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Corona und Asyl: Die Zahl der Flüchtlinge sank 2020 drastisch

Asylsuchende unterhalten sich im Aufenthaltsraum des Bundesasylzentrums Thun am Dienstag, 22. Maerz 2016 in Thun. (KEYSTONE/Lukas Lehmann)
Asylsuchende warten auf ihren Entscheid im Bundesasylzentrum Thun. Bild: KEYSTONE

Corona stoppt Migrationsbewegungen: So wenig Flüchtlinge kommen noch in die Schweiz

Einst prägten sie die Nachrichten, jetzt sind geflüchtete Personen gänzlich aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden – was nicht heisst, dass es sie nicht mehr gibt. Die wichtigsten Asylzahlen und -grafiken im Überblick.
05.02.2021, 06:3809.03.2021, 10:25
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Im Corona-Jahr gerieten Asylsuchende aus dem Fokus von Politik und Medien – was nicht heisst, dass keine da waren. Zwar stellten so wenige Personen in der Schweiz ein Asylgesuch wie zuletzt vor dreizehn Jahren, doch gerade an den europäischen Aussengrenzen versuchen nach wie vor viele Menschen, die Grenzen zu überwinden.

So wenig Asylgesuche wie zuletzt vor 13 Jahren

Im Jahr 2020 wurden 11'041 Asylgesuche gestellt. Das sind 22,6 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Es ist der tiefste Wert seit dem Jahr 2007 mit 10'844 Gesuchen. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) schreibt, die Entwicklung der Asylzahlen im vergangenen Jahr sei geprägt gewesen von der Covid-19-Pandemie und damit zusammenhängenden Grenzschliessungen.

Gemessen an allen Asylgesuchen, die im Jahr 2020 in Europa gestellt wurden, liegt der Anteil derjenigen in der Schweiz bei 2,2 Prozent. Dies ist einer der tiefsten Werte seit dem Ende des Kalten Krieges. Die meisten Asylgesuche pro 1000 Einwohner wurden in Zypern, Malta, Griechenland, und Spanien gestellt.

Eritrea bleibt wichtigstes Herkunftsland

Im vergangenen Jahr wurden 1917 Asylgesuche von Eritreerinnen und Eritreern registriert. Das sind 1000 weniger als noch im Jahr davor. Der grösste Teil dieser Gesuche sind auf Geburten und Familienzusammenführungen zurückzuführen. Lediglich 211 eritreische Asylsuchende gelangten im 2020 neu in die Schweiz.

Weitere wichtige Herkunftsländer waren Afghanistan, die Türkei, Algerien, Syrien, Sri Lanka und Marokko.

Ein Drittel der Asylgesuche wird bewilligt

Insgesamt hat das SEM im vergangenen Jahr 17'223 Asylgesuche bearbeitet. Davon wurden 8209 abgelehnt. In 5409 Fällen wurde Asyl gewährt. Das entspricht einer Anerkennungsquote von 33 Prozent. Von den abgelehnten Entscheiden erhielten 4583 Personen eine vorläufige Aufnahme (Ablehnung mit VA).

Bei eritreischen Staatsbürgern liegt die Anerkennungsquote bei 67 Prozent. Rechnet man die vorläufig Aufgenommenen noch dazu, so ergibt das eine Schutzquote von 88 Prozent. Will heissen: Nur wenige Personen aus Eritrea müssen die Schweiz wieder verlassen. Die meisten erhalten eine vorläufige dauerhafte Aufenthaltsbewilligung.

Schwieriger ist die Situation für afghanische Geflüchtete. Ihre Asylgesuche werden meistens abgelehnt. Nur 17 Prozent wird Asyl gewährt. Weil man aber die meisten aufgrund des Völkerrechts nicht in ihr Land zurückschaffen darf, erhalten auch sie eine vorläufige Aufnahme. Die Schutzquote für afghanische Personen lag im vergangenen Jahr bei 84 Prozent.

Sehr schlecht stehen die Chancen auf ein positives Asylgesuch für Menschen aus Algerien und Marokko. Lediglich 2 Prozent aller Asylgesuche von algerischen Personen wurden 2020 positiv oder mit einer vorläufigen Aufnahme beantwortet. Bei marokkanischen Staatsbürger lag die Schutzquote bei 5 Prozent.

Rückschaffungen

Gemäss dem Dublin-Abkommen darf eine Person nur in einem Dublin-Land ein Asylgesuch stellen. Reist zum Beispiel eine syrische Geflüchtete in Italien ein und stellt dort ein Asylgesuch, so darf sie danach nicht auch noch in der Schweiz eines stellen. Die Schweiz hat darum im letzten Jahr 941 Personen gemäss Dublin-Abkommen über den Luft- oder Landweg in ein anderes Land gebracht. Am häufigsten handelte es sich bei den Zurückgeführten um algerische oder marokkanische Staatsbürger.

Immer wieder passiert es auch, dass Asylsuchende nach ihrer Ankunft in der Schweiz untertauchen. In der Statistik werden sie dann unter den «unkontrollierten Abreisen» aufgeführt. Im vergangenen Jahr hat das SEM 3574 solche unkontrollierte Abreisen festgestellt. Im Vergleich zum Vorjahr sind das 11 Prozent weniger. Am häufigsten waren dies Personen aus Algerien, Marokko, Eritrea, Afghanistan, Irak, Georgien und Sri Lanka.

In den Heimatstaat zurückgeschafft wurden 1346 Personen. Corona-bedingt waren dies halb so viele wie im Jahr vorher. Die häufigsten Ausschaffungen betrafen Albaner, Kosovaren, Rumänen und Serben.

67'000 Flüchtlinge leben in der Schweiz

Das Schweizer Asylrecht unterscheidet zwischen anerkannten Flüchtlingen und vorläufig aufgenommenen Personen. Als anerkannter Flüchtling gilt eine migrantische Person dann, wenn sie gemäss der Genfer Flüchtlingskonvention als verfolgt gilt. Sie erhält dann einen B-Ausweis. Ist eine Person in ihrem Herkunftsland nicht in asylrelevanter Weise verfolgt, aber eine Rückschaffung aus völkerrechtlichen Gründen nicht vollziehbar, so erhält eine Person eine vorläufige Aufnahme und den F-Ausweis.

Derzeit leben in der Schweiz 67'175 anerkannte Flüchtlinge mit B-Ausweis. Dazu kommen 48'644 vorläufig aufgenommene Personen mit F-Ausweis.

Flucht nach Europa

Das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR registrierte im Jahr 2020 insgesamt 95'774 Ankünfte von geflüchteten Personen in Europa. 1646 Menschen sind auf der Flucht gestorben oder gelten als vermisst.

Die meisten Menschen gelangten über die zentrale Mittelmeer-Route nach Europa. Dabei verloren 735 Personen das Leben oder gelten als vermisst. Dieser Fluchtweg gilt nach wie vor als der tödlichste der Welt.

Laut UNHCR-Report hat sich die Zahl der Ankünfte in Griechenland um 84 Prozent reduziert. Dies sei auch auf vermehrt beobachtete illegale Pushback-Aktionen zurückzuführen. Gleichzeitig sind in Italien fast dreimal mehr Menschen angekommen als im Jahr zuvor. Auf dem Festland von Spanien sind die Zahl von ankommenden Geflüchteten zurückgegangen. Als neue stark frequentierte Route gilt jene zu den kanarischen Inseln.

Die wichtigste Route für die Schweiz, was die Migration anbelangt, ist jene über das Zentrale Mittelmeer. Allerdings wollen viele Geflüchtete, nachdem sie in Italien angekommen sind, wenn schon durch die Schweiz durchreisen. Als Zielland für Asylsuchende spielte die Schweiz im 2020 keine wichtige Rolle. Ein grosser Teil der in Europa eintreffenden Migrantinnen und Migranten will weiterhin nach Deutschland oder Frankreich.

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Flüchtlinge willkommen in Kalabrien
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Flüchtlinge willkommen in Kalabrien
Domenico Lucano, Bürgermeister von Riace, posiert für die Kamera.
quelle: x90039 / max rossi
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«Seit dem Ausbruch des Krieges weiss ich nicht, wo meine Familie ist»
Video: watson
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48 Kommentare
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Geläutert
05.02.2021 08:35registriert April 2020
"Bei eritreischen Staatsbürgern liegt die Anerkennungsquote bei 67 Prozent. Rechnet man die vorläufig Aufgenommenen ...sinds 88 Prozent."

Das werde ich wohl nie verstehen..

Bringt mich aber auf die Frage 'WESHALB' diese über eine solche Lobby verfügen? Könnte es sein weil man sich so die Einkommensströme über die nächsten Jahre wenn nicht Jahrzehnte garantiert? 90% der Eriträer leben auch 10 Jahre nach Ankunft in der Schweiz noch von Sozialhilfe und benötigen tonnenweise Betreuungsprogramme, durchgeführt hauptsächlich von SP-wählenden Betreuern und Therapeuten? Ein garantiertes Einkommen..
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Schneider Alex
05.02.2021 07:15registriert Februar 2014
Alternative Flüchtlingspolitik
Alternativen: Flüchtlingslager vor Ort unterstützen; Frontex verstärken; Länder, welche Wirtschaftsflüchtlinge und Kriminelle nicht zurücknehmen boykottieren; gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa anstreben.
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Bärner Gieu
05.02.2021 15:46registriert Januar 2016
Unglaublicher Missbrauch des Systems! Faktisch alle, die es in sie Schweiz geschafft haben, bleiben hier!
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Die Junge Tat und Martin Sellner – so sind die Rechtsextremen verbandelt
Der österreichische Rechtsextreme Martin Sellner sollte im Aargau einen Vortrag zum Thema «Remigration» halten. Eingeladen wurde er von der Jungen Tat – die Köpfe der Schweizer Rechtsextremen-Gruppe stehen seit längerem in Kontakt mit Sellner.

Am Samstagabend beendete die Kantonspolizei Aargau einen Vortrag des rechtsextremen österreichischen Aktivisten Martin Sellner in Tegerfelden AG vorzeitig, zu dem die Gruppe «Junge Tat» eingeladen hatte. Man habe Sellner «zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und zur Verhinderung von Konfrontationen mit Personen der Gegenseite» angehalten und vom Kantonsgebiet weggewiesen, teilte die Polizei am Sonntag mit.

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