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SwissCovid: Lehrerin wartet nach Corona-Ansteckung zwei Tage auf Code

Dieses «Live-Protokoll» einer Lehrerin zeigt, wo beim Contact-Tracing der Wurm drin steckt

44 Stunden dauerte es nach einem positiven Corona-Test ihres Sohnes, bis eine Mutter im Aargau eine Warnung per SwissCovid-App erhielt. Und nochmals weitere 16 Stunden, bis sich die Contact-Tracer meldeten. Epidemiologe Marcel Salathé kritisiert die Kantone scharf.
26.08.2020, 05:5527.08.2020, 12:39
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Für die meisten Leute sind Corona-Fälle abstrakte Meldungen. Wann kommt der Code für die Covid-App? Wer muss in Quarantäne? Was dann geschieht, kann man sich auch sechs Monate nach Ausbruch der Pandemie kaum vorstellen.

Die Kanti-Lehrerin Monika Stiller bringt Licht ins Dunkel. «Covid-19 hat unsere Familie erreicht»: Auf Twitter schreibt die Aargauerin ein viel beachtetes «Live-Protokoll» über ihre Erfahrungen. Die Zeitangaben bringen neue Erkenntnisse, wie zähflüssig das Contact-Tracing in der Schweiz nach wie vor funktioniert.

Stiller befindet sich in Quarantäne, nachdem ihr Sohn positiv auf das Virus getestet wurde. «Wegen Kopfschmerzen und asthmatischer Beschwerden hat er noch am Freitag einen Test gemacht, am Samstagabend dann das positive Ergebnis erhalten.»

42 Stunden bis zum Covid-App-Code

Vorbildlicherweise hat die Familie Stiller die SwissCovid-App auf ihrem Handy installiert. «Was mich wundert/irritiert: Sohn hat seinen positiven Befund seit 2 Tagen und wartet noch immer auf den Code, mit dem er dies an die Covid-App melden kann», schreibt sie am Montag weiter.

Die App sollte dann jene Personen warnen, welche sich möglicherweise angesteckt haben könnten. Die Codes können nur die Kantonsarztämter ausstellen.

Es dauerte nach dem positiven Test des Sohnes 42 Stunden, bis dieser von den Aargauer Behörden den entsprechenden Code für die SwissCovid-App erhält.

Zwei Stunden nachdem der Sohn den Code in die App eingegeben hat, meldet die SwissCovid-App von Monika Stiller eine «mögliche Ansteckung».

Bild

16 Stunden nach der App-Warnung ruft schliesslich ein Mitarbeiter des Contact-Tracing-Teams an und informiert Monika Stiller über den Corona-Fall ihres Sohnes und dass sie auf der Kontaktliste stehe.

Insgesamt dauert es also gut 60 Stunden vom positiven Testergebnis bis zum Anruf des kantonalen Contact-Tracers.

Salathé äussert Kritik

Am Dienstag schaltet sich der Epidemiologe Marcel Salathé in die Diskussion ein. «Liebe Kantone, so läuft euch die Zeit davon. Die schnellste Technologie nützt nichts, wenn das Zuvor und das Danach dermassen langsam ist», schreibt er auf Twitter.

«Die schnellste Technologie nützt nichts, wenn das Zuvor und das Danach dermassen langsam ist.»
Marcel Salathé

Auf Nachfrage von watson hinterfragt Salathé die von den kantonalen Behörden organisierten Contact-Tracing-Prozesse: «Wäre der Code gleich mit dem Testresultat ausgestellt worden, hätten die App-Kontakte schon nach zwei Stunden eine Meldung erhalten.»

Kanton vertröstet

Wieso dauerte es im aktuellen Fall von Familie Stiller so lange, bis der Code für die Covid-App gesendet wurde?

Auf Anfrage von watson sagte Sprecherin der kantonalen Verwaltung gegenüber, dass die zuständige Aargauer Gesundheitsbehörde sonntags jeweils keine Covidcodes ausstellt.

«Glücklicherweise» handle es sich im vorliegenden Fall «um eine Ausnahme», teilte die Mediensprecherin weiter mit.

Im Kanton Aargau würden neu infizierte Personen innerhalb von 24 Stunden vom Contact-Tracing-Center (CONTI) kontaktiert. Dabei würde der infizierten Person auch der COVID-Code abgegeben, sofern dieser gewünscht wird.

Die lange Zeitdauer ist übrigens kein Einzelfall. Anfang August sorgte in Genf ein Fall für Schlagzeilen, wo ein positiv getesteter Mann ganze zehn Tage auf seinen Code für die SwissCovid-App wartete. Der kantonsärztliche Dienst meldete sich erst bei ihm, nachdem er auf Twitter seinem Ärger öffentlich Luft gemacht hatte:

Das «Happy-End»

Am Dienstagnachmittag kann Monika Stiller erstmals aufatmen. Per SMS wurde ihr mitgeteilt, dass ausser dem Sohn alle Familienmitglieder negativ getestet worden sind. Dem Sohn gehe es den Umständen entsprechend gut, sagt sie zu watson.

Warum hat aber Stiller eigentlich überhaupt öffentlich über ihren Fall berichtet? Stiller betont, dass sie mit ihren Tweets keineswegs die Arbeit des Kantons bewerten wolle. Es gehe ihr darum, ihre Kolleginnen und Kollegen über die Abläufe im Quarantänefall zu informieren.

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85 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Rethinking
26.08.2020 06:22registriert Oktober 2018
Die Erfahrung zeigt, dass viele Menschen nicht in der Lage sind in Prozessen zu denken...

Dazu kommen dann noch diejenigen, „die es schon immer so gemacht haben“...

Und letztlich noch all die schönen Gärtli und Silos, deren Könige ihre Reiche wie Löwen beschützen...

„When you digitize a shitty process, you have a shitty digital process“.
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Dan Rifter
26.08.2020 06:19registriert Februar 2015
Suboptimal.

Aber andere Frage:
Weshalb steht der Beruf von Frau Stiller im Titel?
Ihr Beruf hat hier keinerlei Relevanz, es geht um die langsame Reaktionszeit der Kantonsärzte.
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Rethinking
26.08.2020 06:14registriert Oktober 2018
„Gerade der Anruf vom Contact Tracing, weil ich auf der Kontaktliste meines Sohnes stehe. Ja, ich habe mitbekommen, dass er positiv ist. Abgesehen von dieser kleinen Absurdität ein sehr freundliches, unterstützendes und informatives Gespräch.“

Absurd ist dies ganz und gar nicht. Viel mehr zeigt es auf, dass die Anonymität gewahrt bleibt.

Woher soll der Contact Tracer wissen, dass es sich bei der infizierten Person um jemand aus demselben Haushalt handelt?

Nur logisch weiss er das nicht...
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