Auf der Bühne des Theatersaals im Volkshaus Zürich, wo sonst Comedians oder Rockbands schwitzen, sass am Mittwoch Einzelrichter Marius Weder vor einem schweren, dunklen Vorhang. Zu seiner Linken eine Übersetzerin, rechts der Gerichtsschreiber. In den Publikumsrängen vor ihm gruppierten sich die Beschuldigten und deren Anwälte jeweils an einem Tisch. Vor dem Volkshaus hielten sich deren Freundinnen und Unterstützer an Transparenten fest und riefen: «Klima schützen ist kein Verbrechen!» Ob dies der Richter auch so sieht?
Diese Frage stand beim Prozess gegen die neun Angeklagten im Mittelpunkt. Gemäss Staatsanwaltschaft hatten sie bei einer Protestaktion gegen klimaschädliche Investitionen des Schweizer Finanzplatzes im Sommer 2019 Hausfriedensbruch begangen und sich der Nötigung schuldig gemacht. Zusammen mit rund 50 anderen Demonstrierenden blockierten sie während Stunden die Haupt- und Nebeneingänge der Credit Suisse Filiale am Paradeplatz in Zürich. Sie verbarrikadierten sich hinter Blumentöpfen, Gitter und mitgebrachten Velos. Einige ketteten sich an die Türen. Die Polizei musste die Blockade aufwendig räumen lassen. 64 Personen wurden verhaftet und für 48 Stunden in Gewahrsam genommen.
Die meisten akzeptierten die darauffolgenden Bussen. Sechs Frauen und drei Männer erhoben Einspruch gegen den Strafbefehl, woraufhin es zum Prozess kam. Die neun Beschuldigten und ihre Verteidigung sind der Meinung, nicht sie, sondern vielmehr die Credit Suisse habe sich schuldig gemacht. Indem sie in fossile Energien investiere und damit massive CO2-Emissionen verursache. Dies, obschon die Bank ihr Geschäft mit den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens in Einklang bringen wolle. Doch seit das Abkommen in Kraft ist, haben die CS und die UBS laut einer SRF-Recherche über 88 Milliarden Dollar für Kohle-, Öl- und Gasfirmen mit Krediten und Vermittlung am Kapitalmarkt finanziert.
Auf diese Investitionen verwiesen auch die Anwälte der Beschuldigten am Mittwoch vor Gericht. Die CS nehme als Antreiberin des menschengemachten Klimawandels eine überproportional wichtige Rolle ein. Der Protest gegen die Bank und insbesondere die gewählte Protestform seien legitim. Weil hier der Artikel 17 des Strafgesetzbuches zu Tragen komme, müssten die Angeklagten vollumfänglich freigesprochen werden.
In jenem Artikel des «rechtfertigenden Notstandes», der während der Verhandlung immer wieder zitiert wurde, geht es darum, dass in einem Notfall eine strafbare Tat begangen werden darf. Nämlich wenn damit ein hochwertiges Rechtsgut gerettet, eine unmittelbare Gefahr abgewendet und höherwertige Interessen gewahrt werden können. In den Augen der Verteidiger sei dies im Fall der CS-Blockade der Fall.
Fanny De Weck, eine der Anwältinnen, sagte: «Unseren Klienten geht es nicht um weniger als die Rettung unseres Planeten. Die Beschuldigten setzten sich sozusagen als Whistleblower für den Klimaschutz ein.» Auf legalem Weg hätten sie bereits zahlreiche Bemühungen unternommen, die breite Öffentlichkeit auf das Problem des Schweizer Finanzplatzes aufmerksam zu machen und die CS von ihren Investitionen abzubringen. Doch weder Petitionen, Demonstrationen, noch politische Vorstösse änderten etwas an der Anlagepraxis der Bank. «Den Angeklagten blieb also nichts anderes übrig, als selbst gegen die CS zu protestieren.» Sie seien gar von der Schweizer Eidgenossenschaft in diese Rolle gedrängt worden. Weil diese, beispielsweise mit dem kommenden CO2-Gesetz, den Schweizer Finanzplatz nicht zwingend an Vereinbarungen binde.
Die Strategie der Anwälte knüpft hier an den Erfolg von mehreren Klimaaktivisten, die in den vergangenen Monaten vor Gericht einen Freispruch erzielt hatten. Im Oktober 2020 machte das Genfer Kantonsgericht angesichts der Klimakrise den rechtfertigenden Notstand geltend und sprach einen jungen Mann frei. Dieser hatte ein CS-Gebäude mit abwaschbarer Farbe verschmiert. Zum selben Schluss kam ein Waadtländer Bezirksrichter im Januar 2020 im Prozess gegen zwölf Klimaaktivistinnen, die in einer CS-Filiale Tennis gespielt hatten. Die zweite Instanz hob das Urteil allerdings wieder auf. In beiden Fällen wurde Beschwerde eingereicht, weswegen nun das Bundesgericht darüber urteilen muss.
Die zwischen 21- und 26-jährigen angeklagten Aktivistinnen und Aktivisten hoffen nun also, dass zum ersten Mal auch ein Deutschschweizer Gericht den Klimawandel als strafrechtlicher Notstand anerkennt. Am Mittwoch im Volkshaus schienen sie guten Mutes zu sein, dass dem bald so sein wird. Obwohl bei der Einvernahme alle ausser zwei Personen ihre Aussagen verweigerten, wurde klar: Sie bereuen nicht, was sie getan haben und würden es jederzeit wieder tun. Eine Angeklagte sagte: «Ich machte bei dieser Aktion mit, weil ich weiss, dass der CS eine grosse Verantwortung zukommt. Mir war wichtig, das ans Licht zu bringen.»
Wenig Verständnis für das Verhalten der Aktivisten hatten der Staatsanwalt und der Vertreter, der für die Privatklägerin Credit Suisse vor Gericht anwesend war. «Es mag sein, dass sie sich bei der Aktion von guten Absichten leiten liessen. Doch wer hat die Beschuldigten ermächtigt, in Selbstjustiz aktiv zu werden?», fragte Staatsanwalt Daniel Kloiber. Auch würde er gerne wissen, wie denn das Blockieren eines Gebäudes dazu geeignet sei, die Klimaerwärmung zu stoppen. In seinen Augen könne keinesfalls von einem rechtfertigenden Notstand die Rede sein. «Die Tat der Beschuldigten war nicht geeignet, eine Gefahr abzuwenden. Ihnen ging es nur um Effekthascherei.»
Die Verhandlung endete noch vor der Urteilsverkündung. Richter Weder, der den Plädoyers beider Seiten von der Bühne aus aufmerksam zugehört hatte, wird sein Urteil am Freitag eröffnen und entscheiden, ob die Parolen rufenden Unterstützerinnen vor dem Volkshaus mit ihrem Slogan Recht haben – oder nicht.
Sei ja für den Klimaschutz…