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Energie

AKW-Aufseher zu Störfällen: «Keine Evakuierungen nötig»

ARCHIVBILD ZUM THEMA VOTO-STUDIE ZUR ENERGIEWENDE - The nuclear power plant Goesgen in the canton of Solothurn, Switzerland, pictured on May 29, 2011. (KEYSTONE/Alessandro Della Bella)

Das Atomkraf ...
So viele Menschen wie neben dem AKW Gösgen leben sonst bei keinem anderen Schweizer AKW.Bild: KEYSTONE

Was passiert eigentlich mit den Schweizer AKW, wenn es zu einem Erdbeben kommt?

Aufsichtsbehörde Ensi untersuchte Folgen eines Erdbebens in Gösgen. Doch die Resultate stossen auch auf Kritik. Grünen-Nationalrätin Irène Kälin: «Für mich ist diese Studie der Beweis, dass die Behörde nicht neutral ist, sondern den Atomkraftwerkbetreibern nahe steht.
19.10.2018, 06:22
Patrik Müller / CH Media
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Was würde mit einem Schweizer AKW passieren, wenn es zu einem Erdbeben käme? Zu einem Beben, das so stark ist, wie es hierzulande statistisch nur alle 10'000 Jahre geschieht?

Mit dieser Frage befasste sich die Aufsichtsbehörde des Bundes, das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi). Das Fazit der Studie hat das Ensi auf seiner Website aufgeschaltet. «Die Gefahr bei einem 10'000-jährlichen Störfall eines Schweizer Kernkraftwerks wird überschätzt», schreibt das Ensi.

Ensi-Direktor Hans Wanner widerspricht Einschätzungen von AKW-Gegnern, die von «tödlichen Folgen» sprachen. Wanner: «Zahlen von Tausenden von zusätzlichen Krebsfällen oder gar Toten sind falsch.» Die Gefahr sei «sehr gering», die von einem sogenannten Auslegungsstörfall in einem AKW ausgehe.

Ein Auslegungsstörfall ist gemäss Wikipedia ein GAU (grösster anzunehmender Unfall), dies im Unterschied zu einem Super-GAU mit Kernschmelze, wie er in Fukushima geschah. Die Schweizer Behörden verwenden den Begriff GAU nicht.

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Bild: ch media

Weder Tote noch Verletzte

Hans Wanner erläutert, was bei einem Auslegungsstörfall geschehen würde: «Unter realistischen Annahmen wird keine einzige Person einer Strahlungsdosis von 100 Millisievert ausgesetzt. Es wären weder Tote noch Verletzte zu erwarten. Eine Evakuierung wäre nicht nötig.»

Wie kommt das Ensi zu diesem Schluss? Die Behörde hat die potenziellen Auswirkungen eines Erdbebens beim AKW Gösgen untersucht. Es ging dabei von den effektiven Wetterdaten im Monat Juni 2018 aus. Die Berechnungen wurden angestellt für den 11. Juni, weil dies der schlimmste Tag für einen Unfall gewesen wäre – weil es regnete und windete.

Irene Kaelin, Grossraetin GP/AG fordert im Namen verschiedener Umweltschutz-Organisationen die sofortige Abstellung der AKW`s Beznau I und II am Donnerstag, 20. August 2015, in Bern. (KEYSTONE/Lukas L ...
«Mir ist schleierhaft, wie das Ensi zu diesem verharmlosenden Schluss kommen kann», sagt Irène Kälin.Bild: KEYSTONE

In der Studie heisst es: «Für die maximale Dosis in der Umgebung hat diese Berechnung einen Wert von 13 Millisievert ergeben; in den Gebieten der nächsten Anwohner resultierten Dosiswerte von weniger als 10 Millisievert.»

Insgesamt wären gemäss Ensi 95'000 Menschen potenziell von erhöhter Strahlenbelastung betroffen gewesen, mit einer durchschnittlichen Dosis von rund 0.3 Millisievert. Dieser Wert sei harmlos, schreibt das Ensi: «Er entspricht einem Zwanzigstel der Strahlung, welcher ein Bewohner aufgrund natürlicher, medizinischer und zivilisatorischer Quellen tatsächlich jedes Jahr im Mittel ausgesetzt ist.»

Und weiter: «Das zusätzliche Risiko für die betroffenen 95'000 Personen, in den nächsten 50 Jahren an Krebs zu erkranken, wäre minimal gewesen: Es wäre rein rechnerisch mit bis zu drei zusätzlichen Krebsfällen zu rechnen gewesen.»

Konfrontiert mit der Studie, reagiert die Aargauer Grünen-Nationalrätin Irène Kälin erstaunt: «Mir ist schleierhaft, wie das Ensi zu diesem verharmlosenden Schluss kommen kann. Haben sich denn internationale Behörden allesamt getäuscht, die grössere Gefahren sehen?»

Kälin greift das Ensi und dessen Direktor Hans Wanner an: «Für mich ist diese Studie der Beweis, dass die Behörde nicht neutral ist, sondern den Atomkraftwerkbetreibern nahe steht. Dabei müssten sie als Aufseher unabhängig sein!» Weiter fragt Kälin, warum die Simulation am vergleichsweise neuen AKW in Gösgen und nicht an der ältesten Anlage in Beznau (Inbetriebnahme 1969) vorgenommen worden sei.

ZUR REAKTIVIERUNG VOM AKW BEZNAU NACH DREIJAEHRIGEM STILLSTAND, STELLEN WIR IHNEN HEUTE, 06. MAERZ 2018, FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG - Nuclear power plant Beznau, pictured on May 28, 2011, i ...
Das AKW Beznau.Bild: KEYSTONE

Und in Beznau?

Das Ensi sagt dazu, das Kernkraftwerk Gösgen sei ausgewählt worden, weil in seiner Nähe am meisten Einwohner leben.

Was aber geschähe bei einem Erdbeben in Beznau? Auch für diese Region gebe es Simulationen, sagt Rainer Meier, Sprecher der AKW-Betreiberin Axpo. Bei einem Erdbeben, das stärker wäre als dasjenige in Basel im Jahr 1356, gäbe es im Raum Beznau zwar Tote, dies aber wegen einstürzender Häuser – nicht wegen der beiden AKW. Pro Block würde Radioaktivität von 16 Millisievert freigesetzt, insgesamt also 32 Millisievert – weniger als der Dosisgrenzwert von 100 Millisievert.

Der SP-Energieexperte Nationalrat Eric Nussbaumer (BL) sagt zur Ensi-Studie: «Das ändert nichts an der Tatsachen, dass bei AKWs ein Restrisiko bleibt, welches nicht beherrschbar ist. Dieses Risiko sollten wir nicht aufrechterhalten.» Grüne und SP fordern weiterhin die sofortige Abschaltung des ältesten Schweizer AKWs in Beznau. (aargauerzeitung.ch)

Superheld fliegt in Lyon über (oder eher in) ein AKW

Video: srf
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67 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Madison Pierce
19.10.2018 07:50registriert September 2015
Kann Frau Kälin ihre Behauptung mit Fakten untermauern oder ist das mehr so eine Vermutung?

Es wäre schön, wenn man bei solchen Themen die Meinung eines Experten einholen würde. Als Laie ist es unmöglich zu entscheiden, wer recht hat.
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Firefly
19.10.2018 08:24registriert April 2016
Neue AKW's wären sicherer, da sich die Technologie zu vor 50 Jahren verbessert hat, gerade punkto Sicherheit.
In der Schweiz wird sonst jeder Strasse, Brücke, Kanalisation, Tramlinie, gefühlt im Jahr dreimal revidiert, geflickt und erneuert. Nur die AKW's sind 50 Jahre alt. Was hat man mit denen eigentlich vor, solange im Betrieb halten, bis wirklich mal etwas passiert? Denn für die Ehwigkeit ist nichts gebaut. Ich persönlich finde, solch hochsicherheits bedürftige Infrastruktur gehört nicht in die Hände privater.
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Regas
19.10.2018 10:09registriert September 2016
Nur so zum vergleich: Das Erdbeben der Stärke 9 hat im KKW Fukushima keine nennenswerten Schäden bewirkt, erst die nachfolgenden Tsunamiwellen haben die Dieselaggregate für die Notkühlung überschwemmt und dadurch die Havarie erst ausgelöst. Die Notkühlung war nötig weil das Stromnetz durch das Erdbeben ausgefallen ist.
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