Bei der SVP weiss man es längst. Noch heute läuft ideologisch, materiell und strukturell wenig ohne Christoph Blocher, 79, den grossen alten Mann der Partei. Wird es wichtig – und das ist die Wahl eines neuen Präsidenten – schaltet er sich ein. Zwar hatte die SVP eine Findungskommission eingesetzt. Doch diese rapportierte nach Herrliberg. Erst fünf vor zwölf fand die Kommission mit Marco Chiesa noch einen genehmen Kandidaten.
Kaum bekannt ist, dass auch bei der SP ein grosser, alter Mann hinter den Kulissen Fäden zog: Helmut Hubacher, 94, am Mittwoch verstorben. Erst sein Tod legt frei, wie stark er im hohen Alter noch in die personelle und programmatische Arbeit der Partei involviert war. Er beriet und schrieb am Wirtschaftskonzept mit. Er begleitete SP-Talente wie Cédric Wermuth über Jahre hinweg auf ihrem Weg.
Hubacher sei einer der Ersten gewesen, der ihn als Juso-Präsidenten inhaltlich angegriffen habe, sagt Wermuth. Immer wieder schrieb er ihm wohlwollend-kritische Briefe. Wermuth: «Er begleitete die Kandidatur von Mattea Meyer und mir seit ein paar Monaten interessiert mit.»
Die beiden grossen alten Männer griffen ein, weil sie alarmiert sind – und waren. Christoph Blocher hatte 1977 die Zürcher SVP und dann die SVP Schweiz übernommen. Wie ein Hauptaktionär machte er sie zur grössten Partei. Er musste aber 2019 mit ansehen, wie sie die Wahlen deutlich verlor. Die Partei, die einst Angst und Schrecken verbreitete, verlor ihren Siegernimbus.
Es kam zur Auseinandersetzung mit Präsident Albert Rösti, die in dessen überraschenden Rücktritt gipfelte. Es ist nicht zu übersehen, wie die SVP in Zeiten von Corona- und Klimakrise schlingert und in verschiedene Richtungen zu zerfallen droht. Offensichtlich sind die Defizite auch bei der digitalen Mobilisierung.
Helmut Hubacher wiederum hat fast alle Facetten der Geschichte der SP miterlebt. Wie sie sich im Zweiten Weltkrieg von der «Diktatur des Proletariats» verabschiedete und zur Landesverteidigung bekannte. Wie sie sich nach 1968 unter seiner Führung von der klassenkämpferischen Arbeiterpartei zur mittelständischen Volkspartei entwickelte. Und wie sie heute, nach dem Klimasieg der Grünen, am Scheideweg steht.
Die beiden grossen alten Männer sehen und sahen ihr Erbe in Gefahr. Wie lässt sich verhindern, dass die grösste Partei des Landes kontinuierlich in das Mittelmass rutscht, aus dem sie einst kam, dürfte sich Blocher fragen. Hubacher wusste: Die SP befindet sich an einer roten Linie, die Zukunft steht auf dem Spiel. Ihm war klar: Gerade mit der Coronakrise kann die Sozialdemokratie ein Revival erleben. Wenn sie sich neu erfindet. Das garantieren nur Wermuth/Meyer.
Auf den ersten Blick ist Blochers Position deutlich komfortabler. Die SVP ist noch immer klar stärkste Partei. Seine Nachfolge hat er – halbwegs – geregelt. Tochter Magdalena Martullo soll Ueli Maurer als Bundesrat beerben. Materiell muss sich die SVP keine grossen Sorgen machen. Dennoch hat sie Probleme: Programmatisch ist sie ausgedörrt, strukturell veraltet – und die Top-down-Führung ist im Vergleich zu den besten Zeiten ein laues Lüftchen. Marco Chiesa wird beweisen müssen, dass er mehr ist als ein Tessiner Sonnenschein.
Helmut Hubacher dürfte sich bis zum Schluss diebisch über seine Geburtshilfe gefreut haben für den Aufbruch der Sozialdemokratie in eine neue Ära. Eine, die in den Klassenkampf (zurück-)führt, den Service public und den Staat stärker betont denn je.
Blochers SVP sucht wieder Tritt. Er ist dabei, «seine» SVP der Tochter zu vererben. Hubachers SP sucht den Aufbruch zur Revolution. Stimuliert durch die Aura jenes Mannes, der wie Bernie Sanders sein Leben lang links politisierte. Der Spiritus Rector legte die Zukunft der Partei in die Hände der Juso. Die SP geht volles Risiko. «Venceremos», schrieb Ex-Juso-Chefin Tamara Funiciello im Gedenken an Hubacher. «Wir werden siegen.»
Oder mit wehenden Fahnen untergehen.
Der andere ist nur noch alt.
Und zum Glück ist die Schweiz noch keine Erbmonarchie. Also gibt es hier auch nichts zu beerben, auch wenn einige dies gerne so hätten.