Aussergewöhnliche Zeiten verlangen aussergewöhnliche Massnahmen. So können National- und Ständerat die bis Donnerstag angesetzte Sondersession zur Coronakrise nicht im gewohnten Rahmen durchführen. Die Verhältnisse im Parlamentsgebäude sind zu eng. Also weicht man in die Messehallen der BernExpo aus, wo die Abstandsregeln eingehalten werden können.
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Erstmals seit der Herbstsession 2006 in Flims GR tagt das Parlament damit ausserhalb der «heiligen Hallen» des Bundeshauses. Und bereits steht fest, dass auch die Sommersession im Juni in der BernExpo stattfinden wird. Dann werden wieder «reguläre» Geschäfte traktandiert sein, denn in der Sondersession beschäftigen sich die Räte ausschliesslich mit den Folgen der Krise.
Das Parlament kann sich erstmals zu den Notrechtsmassnahmen äussern, die der Bundesrat zur Bekämpfung des Coronavirus ergriffen hat. Diese sind umfangreich, was sich auf das Sessionsprogramm auswirkt. Die vorberatenden Kommissionen haben mehr als 40 Vorstösse verabschiedet, mit zusätzlichen Forderungen an den Bundesrat. Was ist konkret zu erwarten?
Im Grundsatz wird das Parlament die Linie des Bundesrats bestätigen. Forderungen nach einer rascheren Lockerung des Lockdown werden keine Chance haben, denn der Bundesrat hat ihnen mit der beschleunigten Öffnung am 11. Mai faktisch den Wind aus den Segeln genommen. Kaum bestritten ist auch die grösste Teilmobilmachung der Armee seit dem Zweiten Weltkrieg.
Der gewichtigste Brocken sind die Kredite von insgesamt 55 Milliarden Franken. Ein grosser Teil davon entfällt auf Bürgschaften des Bundes für die KMU-Kredite der Banken. Auch hier ist eine breite Zustimmung absehbar. Die Anträge der SVP, den Kredit für die Beschaffung von Sanitätsmaterial zu kürzen und die Soforthilfe für Kulturschaffende ganz zu streichen, dürften chancenlos sein.
Allenfalls wird das Parlament die Unterstützung für den Tourismus aufstocken. Es hat sich schon in der Vergangenheit in diesem Bereich grosszügig gezeigt. Bei einigen Punkten sind harte Debatten absehbar, denn die Meinungen von Bundesrat und Parlament gehen auseinander:
Die Kinderbetreuung ist in Zeiten von Homeoffice und Homeschooling ein grosses Thema. Der Bundesrat hat die Kitas als systemrelevant eingestuft – jedoch nur für die Kinder von Eltern, die selbst systemrelevante Jobs ausüben. Das hat gravierende Folgen, wie die NZZ berichtet: «70 Prozent der Schweizer Kitas überleben ohne finanzielle Hilfe maximal drei Monate.»
Wer seine Kinder nicht in die Kita bringen kann, zahlt häufig die Beiträge nicht mehr. Dennoch ist der Bundesrat gegen eine finanzielle Unterstützung. Er will die Kantone und Gemeinden in die Pflicht nehmen. Die Bildungskommissionen sehen das anders. Die Nationalratskommission verlangt 100 Millionen Franken für die Kitas, die Ständeratskommission 65 Millionen.
Prognose: Die Kita-Hilfe kommt durch, wahrscheinlich in der Variante des Ständerats.
Die Hilfskredite der Banken für die KMU sind eine zweischneidige Angelegenheit. Sie helfen bei kurzfristigen Liquiditätsengpässen, doch viele Betriebe fürchten, in eine Schuldenfalle zu geraten. Verschiedene Vorstösse verlangen, dass die Kredite nicht nur für fünf, sondern für acht Jahre verbürgt werden und generell zinsfrei sein sollen. Der Bundesrat lehnt beide Massnahmen ab.
Prognose: Die Vorstösse werden angenommen.
Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga wollte die unter der Krise leidenden Medien laut der «Wochenzeitung» mit 78 Millionen Franken unterstützen. Sie lief im Bundesrat auf. Nun fordern die Kommissionen für Verkehr und Fernmeldewesen Soforthilfe unter anderem für die Nachrichtenagentur Keystone-SDA und die Zeitungszustellung. Der Bundesrat will davon nichts wissen.
Prognose: Die Vorstösse werden abgelehnt, weil der Bundesrat am letzten Mittwoch ohnehin ein Massnahmenpaket zur finanziellen Unterstützung der Medien verabschiedet hat.
Ein heisses Eisen ist die Frage, ob Firmen, die Kurzarbeit beantragt haben, eine Dividende ausschütten dürfen. Die Sozialkommission des Nationalrats will dies mit einer Motion verhindern. Der Bundesrat lehnt sie ab, aus grundsätzlichen Erwägungen (Notrecht sei in diesem Fall nicht anwendbar), und weil die Kurzarbeitsentschädigung eine Versicherungsleistung sei und keine Subvention.
Prognose: Das Dividendenverbot scheitert an den bürgerlichen Mehrheiten in beiden Räten.
Viele Laden- und Restaurantbetreiber beklagen sich, dass sie für ihre Lokalitäten den vollen Mietzins bezahlen müssen, obwohl sie kaum noch Umsätze erzielen. Die Wirtschaftskommission des Nationalrats verlangt deshalb, dass geschlossene Betriebe dem Vermieter nur 30 Prozent der Miete schulden. Die «Schwesterkommission» des Ständerats hat abweichende Vorstellungen.
Sie verlangt mit einer Motion, kleineren Betrieben die Miete während zwei Monaten gänzlich zu erlassen. Grösseren Betrieben soll der Bund während dieser Zeit maximal einen Drittel der Miete bezahlen, wenn es zu einer Einigung zwischen Mieter und Vermieter kommt. Der Bundesrat ist gegen diese Forderungen. Er ist einzig zu einer Verlängerung der Zahlungsfrist bereit.
Prognose: Eine Entlastung der Mieter ist an sich mehrheitsfähig. Die Immobilienbranche dürfte allerdings massiv dagegen lobbyieren, deshalb bleibt eine Zustimmung fraglich.
Eine harte Debatte ist zum Verpflichtungskredit von 1,275 Milliarden Franken für die Airlines Swiss und Edelweiss zu erwarten. Linke und Grüne wollen ihn mit Massnahmen zum Klimaschutz verknüpfen, wofür sie in den Finanzkommissionen eine Mehrheit gefunden haben. Weitere 600 Millionen Franken sollen für flugnahe Betriebe wie Gategourmet und Swissport fliessen.
Prognose: Die Kredite werden durchgewinkt, aber zum Klimaschutz wird es höchstens unverbindliche Vorgaben geben. Die Grünen und die Klimastreikbewegung drohen bereits mit einem Referendum.