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Wieso die Coronakrise auch eine Frittenkrise war

Pommes Frites
Weil im März und April die Restaurants geschlossen blieben, wurden fast keine Pommes frites konsumiert.Bild: shutterstock

Wieso die Coronakrise auch eine Frittenkrise war

Während des Lockdowns landeten kaum Pommes frites auf den Tellern der Schweizer. Weil im Herbst grosse Überschüsse an Kartoffeln drohen, sehen sich die Bauern jetzt nach kreativen Lösungen um – und schielen dabei nach Belgien.
12.06.2020, 07:23
Frederic Härri / ch media
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Wenn Ruedi Fischer in den letzten paar Tagen jeweils aus dem Fenster geschaut hat, dürfte das Herz des Berner Kartoffelbauers Sprünge gemacht haben. Bewölkter Himmel, viel Regen, nicht zu heiss. Perfekte Bedingungen für die Kartoffel, um kräftig zu wachsen.

Die braunen Knollen lieben das feuchte Wetter, Temperaturen um die 20 Grad sind optimal. Eigentlich müsste sich Ruedi Fischer also freuen, aber so einfach ist es derzeit nicht. Fischer getraut sich kaum, es auszusprechen. Doch wenn im Herbst abgerechnet wird, hofft er, dass die Ernte nicht allzu reichhaltig ausfällt.

Ein Landwirt bewaessert sein Kartoffelfeld, am Donnerstag, 16. Juli 2015, in der Naehe von Burgdorf. (KEYSTONE/Marcel Bieri)
Ein Kartoffelfeld im Kanton Bern wird bewüssert.Bild: KEYSTONE

Jedes Jahr verarbeiten die fünf grössten Abnehmer in der Schweiz um die 160'000 Tonnen Kartoffeln. Zu Chips etwa, oder Rösti, vor allem aber auch zu Pommes frites. Normalerweise sollten die Lager der Kartoffelverarbeiter mit den tiefgekühlten gelben Stäbchen jetzt nach und nach abgebaut werden.

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Doch zurzeit herrscht Pommes-Stau: Die Kühlschränke in den Lagern leeren sich nicht. «Während zweier Monate wurden praktisch keine Pommes frites gegessen», sagt Ruedi Fischer, der als Präsident der Vereinigung Schweizerischer Kartoffelproduzenten amtet.

Fischer meint damit den Corona-Lockdown, als in den Bergen keine Skilifte surrten, als an keinem Volksfest gefeiert wurde und die Fritteusen der Fast-Food-Ketten kalt blieben. An diesen Orten sind Pommes frites der grosse Renner. Nur war dieses Mal alles ein wenig anders.

Zu viele Pommes frites, zu wenig Kartoffeln für Chips

Zum Problem gehört auch: Pommes frites essen die Schweizer auswärts. In der Beiz zum Schnitzel, im Restaurant zum Rindssteak, im McDonald's zum Cheeseburger. Zu Hause kommt kaum einer auf die Idee, Pommes in den Backofen zu schieben, auch wenn diese laut Fischer «ausgezeichnet» schmecken. Darin liegt der Unterschied zu den Pommes-Chips, die man im Homeoffice gerne auf dem Sofa snackt. Zweifel, der grösste Chipsproduzent im Land, musste gar Kartoffeln aus dem Ausland importieren, um die Nachfrage zu decken, sagt Fischer.

«Man kann Kartoffelsorten nicht einfach beliebig austauschen.»

Eine Sprecherin bestätigt das auf Anfrage, hält aber fest, dass dieser Umstand vor allem der relativ schlechten Ernte des letzten Sommers geschuldet ist.

Bald nur noch leere Chips-Saeckli? Der Schweizer Kartoffelchips-Industrie geht der Rohstoff aus: Gelagerte Kartoffeln genuegen den Qualitaetsanforderungen nicht mehr, und das schlechte Fruehjahrswette ...
Kartoffel-Chips liefen in den Zeiten des Lockdowns besonders gut.Bild: KEYSTONE

Verstrickt ist der Kartoffelmarkt auch deshalb, weil es derart viele verschiedene Arten der Erdfrüchte gibt. Kartoffel ist nicht gleich Kartoffel. Amandine, Charlotte und Agata sind Speisekartoffeln, während die Sorten Lady Claire, Hermes und Verdi bevorzugt bei der Herstellung von Chips verwendet werden, weil sie sich beim Frittieren nicht verfärben. Sorten wie Innovator oder Agria verarbeitet man zu Pommes frites. «Die Sorten sind nicht beliebig austauschbar», sagt Fischer.

Für die Kartoffelbauern hat das Folgen. Der Langenthaler Pommes-Hersteller Kadi kündigte bereits an, dass er unter Umständen 15 bis 25 Prozent weniger Kartoffeln von der kommenden Ernte beziehen werde. Kadi vertreibt die Pommes frites fast ausschliesslich an die Gastronomie, entsprechend büsste das Unternehmen im Lockdown Verluste bis zu 80 Prozent ein, wie Geschäftsführer Christof Lehmann auf Anfrage sagt. Inzwischen hat sich der Umsatz leicht erholt. «Es ist schwierig vorherzusagen, wie sich die Öffnung der Restaurants in den kommenden ­Monaten auf unsere Lagerbestände auswirken wird», sagt Lehmann, der auf das Beste hofft.

Bleibt das Wetter gut und die Nachfrage tief, wird es kritisch

Auch Ruedi Fischer verzichtet vorerst auf Prognosen. Ende August treffen sich die Branchenvertreter zum Austausch, dann werden Ertragserhebungen und Hochrechnungen erstellt. Dann wisse man mehr, sagt Fischer. Bleibt das Wetter für das Wachstum der Kartoffeln günstig und die Nachfrage nach Pommes ­frites weiter tief, kann es kritisch werden. Wenn Bauern ihre Kartoffeln nicht verkaufen können, müssen sie zwangsläufig ­Einbussen hinnehmen.

Für solche Fälle existiert ein Fonds mit Rückstellungen, der von den Kartoffelproduzenten und den Verarbeitern selbstständig getragen wird. Klar ist aber auch: Belaufen sich die Überschüsse der diesjährigen Ernte auf mehrere zehntausend Tonnen, reicht auch der Fonds nicht mehr aus – dann werden die Bauern wohl den Bund um Unterstützung bitten.

Mithilfe der Vollernte- Maschine SAMRO werden bei Markus Joos in Kerzers, Schweiz, am 28. Oktober 2013 die Kartoffeln geerntet. Mitarbeiter sortieren in Handarbeit die Kartoffeln auf dem Foerderband d ...
Jährlich werden in der Schweiz durchschnittlich 450'000 Tonnen Kartoffeln geerntet.Bild: KEYSTONE

Verband plant Kampagne für mehr Kartoffelkonsum

Fischer bevorzugt kreativere Lösungen. Er kann sich vorstellen, dass überschüssige Kartoffeln vermehrt zu Kuhfutter verarbeitet werden. «Das macht man heute schon so. Die Kühe mögen das sehr und geben mehr Milch», sagt Fischer. Den Tieren sei es ja letztlich egal, welche Kartoffelsorte ihrer Nahrung beigegeben werde. Eine andere Variante wäre, Kartoffeln in Biogasanlagen einzuspeisen und für die Stromgewinnung zu nutzen.

Am liebsten aber würde Ruedi Fischer einem Beispiel folgen, das gerade in Belgien Schule macht. Die Belgier sind die weltweit grössten Exporteure von Pommes frites, auch sie leiden stark unter der Coronakrise. Damit nicht 750'000 Tonnen Kartoffeln entsorgt werden müssen, ruft der belgische Kartoffel-Dachverband die Bevölkerung in einer Kampagne auf, zwei Mal pro Woche Pommes frites zu ­essen.

Fischer liebäugelt mit einem helvetischen Pendant, im Verband ist eine Million für Werbezwecke budgetiert. Platz auf dem Teller wäre vorhanden: 45 Kilogramm Kartoffeln isst ein Schweizer pro Jahr, der europäische Durchschnitt liegt bei über 60. Fischer glaubt: Da geht noch mehr. (aargauerzeitung.ch)

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Jede dritte Kartoffel wird zu Viehfutter
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