«Wir sehen Licht am Ende des Tunnels», sagte Gesundheitsminister Alain Berset (SP) am Mittwoch vor den Medien. Die seit Mitte März geltenden Einschränkungen haben die Verbreitung des Coronavirus verlangsamt: «Die Lage hat sich günstig entwickelt.» Die befürchtete Überlastung des Gesundheitswesens und der Intensivstationen sei ausgeblieben.
Das dürfte in den nächsten Wochen so bleiben, vorausgesetzt die Bevölkerung hält sich weiterhin an die wichtigen Hygiene- und Distanzregeln. Dies zeigen Prognosen der Forscherin Burcu Tepekule von der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich. Die Datenspezialistin mit Doktortitel hat ein detailliertes Modell entwickelt, das Aussagen zur Entwicklung von Corona-Fallzahlen, Todesfällen und Patienten in Spitälern und Intensivstationen erlaubt. Es stützt sich auf die täglich aktualisierten, auf offiziellen Kantonsmeldungen basierenden Zahlen der Website corona-data.ch.
Die wichtigsten fünf Fragen und Antworten zu ihren Erkenntnissen:
«Bei der Anzahl der hospitalisierten Covid-19-Patienten scheint der Gipfel erreicht zu sein», sagt Tepekule. Aktuell sind gemäss corona-data.ch rund 2300 Coronafälle im Spital. Gemäss Tepekules Modell reduziert sich dieser Wert bis Ende April auf 1900.
Da nicht alle Kantone die entsprechenden Daten publizieren, fehlen zuverlässige Zahlen zu den Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen. Die meisten Coronapatienten, die wegen des Virus Intensivpflege brauchen, lagen zuvor auf der Normalstation. Das führt dazu, dass die Fallzahlen auf den Intensivstationen zeitlich verzögert zu den Gesamtzahlen der Hospitalisierten ansteigen. Tepekules Modell berücksichtigt diverse Faktoren wie den Prozentsatz von Spitalpatienten, die auf Intensivstationen landen oder die Spitalaufenthaltsdauer. So kann sie trotz fehlender Daten Aussagen über die Entwicklung auf den Intensivstationen machen. «Bei den zugrunde liegenden Annahmen gibt es aber viele Unsicherheiten, was die Aussagekraft der Prognosen beeinträchtigt», sagt sie.
Die grösste Auslastung der Intensivstationen steht gemäss Tepekules Modell noch bevor: «Der Gipfel wird in der letzten Aprilwoche erreicht.» Dann sei mit 600 bis 800 Corona-Patienten in Intensivpflege zu rechnen.
Rund 1000 Intensivbetten gab es landesweit vor Ausbruch des Coronavirus, davon waren rund 800 bis 850 mit Beatmungsgeräten ausgestattet. Die Spitäler haben diese Kapazitäten seither ausgebaut. «Die schlimmsten Befürchtungen über einen Kollaps des Gesundheitswesens von vor wenigen Wochen sind nicht eingetroffen», sagt Burcu Tepekule. Sollten ihre Prognosen stimmen, dürften die Intensivstationen auch auf dem Höhepunkt ihrer Belastung ausreichend Kapazitäten haben.
982 Menschen sind in der Schweiz bis Freitagabend laut corona-data.ch an den Folgen des Coronavirus gestorben. Diese Zahl dürfte sich trotz der deutlich verlangsamten Ausbreitung des Virus noch markant erhöhen: «Ich befürchte, dass wir bis Ende April noch einmal so viele Todesfälle zu beklagen haben wie bisher.» Die täglichen Todesfälle nehmen bei Tepekules Modell bis zum Monatsende zu, bevor sie dann zurückgehen.
Entscheidend im Kampf gegen das Virus ist die Entwicklung der Reproduktionsrate. Dieser Wert beschreibt, wie viele Menschen eine infizierte Person ansteckt. In Tepekules Modell beträgt er aktuell 0,81, womit sich die Ausbreitung des Virus verlangsamt. Gemäss dem Modell des Berner Virologen Christian Althaus, mit dem sich Tepekule regelmässig austauscht, liegt er bei nur 0,59. «Die Massnahmen des Bundesrates haben offensichtlich gewirkt, die Zahlen sind ermutigend», meint Tepekule.
Es sei deshalb richtig, ab dem 26. April die Massnahmen zu lockern. Allerdings müsse dies unter Beibehaltung der Hygiene- und Distanzregeln schrittweise und kontrolliert erfolgen: «Klar ist, dass die Bevölkerung nicht direkt wieder ihr gewohntes Leben wird weiterführen können.»