Schweiz
Coronavirus

Coronavirus: Diese 8 Mängel will der Bund bis zur nächsten Krise beheben

Fehler im Corona-Management – diese 8 Mängel will der Bund bis zur nächsten Krise beheben

Erstmals legt ein Bericht des Bundes offen, was beim Corona-Krisenmanagement schief lief - und wo es Verbesserungspotential gibt. Eine Geschichte zu schlecht informierten Kantonen, fehlenden Daten und heiklen Angaben zu Grosseltern und Enkeln.
16.12.2020, 05:23
lucien fluri / ch media
Mehr «Schweiz»
Bundesraetin Viola Amherd, zweite-links, spricht an der Seite von Bundesrat Ueli Maurer,, links, Bundesrat Alain Berset, zweite-rechts, und Vizekanzler Andre Simonazzi, Bundesratssprecher, rechts, wae ...
Haben die Krise laut einem Bericht effizient gemanagt, haben aber noch Verbesserungspotential in einigen Punkten: Die Bundesrätinnen und Bundesräte.Bild: keystone

Fehler: Die gibt es überall. Aber der Bundesrat hat nie öffentlich darüber gesprochen, was er in der Coronakrise falsch gemacht hat. Ob die Maskenfrage oder andere Entscheide: Bei ihren Auftritten versuchte die Landesregierung den Eindruck zu erwecken, dass sie zu jeder Zeit alles im Griff hatte.

>>> Coronavirus: Alle News im Liveticker.

Jetzt liegt allerdings ein Dokument vor, das zeigt, wo es im Krisenmanagement haperte. Es ist ein bisher nicht beachteter, am Freitag vom Bundesrat abgesegneter Bericht, den die Bundeskanzlei erstellen liess. Sie will für eine nächste Krise besser gerüstet sein. Untersucht wurde das Handeln in der ersten Coronawelle, von Februar bis August. Grundsätzlich fällt das Fazit positiv aus. Das Krisenmanagement sei effektiv gewesen und habe sich bewährt. Er zeigt aber auch Versäumnisse auf – und dass es manchmal einfach nur darauf ankam, wer zu wem gute Kontakte pflegte.

Verbesserungspotential gibt es in folgenden Punkten:

Der übergeordnete Führungsstab fehlte

In der Krise handelten vor allem die Krisenstäbe der Departemente und der BAG-interne Krisenstab. Zwar gab es übergeordnete Krisenstäbe wie der Krisenstab des Bundes zu Corona und der Bundesstab Bevölkerungsschutz. Diese hätten jedoch zu wenig klar definierte Kompetenzen gehabt, seien zu gross gewesen und hätten so ihre Führungsaufgabe nicht wahrnehmen können, heisst es im Bericht. «Der Departementalismus und das Silodenken nahmen im Krisenmanagement der Bundesverwaltung mit zunehmender Dauer der Krise zu.» Der Informationsfluss zwischen den einzelnen Departementen fand teils nicht genügend statt.

Daten aus dem Fax-Zeitalter

Erstmals gibt der Bund konkret Einblick, wie chaotisch die Datensammlung war. «Zu Beginn der Krise lagen den Gremien der Bundesverwaltung die notwendigen, entscheidungsrelevanten Informationen nicht schnell genug vor», heisst es. Teils kamen die Daten noch per Fax. Gar «chaotisch» sei es gewesen, an die Daten von Spitälern zu kommen. «Die Daten zur Anzahl infizierter Personen oder zur Anzahl Intensivbetten etwa mussten erst zusammengestellt und aufbereitet werden», schreibt der Bund. Die Erkenntnis ist allerdings nicht so neu, wie sie nun klingt: Recherchen von CH Media haben gezeigt, dass das Problem seit Jahren bekannt war, allerdings verschleppt wurde.

Kantone: Zu schlecht informiert

Einen grossen Teil der Kritik nimmt die Zusammenarbeit mit den Kantonen ein. Der Bund gesteht ein: Er habe die Kantone zu wenig rasch informiert, wenn neue Entscheide fielen. Es kam vor, dass die Kantone Details aus den Medien entnahmen, obwohl sie die Beschlüsse umsetzen müssen. Die Kantone seien deshalb von finanziellen Folgen der nationalen Entscheidungen überrascht worden. Zudem seien die Erläuterungen zu den Vorgaben zu wenig genau gewesen. Teils hätten sie mehr verwirrt als Klärung gebracht.

Die Kantone hätten zudem in den Vernehmlassungen besser angehört werden müssen. Die knappe Zeit habe aber oft gar «keine seriöse Konsultation» erlaubt. Allerdings kritisiert der Bund da auch die Kantone: Diese müssten sich besser organisieren. Es sei nicht klar gewesen, ob sich der Bund nun an die Konferenz der Kantonsregierungen, an die einzelnen Kantone oder an die Gesundheitsdirektorenkonferenz wenden musste, «um rasch eine konsolidierte aussagekräftige Rückmeldung zu erhalten.»

Wichtige Akteure fehlten

Das Spitexpersonal, die Verbände von Spitälern, Heimen und Ärzten hätten zu wenig Gehör erhalten, schreibt der Bund. «Gesellschaftliche und soziale Auswirkungen fanden zu wenig Beachtung.» Es sei auch eher lange gegangen, bis die Wissenschaft einbezogen worden sei. Dies hat seinen Grund offenbar darin, dass es zwischen dem BAG und den Wissenschaftern schon vorher kriselte. «Bestehende Konfliktlinien» hätten die Zusammenarbeit erschwert, so der Bericht.

Der Bundesrat war zu zurückhaltend

Im Frühsommer übernahmen wieder die Kantone, die ausserordentliche Lage war beendet. Die Übergabe der Verantwortung sei zu wenig koordiniert gewesen, sagt nun der Bericht. Der Bundesrat hätte die Kantone besser unterstützen und stärker führen sollen. So war auch erwartet worden, dass er «strategische Vorgaben macht, die einheitliche Massnahmen zur Folge haben.»

Masken, Enkelkinder: So kann man nicht kommunizieren

Der Bericht kritisiert aber auch die eigene Kommunikation, oder vielleicht besser diejenige seines inzwischen pensionieren «Mister Corona», Daniel Koch: Der Bund sagt, auf die Anfragen von Medien hin seien vom Bundesamt für Gesundheit Antworten gegeben worden, «die wissenschaftlich nicht haltbar» oder «nicht genügend geklärt» waren. Etwa in der Maskenfrage oder bei der Frage, ob Grosseltern ihre Enkel sehen dürfen. Dies habe zu Unklarheit geführt. Künftig seien «Aussagen und Daten gegenzuprüfen und auf wissenschaftliche Fakten abzustützen.»

Daniel Koch, Delegierter des BAG fuer COVID-19 waehrend einer Medienkonferenz zur Situation des Coronavirus (COVID-19), am Freitag, 15. Mai 2020 in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
«Mister Corona» Daniel Koch.Bild: KEYSTONE

Wer beschafft Masken: Nirgends war dies klar geregelt

Bekannt war bereits, dass die Masken fehlten. «Zu unverbindlich» und «zu ungenau» waren die Vorschriften zum kritischen Materialbeständen, nennt der Bericht einen Grund für das Versäumnis. So war es nur eine Empfehlung in einem Strategiepapier, dass die Kantone Masken lagern sollen. Auch unklar ist, wer im Ernstfall das Material beschaffen muss. Hier soll nachgebessert werden.

Und Ignazio Cassis?

Das Aussendepartement (EDA) war «zeitweise bei internationalen Fragestellungen zu spät, zu wenig oder gar nicht involviert», heisst es im Bericht. Bestehende Netzwerke seien zu wenig genutzt, ausländische Regierungen zu wenig einbezogen worden – etwa bei den Lockerungen der Einreisebeschränkungen oder wenn es um knappe medizinische Güter ging. Der Bericht spricht von einer «fehlenden strukturierten Zusammenarbeit zwischen EDA und BAG.» Es kam also auch darauf an, wer in der Bundesverwaltung wen schon kannte – und mochte.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
So kam das Coronavirus in die Schweiz – eine Chronologie
1 / 59
Das Coronavirus in der Schweiz – eine Chronologie
31. Dezember 2019: Erste Meldungen über eine mysteriöse Lungenkrankheit, die in der zentralchinesischen Metropole Wuhan ausgebrochen ist, werden publiziert. 27 Erkrankte sind identifiziert.
quelle: keystone
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Wie es aussieht, wenn du deinen Geschmackssinn wegen Covid verlierst
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
16 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Linus Luchs
16.12.2020 05:51registriert Juli 2014
Zwei Punkte würde ich noch ergänzen: Föderalismus, wo er nichts zu suchen hat (z.B. Contact Tracing), und parteiideologisches Gezerre bis hinauf in den Bundesrat.
1174
Melden
Zum Kommentar
avatar
Zeit_Genosse
16.12.2020 06:28registriert Februar 2014
Typische verwaltungsimmanente Probleme. Die Schönwetterstrukturen und Exponenten mit Animositäten in ihren Silos sind nicht krisentauglich. Man streitet über Zuständigkeiten, wartet dass der Andere tut und schützt seine Partikularinteressen. Es braucht auch Sicherungssysteme bei Überforderung von Menschen in Amtsstellen, damit diese sich nicht verstecken, sondern Unterstützung anfordern können ohne Gesichtsverlust und Konsequenzen. Eine Kultur des Gemeinsamen Lösens von Herausforderung in VUCA-Situationen.
485
Melden
Zum Kommentar
avatar
[CH-Bürger]
16.12.2020 07:53registriert August 2018
... und die raschere, dezentrale Ausstellung von COVID-App-Codes!
kann doch nicht sein, dass man mehrere Tage auf den Code warten muss... 🤦🏼‍♂️
352
Melden
Zum Kommentar
16
IWF rechnet 2024 mit moderat festerem BIP-Wachstum in der Schweiz

Die Schweizer Wirtschaft dürfte laut dem Internationalen Währungsfonds IWF im Jahr 2024 wieder anziehen. Zugleich vergab der IWF im jährlich durchgeführten Länderexamen der Schweiz gute Noten zur Geld- und Haushaltspolitik. Wichtige Fragestellungen gilt es aber noch zur Regulierung der Megabank UBS zu lösen.

Zur Story