Schweiz
Interview

Frauenstreik: Lisa Mazzone über das Jahr nach der Frauenwahl

Lisa Mazzone, GP-GE, waehrend der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 10. Juni 2020 im Staenderat in einer Ausstellungshalle von Bernexpo in Bern. Damit das Parlament die vom Bundes ...
Ruhig, besonnen, schlau: Lisa Mazzone schaffte bei den Parlamentswahlen die Sensation: Die 32-jährige schnappte sich mit grossem Vorsprung den Genfer Ständeratssitz. Bild: keystone
Interview

«Wenn ich heute durch die Wandelhalle laufe, dann ist das eine andere Welt»

Auf den Frauenstreik folgte die Frauenwahl. Noch nie wurden so viele Frauen ins Parlament gewählt wie im Oktober 2019. Und doch haben sich die Forderungen der streikenden Frauen noch nicht erfüllt. Die Neo-Ständerätin Lisa Mazzone (Grüne) sagt, warum das so ist.
14.06.2020, 06:2815.06.2020, 08:10
Mehr «Schweiz»

Lisa Mazzone, im Oktober letzten Jahres wurden Sie in den Genfer Ständerat gewählt – mit einem Glanzresultat. Die Konkurrenz haben Sie weit hinter dir gelassen. Warum waren Sie so erfolgreich?
Lisa Mazzone: Wichtig war sicher der grosse Erfolg der Grünen, insbesondere in Genf, wo wir neu die grösste Partei des Kantons wurden. Die Bewegung für das Klima und die Umwelt verschaffte uns Grünen Aufwind. Und eine grosse Rolle hat auch die Frauenbewegung gespielt. Der Ständerat gilt als Kammer, in der Frauen sehr untervertreten sind. Die Genfer waren kühn genug, eine junge Grüne dahin zu schicken.

Sie sind von der Gemeinderätin in den Kantonsrat, in den Nationalrat und schliesslich in den Ständerat aufgestiegen. Wie haben Sie die ersten Wochen im Ständerat erlebt?
Es war schwierig. Es gibt viele Regeln und Traditionen, die nirgendwo aufgeschrieben sind, aber an die man sich halten muss. Ich musste zuerst einmal lernen, diese Verhaltensregeln zu verstehen und lernen, was angemessen ist und was nicht. Es gibt beispielsweise die Tradition, dass die Neugewählten während der ersten Session nicht sprechen, sondern nur zuhören sollen. Das wusste ich vorher nicht und hat mich sehr gestört. Ich wurde schliesslich nicht gewählt, um zu schweigen.

Und dann?
Solche Traditionen zu hinterfragen, kann natürlich auch heikel sein. Uns half, dass es noch nie so viele Neue im Ständerat gab wie nach den Wahlen im Oktober. 22 von den insgesamt 46 Ständeräten waren neu. Die fünf Grünen waren allesamt neu. Fast die Hälfte des Rates hätte also während drei Wochen schweigen müssen. Wir fanden einen Weg, die Regeln etwas zu lockern, ohne dass das als Bruch empfunden wurde.

Nach den Wahlen im Oktober hat sich der Frauenanteil im Ständerat verdoppelt. Was hat sich damit verändert?
Man merkt, dass es mehr weibliche Stimmen gibt. Man sieht mehr Frauen, man hört sie öfters sprechen. Das fällt auf.

«Wenn eine Frau das Wort ergreift, dann fällt das noch immer auf. Vor allem auch bei mir als grüne Frau, die zudem im Vergleich zu den anderen auch sehr jung ist.»

Noch ist der Ständerat aber nach wie vor von Männern dominiert, der Anteil beträgt 74 Prozent. Wie erleben Sie das?
Nicht nur in der Kammer selbst, auch in den Kommissionen sind die Frauen nach wie vor stark untervertreten. Wenn man in diesen Gremien arbeitet, merkt man, dass man sich gewohnt ist, unter Männern zu sein. Wenn eine Frau das Wort ergreift, dann fällt das noch immer auf. Vor allem auch bei mir als grüne Frau, die zudem im Vergleich zu den anderen auch sehr jung ist. Das fühlt sich schon etwas seltsam an. Und es ist keine einfache Herausforderung, mir in diesem Kontext Platz zu verschaffen.

Müssen Sie sich deswegen mehr durchsetzen als Ihre männlichen Ratskollegen?
Es geht vor allem auch um mein Alter und den Lebensweg, insbesondere darum, dass ich keine Exekutiverfahrung habe. Das hat schon zur Folge, dass ich glaube, etwas beweisen zu müssen. Ein Teil davon ist vielleicht auch Druck, den ich mir selber mache. Was ja auch wieder typisch ist für Frauen. Wir sind oft sehr kritisch mit uns selber.

Die Grüne Lisa Mazzone und der Sozialdemokrat Carlo Sommaruga gewinnen die Ständeratswahlen im Kanton Genf.
Der Sozialdemokrat Carlo Sommaruga und die Grüne Lisa Mazzone gewinnen die Ständeratswahlen im Kanton Genf. Bild: KEYSTONE

Nicht nur im Ständerat, auch im Nationalrat stieg der Frauenanteil von 32 auf 42 Prozent. Was hat die Frauenwahl generell verändert?
Als ich vor vier Jahren in den Nationalrat gewählt wurde, war ich die Jüngste im Rat und zudem als Frau in einer Minderheit. Das hat sich jetzt markant geändert. Es gibt mehr Junge und es gibt mehr Frauen. Wenn ich heute durch die Wandelhalle laufe, dann ist das eine andere Welt. Es ist normal, dass es überall Frauen gibt. Ich falle nicht mehr so auf und fühle mich nicht mehr so alleine. Das ist einiges angenehmer.

Ständig spricht man von der Repräsentation von Frauen in Politik und Wirtschaft. Was soll das eigentlich bringen? Ist es wirklich so anders, wenn sich Frauen und Männer die Posten 50:50 teilen?
Repräsentation ist wichtig, es geht ja darum, dass die Bevölkerung gut vertreten ist. Und ja, es macht tatsächlich einen Unterschied, ob nur Männer vertreten sind oder auch Frauen. Das ist wissenschaftlich bewiesen und hängt von der Sozialisierung ab. Frauen sprechen andere Themen an, bringen andere Kompetenzen mit, machen den Diskurs diverser. Sie sind tendenziell offener gegenüber Umwelt- oder Sozialthemen, sie suchen eher nach Lösungen für die ganze Gesellschaft.

«Es gab noch keine Gelegenheit, die Anliegen der streikenden Frauen zu beantworten.»

Es gibt auch Frauen, die ganz genau dieselbe Politik und dieselben Ziele verfolgen wie ihre männlichen Parteikollegen. Da kommt es nicht wirklich auf das Geschlecht an.
Da würde ich widersprechen. Ich spüre bei den Frauen einen grösseren Willen, auch überparteilich zu arbeiten. Es gibt eine Offenheit, die über die Grenze der eigenen Partei hinausgeht. Und gerade wenn sich in der Gesellschaft etwas bewegt, so wie der Frauenstreik Hunderttausende bewegt hatte, beginnt sich auch bei diesen Frauen in der Politik etwas zu bewegen.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Beim Thema Lohngleichheit oder bei den Frauenquoten. Dort gibt es inzwischen auch viele Frauen aus dem bürgerlichen Lager, die diese Forderungen unterstützen. Verschiedene FDPlerinnen haben da einen grossen Schritt nach vorne gemacht. Die Präsidentin der FDP-Frauen hat sich positiv über Frauenquoten geäussert. Da können wir anknüpfen.

Die Aktivistinnen des feministischen Streikkollektivs in Zürich sagen: «Unsere Forderungen haben sich nicht erfüllt. Viele Missstände haben sich durch die Coronakrise verschlechtert.» Wie sehen Sie das?
Das sehe ich auch so. Es gab ein paar politische Debatten, bei der uns die Energie nach dem Frauenstreik zugutekam. Zum Beispiel beim Vaterschaftsurlaub. Aber seither gab es noch keine Gelegenheit, die Anliegen der streikenden Frauen zu beantworten. Es gibt nach wie vor keine Lösung für die Rentenlücken von Frauen, es herrscht noch immer keine Lohngleichheit, auch bei der Kinderbetreuung gibt es keine Verbesserung.

Und schuld daran ist die Coronakrise?
Die Coronakrise hat den Ratsbetrieb auf Pause gestellt. Wir konnten unsere Themen vorerst nicht einbringen. Was nicht heisst, dass die Gleichstellungsthemen in den Hintergrund gerückt sind. Das ist insbesondere in den vergangenen Monaten sehr deutlich geworden.

«Was sich sicher verändert hat, ist die Stimmung. Als junge Frau fühle ich mich in der Wandelhalle nicht mehr wie eine Exotin.»

Wie?
Die Männer waren in der Krise sehr präsent. Die Medien waren voll mit Experten, die zu Wort kamen, an den Pressekonferenzen des Bundesrates traten fast ausschliesslich Männer auf. Der wissenschaftliche Beirat des Bundesrates bestand ebenfalls fast nur aus Männern. Das Bild, das gezeichnet wurde war: In der Krise sind es die Männer, die uns retten. Dabei waren es vor allem Frauen, die in den systemrelevanten Berufen arbeiten und die uns durch diese Krise getragen haben.

Nach der Frauenwahl hat sich also bisher nicht wirklich etwas geändert. Zeigt das nicht: Selbst wenn Frauen ins Parlament gewählt werden, bleibt doch alles beim Alten…
Nein. Es zeigt, dass das Parlament Zeit braucht, um Umbrüche voranzutreiben. Und es zeigt, dass wir unterbrochen wurden. Es ist noch zu früh, um eine Bilanz zu ziehen. Was sich sicher verändert hat, ist die Stimmung. Als junge Frau fühle ich mich in der Wandelhalle nicht mehr wie eine Exotin.

Welche kommenden politischen Kampagnen sind betreffend der Gleichstellung für Sie besonders wichtig?
Die Abstimmung für den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub zu gewinnen, ist mir sehr wichtig. Dann die Vorsorgelücken für Frauen zu schliessen, die Löhne von Berufen zu erhöhen, in denen Frauen übervertreten sind und die Kinderbetreuung zu verbessern. Denn die Ungleichheiten verstärken sich, sobald Eltern Kinder bekommen.

Sie sind auch frischgebackene Mutter, bekommen Sie alles unter einen Hut?
Mein Sohn ist ein Jahr alt und ja mein Partner und ich organisieren uns gut. Er geht in die Kita und ich habe meinen Vater, der bei der Betreuung mithilft. Er spielt eine sehr wichtige Rolle da drin.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
14 Bilder vom Frauenstreik am 14. Juni 1991
1 / 16
14 Bilder vom Frauenstreik am 14. Juni 1991
Am Schweizer Frauenstreik vom 14. Juni 1991 beteiligen sich Hunderttausende von Frauen landesweit an Streik- und Protestaktionen. Im Bild: Eine Gruppe von Frauen auf dem Helvetiaplatz in Zürich.
quelle: keystone / walter bieri
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Streikende Parlamentarierinnen Frauenstreik 2019
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
41 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Philboe
14.06.2020 09:58registriert Juli 2015
Hört auf mit Genderfragen und Quoten. Lässt einfach die dazu kompetenteste Person sprechen. Ob dies nun Frau, Mann, Transsexuelle etc sind ist vermutlich den meisten egal. Wir brauchen intelligente, mutige, lösungsorientierte und gefestigte Personen welche analysieren, entscheiden und durchsetzen. Alles andere ist wie ein Preis fürs mitmachen nur damit man sich nicht schlecht fühlt. Schenkt endlich denen Gehör die es verdient haben und nicht denen die am lautesten schreien
13667
Melden
Zum Kommentar
avatar
Bruno Wüthrich
14.06.2020 11:10registriert August 2014
Wann waren die Wahlen schon wieder?
Wann war der politische Lockdown und wie lange dauerte er?
Ich finde es unglaublich, dass sich in dieser langen Zeit seit den letzten Wahlen nicht mindestens alles grundlegend geändert hat.
Wie lange wollt ihr eigentlich noch Geduld haben? Sieben Monate müssten doch vollkommen reichen, um die Schweiz vollständig umzukrempeln.
Also ich verstehe die Ungeduld vieler Journalistinnen vollkommen.
Denn immerhin: Oktober 2019 - da war noch finsterstes Mittelalter. Und seither hat sich nichts verändert !?!?
Unglaublich!
8037
Melden
Zum Kommentar
avatar
DeDanu
14.06.2020 10:12registriert Januar 2019
Quotenregelungen sind ebenso diskriminierend wie rassimus. Weder das Geschlecht noch die Hautfarbe dürfen eine Rolle spielen. Das einzige was zählt ist qualifikation und Leistungsausweis. Warum offensichtliches derart komplizieren ?
3213
Melden
Zum Kommentar
41
Unfälle auf Schweizer Autobahnen führen zu Staus auf A1 und A7 – Rega im Einsatz

Auf der A1 zwischen Winterthur-Ost und Matzingen TG kam es zu einem Unfall. Die A1 ist dort in beide Richtungen gesperrt. Gemäss «Züri Today» ereignete sich der Unfall bei Bertschikon ZH. Bei dem Unfall seien vier Fahrzeuge involviert. Auch die Schweizerische Rettungsflugwacht (Rega) ist vor Ort.

Zur Story