Ein Stück Erinnerung: In der BernExpo wird das Bundeshaus zu sehen sein.Bild: KEYSTONE
Die ausserordentliche Session zur Coronakrise steht vor der Türe. Wieso sich das Parlament wieder trifft, wie viel die Session kostet und worüber diskutiert wird.
01.05.2020, 16:3901.05.2020, 17:53
Die Schweiz hat ab nächster Woche wieder ein Parlament, das mitreden und mitentscheiden will. Die 200 Nationalrätinnen und 46 Ständeräte wurden aufgerufen, am kommenden Wochenende die Koffer zu packen und nach Bern zu reisen.
Die Themen, die auf der Traktandenliste stehen werden, sind brisant. Es geht um Milliarden-Frankenbeträge und um die wirtschaftliche Existenz vieler Menschen in der Schweiz. Nicht zuletzt geht es auch um die Gewaltentrennung, einem Eckpfeiler der Demokratie. Die Krisen-Sitzung wird als historische «Corona-Session» in die Geschichtsbücher eingehen.
Eröffnet wird sie am Montag im Nationalrat um 10 Uhr mit einer «Erklärung des Bundesrates zur Corona-Pandemie». Die Rede wird Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga halten. Dieses Mittel ergreift die Landesregierung sonst im Zusammenhang mit Kriegen, zuletzt 2003 wegen der Irak-Krise, wie Parlamentssprecher Mark Stucki bestätigt.
Wir erklären dir die wichtigsten Punkte zur ausserordentlichen Session. Der Artikel wird fortlaufend aktualisiert.*
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Es geht um Milliarden
Anträge des Bundesrates
Finanzminister Ueli Maurer (links) ist der Säckelmeister der Eidgenossenschaft.Bild: KEYSTONE
Die Coronakrise wird das alles dominierende Thema sein – es wird eine milliardenschwere Session: Das Parlament muss neben dem Corona-Einsatz der Armee, auch diverse Nachtragskredite bewilligen. Gemeint sind all jene Ausgaben, die zur Stützung der Wirtschaft vom Bundesrat beschlossen wurden. Dieses Geld muss vom Parlament gesprochen werden, und zwar als «nachträgliche Ausgaben» im Staatsbudget – deshalb auch der Name.
Die Beträge sind riesig: 41 Milliarden Franken sollen etwa alleine für die Corona-Kredite für Unternehmen bereitgestellt werden. Weitere sechs Milliarden soll es etwa für die Kurzarbeit und 5,3 Milliarden für den Erwerbsersatz geben. Diese Beiträge dürften unbestritten sein. Für Diskussionen sorgen werden auch die Gelder für die Kultur, sowie die Beschaffung von Masken und Beatmungsgeräte – hier gibt es Kürzungsanträge.
Anträge aus dem Parlament
Der Nationalratssaal blieb in den letzten Tagen nicht leer: Kommissionen tagten hier unter Einhaltung des «Social Distancing».Bild: KEYSTONE
Die Kommissionen von National- und Ständerat haben in den letzten Tagen eine Reihe von eigenen Vorstössen eingereicht. Diese landen nicht automatisch auf die Traktandenliste. Das Gesetz verlangt nämlich, dass der Bundesrat eine Antwort auf jene Vorstösse (Motion, Postulat, Interpellation) geben muss, bevor sie dem Parlament vorgelegt werden dürfen.
Die Landesregierung drückte aufs Gaspedal und gab am Freitag vor der Session ihre Stellungnahme zu 40 Vorstössen ab. Ein Ausschnitt:
- Kitas: Der Bund soll bei der familienergänzenden Kinderbetreuung auch Geld zur Verfügung stellen. Dies fordern die beiden Bildungskommissionen. Der Bundesrat lehnt diese Vorstösse ab.
- Humanitäre Hilfe und Asyl: Gefordert werden 100 Mio. Franken für drei internationale Organisationen. Zudem soll der Bundesrat sich für die Verteilung der Geflüchteten auf den griechischen Inseln einsetzen. Beide Vorstösse haben gute Chancen: Die Regierung empfiehlt sie zur Annahme.
- Mieten: Zwei Vorstösse wollen KMUs unter die Arme greifen: Einerseits sollen gewisse Betriebe nur noch 30 Prozent der Miete bezahlen müssen, zudem wird ein «Mieterlass-System» gefordert. Beide Vorstösse lehnt der Bundesrat ab, er unterstützt jedoch eine dritte Forderung betreffend Zahlungsfristen.
- Corona-Kredite: Mehrere Vorstösse fordern den Null-Prozent-Zins und die Verlängerung der Zahlungsfrist für die Corona-Kredite. Der Bundesrat hält von diesen Ideen nichts: Er empfiehlt sie zur Ablehnung. Firmen dürfen hingegen darauf hoffen, dass sie den Kredit länger nicht als «Fremdkapital» in ihren Büchern verzeichnen müssen.
- Medien: Eine geforderte Soforthilfe soll die Nachrichtenagentur Keystone-SDA sowie die Zeitungszustellung unterstützen. Für regionale TV- und Radiosender sind zudem 30 Millionen Franken gefordert. Der Bundesrat lehnt beide Vorstösse ab.
- Profiteure während Corona-Krise: Gefordert wurde zudem, dass Firmen, die Kurzarbeit beantragen müssen, keine Dividenden ausschütten dürfen. Zudem sollen Firmen nicht mehrere Corona-Unterstützungshilfen beantragen dürfen. Der Bundesrat lehnt beide Vorstösse ab.
Warum braucht es überhaupt eine «Corona-Session»?
Sie entscheidet, wer wie viel zu sagen hat: die Bundesverfassung der Eidgenossenschaft.Bild: KEYSTONE
Die Schweiz befindet sich in einer ausserordentlichen Lage. Der Bundesrat regiert seit 16. März alleine per «Notrecht». Die individuellen Freiheiten wurden per Verordnung eingeschränkt, die Wirtschaft lahmgelegt, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen.
Der Bundesrat als alleiniger «Krisen-Manager» mag zwar effizient sein, die Verfassung und Gewaltentrennung verlangen aber, dass auch das Parlament mitsprechen kann. Dies, um den «verfassungsmässigen Beitrag zur Überwindung der Krise leisten» zu können.
Das sehen der Bundesrat und 28 Mitglieder des Ständerats so. Sie haben beide Ende März die Einberufung einer ausserordentlichen Session verlangt. Diese findet nun in der ersten Mai-Woche statt.
Ordentliche, Sonder- und ausserordentliche Session: Die Unterschiede
Das Parlament tagt in der Schweiz während sogenannten «Sessionen». Jedes Jahr gibt es vier ordentliche Sessionen à drei Wochen. Die Sondersession ist da, um den Pendenzenberg abzubauen. Eine ausserordentliche Session wird auf Antrag des Bundesrats oder einem Viertel des National- oder Ständerats einberufen. Der Ständerat hat für die «Corona-Session» erstmals dieses Recht in Anspruch genommen.
Wo sich die Parlamentarier treffen und wie viel das kostet
Schon lange ist klar, dass sich das Parlament nicht wie üblich im Bundeshaus treffen kann. Die ehrwürdigen Ratsäle, wo die Volksvertreter stundenlang nah beieinander sitzen, eignen sich für das «Social Distancing» nicht.
Wo dann? Die Suche war nicht einfach. Die Parlamentsdienste haben vier Offerten eingeholt, Anfang April kam dann der Entscheid für die BernExpo beim Guisanplatz in der Bundesstadt. Kostenpunkt: Rund 3,4 Millionen Franken laut aktuellem Budget, davon «weniger als eine Million» für die Miete.
Neues «Bundeshaus» in der Bernexpo
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Das neue Bundeshaus in der Bernexpo
Der Nationalratssaal auf dem BernExpo-Gelände.
quelle: keystone / peter klaunzer
Seit Tagen wird dort auf vier Etagen gebaut und verkabelt. Der Aufwand ist riesig. Ein funktionierendes Parlament braucht nicht nur Tische und Stühle, sondern auch Übersetzungsdienste, Protokollanten und eine Administration.
Dass das Parlament ausserhalb des Bundeshaus tagt, ist übrigens nichts ungewöhnliches: 1993, 2001 und 2006 gab es je eine Session «extra muros» (ausserhalb der Mauern). In diesen Jahren wurde das Bundeshaus renoviert, die Sitzungen wurden je einmal in die italienisch-, französisch- und rätoromanisch-sprachige Schweiz verlagert.
* Updates: Liste der beantworteten Vorstösse eingefügt (1. Mai). Traktandenliste aktualisiert und mit Erklärung des Bundesrates ergänzt (1. Mai).
Öffentlichkeit an der Session
Ein Besuch ins Bundeshaus und die Debatte auf der Zuschauertribüne verfolgen? Darauf muss das Volk wohl verzichten müssen. Auch für Medienschaffende gibt es Einschränkungen: Reingelassen werden nur Bundeshausjournalistinnen und -journalisten mit speziellen Ausweisen, drinnen ist nur ein kleiner Teil für sie freigegeben.
Die Agenda der nächsten Tage
– Samstag, 2. Mai: Fraktionssitzungen.
– Montag, 4. bis Donnerstag, 7. Mai: Ausserordentliche Session.
Das neue Bundeshaus in der Bernexpo
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Das neue Bundeshaus in der Bernexpo
Der Nationalratssaal auf dem BernExpo-Gelände.
quelle: keystone / peter klaunzer
Rote Karte für Corona-Verstoss
Video: watson
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Ein gigantischer Bergsturz in der Berninagruppe hat am vergangenen Wochenende Millionen Tonnen Gestein ins Tal befördert. Glaziologe Matthias Huss erklärt die Folgen für den Tschierva-Gletscher, der unter den Geröllmassen liegt.
«Das betroffene Gebiet ist gut einsehbar, unter anderem von einem Ski-Gebiet. Es ist gewaltig. Deswegen machten die Bilder so schnell die Runde.» Das sagt Martin Keiser. Er ist Regionalforstingenieur und Naturgefahrenspezialist beim Amt für Wald und Naturgefahren des Kantons Graubünden. Keiser wurde am Sonntag kurz nach 7 Uhr von den Einsatzkräften über den riesigen Bergsturz informiert, der sich wenige Minuten zuvor am Piz Scerscen im Engadin ereignet hatte.
Das Parlament hätte die Chance, jetzt Grösse zu zeigen und konstruktiv zusammen zu arbeiten.
Aber es wird von Beginn an die alte parteipolitische Pampe sein ....
Und zwar von allen ....
wenn sie es nicht schaffen, neue Pfade zu gehen, dann sind das die sinnfreiesten 3 Millionen in dieser Zeit .
Die Rechnung dafür gibt es für die nachfolgenden Generationen.