenweisheit, die in der Politik lange Allgemeingut war. Heute trifft sie nicht mehr so eindeutig zu. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Mehrheit des Stimmvolks wie eine Schafherde den Vorgaben der Wirtschaft folgte. Beim CO2-Gesetz aber könnte sie erneut verfangen.
Das zeigen die letzten Umfragen vor der Abstimmung am 13. Juni. Während sich bei den Agrarinitiativen der Nein-Trend verstärkt hat und sich beim Anti-Terror- und beim Covid-19-Gesetz ein solides Ja abzeichnet, wird der Endspurt beim CO2-Gesetz zu einer Zitterpartie. Die voll auf das Portemonnaie zielende Kampagne der Gegner ist nicht ohne Wirkung geblieben.
Bei den Befürwortern ist die Nervosität mit Händen zu greifen. Das zeigen Gespräche am Rand der Sommersession in Bern. Sie hadern mit dem Bundesrat, weil er die beiden kontroversen Agrarinitiativen ohne Dringlichkeit am selben Termin traktandiert hat wie das CO2-Gesetz. Damit habe er den Nein-Trend in der Landbevölkerung verstärkt.
Gegessen aber ist nichts, denn die Umfragen sind gegenläufig. Bei SRG/GFS hat sich die Ablehnung verstärkt, während in der dritten Tamedia-Welle das Ja leicht zulegen konnte. Die positive Interpretation lautet, dass es zu einer gewissen Konsolidierung gekommen ist. Einen gefestigten Trend aber gibt es nicht, weshalb ein Nein weiterhin möglich ist.
Was sind die Gründe dafür, dass sich das CO2-Gesetz auf der Kippe befindet?
Die Befürworter haben es nicht geschafft, den vom Klimastreik erzeugten Schwung zu nutzen. Dabei müssen sie sich an der eigenen Nase nehmen. Ihre Kampagne wirkt verkopft und abstrakt. Die Gegner, angeführt von der SVP, schüren hingegen hemmungslos die Ängste vor höheren Mieten sowie einer Verteuerung des Autofahrens und Fliegens.
Erst in den letzten Tagen setzt das Ja-Lager verstärkt auf Emotionen. In seiner neuesten Plakatkampagne attackiert es die Öllobby. Die «Eltern fürs Klima» erinnern mit Flyern im Postkarten-Look an die Verantwortung «für die Zukunft unserer Kinder». Ausserdem sollen Testimonials von Promis aus Kultur und Sport den Nein-Trend brechen.
Die Bauern leiden unter dem immer trockeneren Sommerwetter. In den Bergen schmelzen die Gletscher und rutschen die Hänge. Trotzdem hat sich in der zweiten SRG-Umfrage die Ablehnung in der ländlichen Bevölkerung deutlich verstärkt, von 38 auf 53 Prozent. Bei ihr fällt das Kostenargument der Gegner auf besonders fruchtbaren Boden.
Die Städter hingegen sagen klar Ja zum CO2-Gesetz. Dabei werden sie unter dem Strich mehr bezahlen müssen als die Menschen auf dem Land, zeigt ein Faktencheck der NZZ. Denn Städter fliegen häufiger, und auf dem Land heizen die Leute öfter mit Holz als mit Öl oder Gas. Das ist für das Klima nicht nur positiv, aber sie zahlen keine CO2-Abgabe.
Die Alten stimmen in der Regel konservativer als die Jungen. Ausgerechnet beim CO2-Gesetz ist das nicht der Fall. Eine Mehrheit der über 65-Jährigen sagt Ja, während überraschend viele Junge dagegen sind. Das betrifft nur zu einem kleinen Teil jene radikale Minderheit in der Klimastreikbewegung, der das Gesetz zu wenig weit geht.
Die Differenzen zwischen Alt und Jung haben sich in den letzten Umfragen nivelliert. Eine Erklärung für die Zustimmung bei den Senioren könnte eine gewisse Reue sein für den «Klimaschaden», den sie angerichtet haben. Während umgekehrt viele Junge das Problem erkennen, sich aber das Dolce Vita mit Billigflügen nicht nehmen lassen wollen.
Die Fronten sind ziemlich klar abgesteckt: Das rotgrüne Lager (inklusive Grünliberale) ist sehr deutlich für das CO2-Gesetz, die SVP-Basis lehnt es ab. Die Mitte-Wählerschaft tendiert mehr (SRG) oder weniger (Tamedia) stark zum Ja. «Sorgenkinder» bleiben die Wählerinnen und Wähler der FDP. Befürworter und Gegner halten sich die Waage.
Der «Klimawandel» der FDP im Parlament scheint an der Basis nur bedingt anzukommen. Die Parteispitze wirbt deshalb mit Inseraten für ein Ja. Nicht ohne Erfolg, in den neuesten Umfragen wollen deutlich mehr Freisinnige als zuvor sicher mit Ja stimmen. Letztlich geht es auch um die Glaubwürdigkeit der Partei – und von Präsidentin Petra Gössi.
Am 13. Juni könnte es auf eine simple Frage hinauslaufen: Portemonnaie oder Klimaschutz? Anerkennt das Stimmvolk, dass etwas geschehen muss und die Schweizer Bevölkerung mit ihrem wenig nachhaltigen Lebensstil nicht abseitsstehen kann? Dass die Schweiz die Ziele des von ihr ratifizierten Pariser Abkommens einhalten muss und Klimaschutz nicht gratis ist?
Oder siegen die Bedenken wegen den Kosten, verstärkt durch den Wunsch, nach den «Entbehrungen» der Corona-Pandemie das Leben wieder geniessen zu dürfen? «Das Klimaproblem lösen wir nicht über Steuern und Abgaben, sondern über Innovation», lautet das mit Abstand wichtigste Nein-Argument in der dritten Tamedia-Befragung.
Allerdings muss auch diese Innovation bezahlt werden. Und dafür ist das Verursacherprinzip (höherer Benzinpreis, Flugticketabgabe), bei dem wir die Belastung des Portemonnaies zu einem gewissen Grad selber steuern können, vielleicht besser geeignet als Subventionen aus Steuergeldern. Jetzt muss sich diese Erkenntnis nur noch durchsetzen.
Man kann nicht beides haben - mit viel Öl die schlecht gedämmte Hütte heizen, mit dem dicken SUV vom Dorf in die Stadt cruisen UND Geld vom Staat einsammeln weil man zB. unter Dürre leidet. Mir ist klar das es jetzt Blitze hagelt und die Landbevölkerung aufschreien wird, aber so ist es nunmal. Hinterfragt euch doch einfach mal!