Schweiz
Islamischer Staat (IS)

Winterthurer IS-Rückkehrerin steht vor Obergericht

Winterthurer IS-Rückkehrerin steht vor Obergericht: Sie bleibt der Verhandlung fern

04.05.2020, 07:2504.05.2020, 13:08
Mehr «Schweiz»
Ein Kämpfer der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) mit einer Flagge. (Symbolbild)
Ein Kämpfer der Terrorgruppe IS mit einer Flagge. (Symbolbild)Bild: AP Raqqa Media Center of the Isl

Am Zürcher Obergericht hat am Montag der Berufungsprozess gegen eine junge IS-Reisende begonnen, allerdings ohne die Hauptperson. Die Frau blieb der Verhandlung unentschuldigt fern. Das Verfahren wird nun schriftlich geführt und das Urteil zu einem späteren Zeitpunkt eröffnet.

Der leere Stuhl war für den Oberjugendanwalt ein weiteres Zeichen dafür, dass die junge Frau diesen Berufungsprozess gar nicht will. «Das spricht Bände. Der Weiterzug ist der Willen ihres Anwaltes, aber nicht ihr eigener.» Er forderte, das Verfahren abzubrechen.

Ihr Verteidiger räumte zwar ein, dass es immer wieder Meinungsumschwünge gegeben habe. Das liege aber an der seelischen Belastung, welcher die junge Frau ausgesetzt sei. Sie ist gemäss seinen Aussagen der Ansicht, dass sie ohnehin keine Chance vor Gericht hat, weil sie Muslima ist. «Aber es braucht eine neue Beurteilung. Die Justiz geht übermässig hart mit IS-Reisenden um.»

Das Gericht entschied schliesslich, den Prozess trotz Meinungsumschwüngen durchzuführen. Der Fall sei zwar nicht ganz eindeutig, doch habe die junge Frau ihrem Anwalt nie den expliziten Auftrag gegeben, die Berufung abzubrechen.

«Die Justiz geht übermässig hart mit IS-Reisenden um.»
Verteidiger der Angelklagten

Das Berufungsverfahren wird somit fortgesetzt. Weil die junge Frau zum Zeitpunkt ihrer Syrien-Reise aber noch minderjährig war, gilt das Jugendstrafrecht. Das bedeutet, dass Journalisten am Montag nur bei einem Teil der Befragung hätten dabei sein dürfen. Weil die Hauptperson für die Befragung fehlte, entfiel sogar dieser Teil – und der Anlass war für die Medien schon nach zwei Stunden beendet.

Das Obergericht wird das weitere Verfahren schriftlich führen und das Urteil dann zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls schriftlich publizieren. Eine Urteilseröffnung im Saal wird es nicht geben.

Mutter holte die Geschwister nach Hause

Die junge Frau reiste 2014 im Alter von 15 Jahren zusammen mit ihrem 16-jährigen Bruder ins Gebiet der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien. Der Bruder soll dort eine Koranschule besucht und die Logistik des IS unterstützt haben.

Sie selber hat gemäss Anklage den Haushalt gemacht, Kinder gehütet und etwas Englisch unterrichtet. Beide Geschwister sollen zudem in intensivem Kontakt mit IS-Sympathisanten gestanden sein und versucht haben, Familie und Freunde zum Nachkommen zu überreden.

Ihre verzweifelte Mutter reiste schliesslich nach Syrien und holte die Kinder in die Schweiz zurück. Ein erster Ausreiseversuch scheiterte jedoch im Oktober 2015 an der türkischen Grenze. Erst knapp drei Monate später schaffte es die Mutter mit ihren Kindern zurück nach Zürich, wo am Flughafen bereits die Polizei wartete.

Hilfseinsatz für die Bevölkerung?

Beim Prozess vor dem Winterthurer Jugendgericht im vergangenen Jahr hatten die beiden fast jegliche Aussage verweigert und ihre Reise als harmlosen Hilfseinsatz für die kriegsgebeutelte Bevölkerung dargestellt. Das Gericht glaubte ihnen nicht und verurteilte die beiden wegen Verstosses gegen das IS-Verbot.

Die junge Frau erhielt eine bedingte Freiheitsstrafe von zehn Monaten, wobei sie während der Untersuchungszeit bereits neun Monate im Gefängnis sass. Zudem sollte sie eine Therapie machen, die sie allerdings nach Erreichen der Volljährigkeit abbrechen wollte. Sie brauche das nicht mehr, begründete sie diesen Entscheid.

Ihr Anwalt zog bis vor Bundesgericht, um einen sofortigen Therapie-Stopp zu erwirken, allerdings vergeblich. Die Lausanner Richter fanden, dass der Fall zuerst vor Obergericht verhandelt werden solle. Dieses solle auch über die Therapie entscheiden.

Neues Strafverfahren gegen den Bruder

Anders als seine Schwester akzeptierte der ein Jahr ältere Bruder das erstinstanzliche Urteil des Winterthurer Gerichtes. Er erhielt elf Monate Freiheitsstrafe bedingt. Während der Untersuchungszeit sass er bereits zehn Monate im Gefängnis.

Von der Ideologie sagte er sich offenbar aber nicht los: Die Bundesanwaltschaft eröffnete bereits ein neues Strafverfahren gegen ihn, erneut wegen Verstosses gegen das IS-Verbot. (sda)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
«Historisches Verbrechen»
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
41 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Kiro Striked
04.05.2020 09:18registriert August 2019
"Ihr Verteidiger bezeichnete es gegenüber der «NZZ» einst als «Unsinn», jemanden zur Therapie zu zwingen, der nicht dazu bereit sei. Das erhöhe die Sicherheit garantiert nicht."

Naja einer Terroristin einfach einen Freifahrtschein zu geben wäre einfach nur lächerlich den Opfern des IS gegenüber, die Abertausenden von friedlich Lebenden Moslems und anderen Religionen, die abgeschlachtet wurden, vergewaltigt und ausgeraubt wurden. Deren Familien einfach getötet wurden weil der IS es so wollte.

Ja lassen wir eine solche Terroristin einfach gehen. Weil "sie ja nicht will"....
2748
Melden
Zum Kommentar
avatar
Baccaralette
04.05.2020 09:02registriert Oktober 2015
Wie harmlos ihr Einsatz gewesen sein muss, kann man ja aufgrund diverser anderer Schicksale ziemlich gut beurteilen, finde ich.
Da sie sich gar nicht einsichtig zeigt und der Bruder nach wie vor im Dunstkreis des IS unterwegs ist, sollte man ganz sicher keine Aufhebung der Therapie veranlassen.
2125
Melden
Zum Kommentar
avatar
Bivio
04.05.2020 11:19registriert März 2018
Hier, wie auch in anderen Verfahren, stellt sich die Frage, wie geht man mit Leuten um, welche sich nicht auf eine Therapie einlassen wollen bzw. diese nicht in einem vernünftigen zeitlich und monetär vertretbaren Rahmen durchführbar ist.
Offensichtlich hängt die Frau nach wie vor an der IS Ideologie. Daher sollte die Frau dringenst hinter Gitter. Der Deal war ja: Therapie oder Strafe. Sie hat sich also für die Strafe entschieden.
1085
Melden
Zum Kommentar
41
St. Galler Amtsleiter reiste für mehrtägige Wolfsjagd nach Russland – und erntet Kritik

Der Leiter des Amtes für Natur, Jagd und Fischerei des Kantons St. Gallen hat zusammen mit einem Wildhüter während der Arbeitszeit in Russland an einer mehrtägigen Wolfsjagd teilgenommen. Das berichtet das SRF-Regionaljournal Ostschweiz. Naturschutzverbände kritisieren die Reise als «Erlebnisreise» ohne tatsächlichen Erkenntnisgewinn.

Zur Story