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Spiezer Labor-Leiter spricht über russische Spionage

«Wir wurden politisch instrumentalisiert»: Spiezer Labor-Leiter über russische Spionage

Marc Cadisch, Leiter des renommierten Instituts im Berner Oberland, blickt zurück auf ein «verrücktes» Jahr. Die politischen Druckversuche Russlands und die Spionage gegen das Labor haben Spuren hinterlassen.
31.01.2019, 02:44
ROMAN SCHENKEl / ch media
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Dass im unscheinbaren Zweckbau am Fusse des Niesen keine langweilige Verwaltungseinheit arbeitet, wird spätestens im Eingangsbereich des Labors Spiez klar. Dort prangt eine goldene Gedenkmünze, die das Labor von der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) erhalten hat. Diese hat damit nach Erhalt des Friedensnobelpreises 2013 ihren Partnern gedankt. Seit über 20 Jahren ist das Institut im Berner Oberland Vertrauenslabor der internationalen Organisation.

Marc Cadisch
Marc CadischBild: zvg ch media (dominik wunderli)

Herr Cadisch, das Labor Spiez arbeitet am liebsten unter dem Radar der Öffentlichkeit. 2018 wurde Ihr Labor nach der Nervengift-Attacke in Salisbury (UK) allerdings mitten auf die Bühne der Weltpolitik gezogen. Wie haben Sie die Skripal-Affäre erlebt?
Marc Cadisch:
Wir arbeiten gerne in Ruhe im Hintergrund, aber auf keinen Fall in der Anonymität. Unsere Website, unser Jahresbericht sind transparent. In der Vergangenheit standen wir bereits regelmässig im Rampenlicht. Zum Beispiel nach der Katastrophe in Fukushima 2011, beim Ebola-Ausbruch in Westafrika 2014 ebenfalls. In diesen Situationen stehen wir gerne hin, klären auf und zeigen mögliche Konsequenzen für die Schweiz auf. 2013 haben wir zudem Giftgas-Proben aus dem Syrienkonflikt untersucht. Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), sozusagen einer unserer Arbeitgeber, hat in diesem Zusammenhang ja auch den Friedensnobelpreis erhalten. Aber ja, ich gebe zu, das Jahr 2018 war verrückt.

Erzählen Sie!
Wir wurden politisch instrumentalisiert. Das ist absolut einzigartig für eine Institution wie das Labor Spiez.

Sie sprechen die Aussagen des russischen Aussenministers Sergej Lawrow an. Er hat die Arbeit der OPCW kritisiert und aus einem vertraulichen Bericht zitiert.
Der russische Aussenminister hat erklärt, er sei im Besitz eines vertraulichen Berichts von uns. Darin stehe etwas ganz anderes als im offiziellen Bericht der OPCW. Er wollte wohl damit die Glaubwürdigkeit der OPCW anzweifeln und Unsicherheit schüren. Seine Aussagen waren aber falsch.

epa07331644 Russian Foreign Minister Sergei Lavrov attends a meeting of Russian President Vladimir Putin with Moldovan President Igor Dodon (both not pictured) at the Kremlin in Moscow, Russia, 30 Jan ...
Sergej LawrowBild: EPA/REUTERS POOL

Was war falsch?
Herr Lawrow hat unter anderem gesagt, im Bericht stehe, wer das Gift entwickelt habe. Eine solche Aussage jedoch kann gar nicht aus einem offiziellen Bericht von uns stammen. Die Labors untersuchen die Proben jeweils auf ihre Inhaltsstoffe und liefern als Ergebnis chemische Formeln. Wir und auch die anderen Labors machen aber auf keinen Fall Aussagen dazu, welcher Akteur einen Giftstoff entwickelt oder eingesetzt haben könnte.

Sie gerieten auch in den Fokus des russischen Geheimdienstes. Es gab einen Hackerangriff, später wurden vier russische Agenten in Holland aufgehalten, die nach Spiez reisen wollten. Sind Sie beunruhigt?
Vor einem Jahr hätten mich diese Vorfälle noch überrascht. Aber nach den Aussagen des russischen Aussenministers war mir schnell klar, wie politisch die Chose geworden ist. Die Cyberattacke war eine erste Warnung. Dabei wurde eine Ankündigung für eine Konferenz hier in Spiez von unserer Homepage kopiert und zusammen mit einem Trojaner unter unserem Namen gezielt an Abrüstungslabors und entsprechende Experten verschickt. Dass dann tatsächlich russische Agenten ins Berner Oberland reisen wollten, hat mich schon beunruhigt.

Welche Konsequenzen haben Sie aus den Vorfällen gezogen?
Unsere Vision ist eine Welt ohne Massenvernichtungswaffen. Ein wichtiger Grundsatz für die Abrüstung ist Transparenz. Vertrauen gewinnt man nur, indem man transparent zeigt, was man macht. Wir haben in der Vergangenheit stark auf Transparenz gesetzt. Wir informieren umfassend auf unserer Homepage, alle fünf Jahre machen wir einen Tag der offenen Tür. Das war stets ein grosser Erfolg, 2015 kamen rund 3000 Besucher nach Spiez. Hier müssen wir ein paar Änderungen vornehmen. Nicht, dass wir einen Sicherheitsmangel hätten, wir müssen künftig aber noch vorsichtiger sein.

Sie haben Ihre Sicherheitsvorkehrungen schon im Dezember verstärkt.
Unsere Sicherheitsvorkehrungen waren in Ordnung, sie entsprechen den vorgegebenen Standards des Verteidigungsdepartements. Sie wurden zuletzt Anfang 2018 überprüft. Es werden dennoch verschiedene Anpassungen vorgenommen – bauliche Massnahmen und auch die Prozesse.

Wie gehen Ihre Mitarbeitenden mit dem Druck um?
Wir müssen uns auf unsere Arbeit konzentrieren und Fehler vermeiden. Denn das ist das Ziel von politischem Druck: dass ein Bericht Fehler enthält und deshalb angreifbar ist.

Fakten haben an Stellenwert verloren, Fake News grassieren. Der russische Aussenminister instrumentalisiert, der US-Präsident glaubt nicht einmal seinem eigenen Geheimdienst. Das Labor Spiez sucht jedoch nach Fakten, nach der Wahrheit. Muss das Labor seine Arbeitsweise ändern?
Nein, unsere Arbeitsweise muss nicht geändert werden. Wir erhalten Proben einer internationalen Organisation. Diese gilt es, nach wissenschaftlichen Kriterien sauber und unabhängig zu analysieren und das Ergebnis bekannt zu geben. Dass Fakten nicht mehr anerkannt werden, ist vor allem ein politisches Phänomen. Es betrifft die Organisationen, die uns beauftragen. Die UNO, die OPCW oder auch einzelne Staaten. Diese müssen sich mit den Fake News herumschlagen. Ich halte diese Entwicklung für äusserst beunruhigend. Wenn entlang von Werten und nicht mehr nach Fakten entschieden wird, ist das gefährlich für die Demokratie, für die Weltordnung und für internationale Organisationen.

Die Gadgets der Top-Agenten von damals:

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Die Gadgets der Top-Agenten von damals
«Top Secret – Die geheime Welt der Spionage»: So hiess die Ausstellung, die bis Mai 2015 im deutschen Oberhausen zu sehen war. Hier wurden Gadgets präsentiert, die die Top-Agenten der Vergangenheit genutzt haben.
quelle: institut für spionage gmbh / institut fã¼r spionage gmbh
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Was tun Sie, damit Ihre Fakten gehört werden?
Ich möchte trotz aller Sicherheitsbedenken auch künftig möglichst transparent informieren. Kommunikation ist ein zentrales Element. Wenn man unsere Arbeit nachvollziehen kann, sieht die Bevölkerung, dass das Chemiewaffenabkommen funktioniert und gestützt ist auf seriöse und unabhängige Arbeit. So werden die Fakten gehört und nicht die Fake News.

Die OPCW hält geheim, welche Labors sie wann aufbietet. Gleichzeitig ist es kein Geheimnis, welches die besten Labors der Welt sind. Weshalb diese Geheimhaltung?
Das geschieht zum Schutz der Labors. Die Unabhängigkeit ist zentral, um die Labors vor politischem Druck zu schützen. Die OPCW hat rund 20 sogenannte designierte Labors, die nach strengen und jährlichen Qualitätstests ausgewählt sind. Diese sind bekannt. Sie sollen der OPCW verlässliche Analysen liefern. Sie müssen unabhängig vom nationalen und internationalen Druck ihre Arbeit machen können. Es gibt diverse Labors, die sich disqualifizieren, weil sie Partei sind. Also beispielsweise Labors aus einem Land, das in einen Konflikt involviert ist.

Die Zulassung als Vertrauenslabor sei sehr streng.
Das ist so: Die Tests sind aufwendig und schwierig. Sie finden zweimal pro Jahr statt. Jedes designierte Labor muss einmal pro Jahr an einem Test teilnehmen. Dabei gilt eine Nullfehlertoleranz. Passiert trotzdem ein Fehler, kann die Mitarbeit für eine gewisse Zeit sistiert oder sogar die Designierung entzogen werden. Es kann Jahre dauern, bis ein Labor dann wieder zu den Tests zugelassen wird. Doch das muss so sein. Denn die Analysenresultate können unter Umständen gravierende politische Konsequenzen nach sich ziehen.

Sind diese Druckversuche neu?
Ja, auf die Labors gab es das bis anhin nicht. Der Grund liegt an der Veränderung der sicherheitspolitischen Lage. Das Chemiewaffenabkommen trat 1997 in Kraft, bis heute sind fast alle Länder der Welt dabei. Es war bis vor kurzem unbestritten und erfolgreich: Über 95 Prozent der damals vorhandenen chemischen Waffen sind vernichtet. Die ganze Arbeit war für die Labors politisch nicht heikel. Nun ist man sich über diese Themen aber nicht mehr einig.

In Syrien oder Salisbury kehren Chemiewaffen zurück, die seit Jahrzehnten geächtet sind. Bröckelt das Verbot chemischer Waffen?
Ich befürchte keinen Rückfall in alte Zeiten, in denen die Grossmächte riesige Arsenale an chemischen Kampfstoffen hatten. Aber die Unstimmigkeiten, die man international etwa im Handel oder beim Vorgehen im Syrienkonflikt kennt, die haben sich auf den Bereich Chemiewaffen ausgeweitet. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass man sich an der letzten Staatenkonferenz vom Chemiewaffenabkommen auf keinen Konsensbericht einigen konnte. Das Budget musste erstmalig im Abstimmungsverfahren beschlossen werden. Früher gab es einen Konsens. Diese Entwicklung ist besorgniserregend. Denn Fakt ist: Wir haben ein Chemiewaffenabkommen, und es wird punktuell nicht eingehalten.

Wie gut ist die Schweiz gegen einen Giftgas-Anschlag geschützt?
Eine Prognose ist unmöglich. Dazu bräuchte es Erfahrung und entsprechende Zahlen. Verkehrsunfälle beispielsweise kann man quantifizieren aufgrund der Unfälle des Vorjahres. Solche Zahlen fehlen uns, weil Ereignisse kaum auftreten. Ich schätze die Gefahr als klein ein, aber nicht gleich null. Es gab zuletzt mehrere Vorfälle. In Malaysia wurde 2017 der Halbbruder von Kim Jong Un vergiftet, 2018 war der Vorfall in Salisbury, und in Deutschland konnte im letzten Jahr ein offenbar islamistischer Attentäter von den Sicherheitskräften bei seinen Vorbereitungen mit Ricin-Gift und Sprengstoff festgenommen werden. Die Gefahr für einen Vorfall in der Schweiz ist deshalb leicht angestiegen. In den Szenarien, die wir für den Bund erstellen, werden wir das Risiko nach oben korrigieren. (aargauerzeitung.ch)

Spion Daniel M. legt Geständnis ab und nennt Namen:

Video: srf/SDA SRF
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8 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Butschina
31.01.2019 04:45registriert August 2015
Spannendes Interview, Danke.
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