Schweiz
Digital

Fall Céline: Eltern fordern ein Cybermobbing-Gesetz wie in Österreich

Die Eltern Candid und Nadya Pfister. Céline war ihr einziges Kind.
Die Eltern Candid und Nadya Pfister. Céline war ihr einziges Kind.Bild: ch media/sandra ardizzone

Suizid nach Cybermobbing: Die Eltern von Céline fordern ein Gesetz wie in Österreich

Nadya und Candid Pfister kämpfen für eine Gesetzesverschärfung. Mit ihrem Kampf gegen Cybermobbing geben sie ihrem Leben einen neuen Sinn nach dem Tod ihrer 13-jährigen Tochter.
14.02.2020, 15:2014.02.2020, 15:50
Andreas Maurer / CH Media
Mehr «Schweiz»

Nadya und Candid Pfister leben in einer Gedenkstätte. In ihrer Wohnung hängen überall Bilder ihrer verstorbenen Tochter Céline. Auf allen Ablageflächen stehen Andenken, Kerzen, Engel. Célines Platz am Küchentisch ist immer noch reserviert für sie. Daneben liegen ihre iPhone-Kopfhörer, ohne die sie das Haus nie verlassen hat. Sie sehen aus, als seien sie nur rasch hingelegt worden. Dieses Jahr jährt sich der Todestag zum dritten Mal.

Die Eltern setzen sich an den Küchentisch und erzählen. Sie haben ihren eigenen Weg gefunden, um das Unfassbare zu verarbeiten. Sie widmen ihr Leben dem Kampf gegen Cybermobbing. Wenn er auch nur einer einzigen anderen Person helfen sollte, lohne er sich, sagen sie. Sie verstehen nicht, dass die Täter nur mit kurzen Arbeitseinsätzen bestraft werden. «Was ist denn das für eine Message an die Jungen?», sagen sie.

Im Jugendstrafrecht geht es nicht um Gerechtigkeit, sondern um Prävention. Die Jugendlichen sollen nicht bestraft, sondern erzogen werden. «Ein kleiner Teil meines Mutterherzens versteht das schon. Aber nur ein kleiner Teil», sagt Nadya Pfister und zieht an ihrer E-Zigarette.

Die Eltern machen einen Vorschlag, wie das Schweizer Strafgesetzbuch ergänzt werden könnte: mit einem eigenen Straftatbestand gegen Cybermobbing. Die Vorlage liefert Österreich. Das Nachbarland hat 2016 einen entsprechenden Gesetzesartikel eingeführt. Seither gehen gestützt darauf rund 300 Anzeigen pro Jahr ein, wovon gemäss der Kriminalstatistik drei Viertel von der Polizei aufgeklärt werden.

Die Eltern Candid und Nadya Pfister. Céline war ihr einziges Kind.
Die Tätowierungen von Candid und Nadya Pfister: Der Pfeil steht für das verlorene Leben. Der Löwe steht für das verbliebene Leben, den Kampf gegen Cybermobbing.Bild: ch media/sandra ardizzone

Strafbar macht sich in Österreich, wer eine Person für eine grössere Zahl von Menschen wahrnehmbar in ihrer Ehre verletzt oder Tatsachen oder Bilder des «höchstpersönlichen Lebensbereiches» ohne Einverständnis verbreitet.

Das Opfer muss dabei in der Lebensführung unzumutbar beeinträchtigt werden. Hat die Tat einen Suizid oder einen Suizidversuch zur Folge, so ist eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorgesehen. Die Tat wird als Offizialdelikt eingestuft, sie muss also von Amtes wegen verfolgt werden.

In der Schweiz hat man bisher von einer expliziten Regelung abgesehen, weil Cybermobbing weitgehend durch bestehende Straftatbestände wie Nötigung, Drohung oder Beschimpfung geahndet werden kann.

Doch es gibt auch einige Fälle, die durch die heutige Regelung nicht abgedeckt werden. Im Fall Céline wurde die Mobberin nur in einem Fall verurteilt. Das Verfahren wegen eines Drohvideos gegen eine andere Jugendliche («Du wirst genau so sterben wie Céline») wurde hingegen wegen einer Formalie eingestellt. Das Opfer hatte nämlich nur eine Täterin angezeigt, obwohl zwei Täterinnen involviert waren. Die Staatsanwaltschaft stufte den Strafantrag deshalb als ungültig ein und legte den Fall zu den Akten.

In Österreich wäre das nicht möglich gewesen: Weil die Tat dort ein Offizialdelikt ist, hätte die Staatsanwaltschaft den Fall unabhängig von der Strafanzeige verfolgen müssen.

Cybermobbing-Verbot wäre von symbolischer Bedeutung

Die Konstellation ist ähnlich wie bei der Erweiterung der Rassismusstrafnorm auf die Diskriminierung von Homosexuellen, die am Sonntag vom Stimmvolk angenommen worden ist. Die Gesetzeslücke, die damit gefüllt wird, ist klein.

Die Regelung ist vor allem von symbolischer Bedeutung: Man setzt damit ein Bewusstsein für ein Problem. Puristen sagen, das sei nicht die Aufgabe des Strafrechts, sondern der Präventionsarbeit. Pragmatiker meinen, das Gesetz solle auch eine abschreckende Wirkung haben.

Ein Straftatbestand gegen Cybermobbing würde helfen, dass das Gesetz für Leute wie Nadya und Candid Pfister verständlich wird. Mit den heutigen Formulierungen können sie wenig anfangen. Sie verstehen nicht, weshalb die Staatsanwaltschaft nur Nötigung erkennt, aber keine sexuelle Nötigung.

Die Eltern sind überzeugt, dass ihr Anliegen mehrheitsfähig ist. Auf der Strasse werden sie gefragt: «Sind die Täter im Gefängnis?» Die Antwort verstehe niemand. Ein weiterer Gradmesser sind die Online-Reaktionen. Die grosse Mehrheit der Kommentarschreiber stellt sich auf die Seite der Eltern. Nadya und Candid Pfister sagen: «Diese Unterstützung gibt uns Kraft. Deshalb kämpfen wir weiter.»

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
32 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Randalf
14.02.2020 15:27registriert Dezember 2018
Ich bin nicht wirklich ein Freund von immer neuen Gesetzen, aber hier macht es Sinn.

Alle sollen die Tragweite von mobbing erkennen.

Von Österreich können wir in diesem Fall etwas lernen. Warum machen wir es nicht?
29727
Melden
Zum Kommentar
avatar
Humor Simpson
14.02.2020 15:38registriert Juni 2018
Wie oft Kinder vom Cybermobbing betroffen sind kann man kaum erahnen. Finde das Strafmass in diesem Fall auch viel zu gering!

Ich hoffe sehr das hier eine Ergänzung im Strafgesetzbuch erfolgt.
19117
Melden
Zum Kommentar
avatar
Whitchface
14.02.2020 16:19registriert November 2015
Wie wäre es mit eventual vorsätzlicher Tötung? Schlussendlich wurde dem Opfer mit dem Tod bedroht. Das schlimmste an der Geschichte ist für mich die fehlende Reue der Täterin. Unter 5 Jahre Haft sollte es für so etwas nicht geben. Suizidhilfe wird teils schwerer bestraft. Für mich schlicht unverständlich.
14025
Melden
Zum Kommentar
32
Russische Elitehacker greifen deutsche Parteien an – aus Gründen
Die Hackergruppe «Cozy Bear» mit Verbindungen zum russischen Auslandsgeheimdienst hat es offenbar auf die deutsche Politik abgesehen. Sie verschickten eine Schadsoftware per Mail.

Mehrere Parteien in Deutschland sind einem Medienbericht zufolge Ziel einer grossangelegten russischen Cyberattacke geworden. Laut einer am Freitag dem «Spiegel» vorliegenden Analyse der US-Sicherheitsfirma Mandiant versuchte die vom Kreml gesteuerte Hacker-Gruppierung «Cozy Bear», mehrere deutsche Parteien mit Schadsoftware anzugreifen.

Zur Story