Die Schweiz will kein Geheimstaat sein, in dem Behörden und Politik in Hinterzimmern über das Schicksal der Bevölkerung entscheiden. 2006 wurde dafür das Öffentlichkeitsprinzip eingeführt: Bürgerinnen und Journalisten können seither grundsätzlich alle Dokumente der Behörden einsehen. Wer bei der Verwaltung arbeitet, muss seither immer damit rechnen, dass mögliches Unrecht, allfällige Verfehlungen und heikle Taten öffentlich werden.
Als das Gesetz geschaffen wurde, nahmen sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier bewusst aus. Das ist heikel, so bleibt nämlich verborgen, wer im National- und Ständerat wie viele Spesen kassiert. Andernorts mag das durchaus Sinn ergeben: So ermöglicht das Kommissionsgeheimnis, dass Kompromisse geschmiedet werden können. Linke können mit Bürgerlichen abstimmen, sie können Deals eingehen, um ihre politischen Ziele durchzusetzen.
Das fehlende Öffentlichkeitsprinzip und die strikte Einhaltung des Kommissionsgeheimnis führen aber auch dazu, dass im Bundeshaus «Geheim-Politiker» in den Hinterzimmern mächtig agieren können – ohne, dass es irgendjemand erfährt. Es geht hierbei um die Kommissionssitzungen des Parlaments. Kommissionen sind kleine Parlamentariergruppen, die alle Gesetzesvorhaben zu einem bestimmten Thema vordiskutieren, bevor sie in den National- und Ständerat kommen.
Dort wird die wahre Politik gemacht: In Kommissionen werden gemeinsam Studien diskutiert, Expertinnen angehört, Anträge formuliert und Meinungen gemacht, die dann helfen, ein Gesetz richtig zu interpretieren. Wer in der Verkehrskommission des Nationalrats oder in der Gesundheitskommission des Ständerats sitzt, ist deshalb öffentlich. Journalisten, Lobbyistinnen und Bürger sollen wissen, bei wem sie sich melden können, wenn sie Details zu einem Gesetzesvorhaben wissen wollen.
Die Mitglieder der Kommissionen werden so gewählt, dass sie in etwa die Fraktionsstärken der Parteien im National- oder Ständerat entsprechen. Wer gewählt wird, muss laut Gesetz an den Kommissionssitzungen teilnehmen. Er oder sie wird dafür auch fürstlich mit 440 Franken pro Tag entschädigt. Wer wie viel kassiert und wer sein Kommissionsmandat ernst nimmt, bleibt jedoch geheim.
Das strikte Kommissionsgeheimnis hat aber weitere Folgen, wie watson-Recherchen zeigen. Kann nämlich ein Parlamentarier nicht an einer Sitzung teilnehmen, so kann die Fraktion eine Stellvertretung schicken. Solche Stellvertretungen sind durchaus legal und ergeben etwa bei beruflichen oder gesundheitlichen Absenzen durchaus Sinn.
Das Gesetz sagt aber nicht, wann genau ein Politiker seine Parteikollegin als Stellvertreterin schicken kann. Es ist daher möglich, dass ein Nationalrat bewusst auf seine Teilnahme an einer Kommissionssitzung verzichtet, damit aus parteistrategischen Gründen ein Fraktionskollege sich zu einem Thema in der Kommission äussern kann. Diese Stellvertretungen kassieren Spesen, haben Stimmrecht – und können unter Umständen unter Ausschluss der Öffentlichkeit politisch Einfluss nehmen.
Die Namen solcher «Geheim-Politiker» erscheinen nirgends. Sie werden ausnahmsweise publiziert, falls es innerhalb einer Kommission eine «Minderheit» gibt, die dem National- oder Ständerat einen anderen Antrag stellen will. So geschehen beim Geschäftsmietegesetz: Die SP und die Grüne waren in der Rechtskommission mit zwei Ersatz-Nationalräten vertreten, die sonst nicht Mitglied dieser Kommission sind.
Das ist heikel: Was in den Hinterzimmern besprochen wird, wird nämlich in Medienmitteilungen und offiziellen Berichterstattungen anonymisiert zusammengefasst. Diese Texte entscheiden schlussendlich mit, wie Gesetze zu interpretieren sind. Bleiben einzelne Politikerinnen und Politiker geheim, so ist unklar, mit welchem Hintergrund, mit welcher Motivation und welchen Interessensbindungen bestimmte Meinungen gebildet wurden.
watson versuchte in den vergangenen Monaten Licht in diesen Dunkelkammern zu schaffen. Unter Berücksichtigung des Kommissionsgeheimnisses forderte watson Einsicht in alle Präsenzlisten der Kommissionen, um auswerten zu können, wer sich wie häufig und bei welchen delikaten Geschäften vertreten lässt.
Das Einsichtsgesuch respektierte den Zweck des Kommissionsgeheimnisses: Nur weil die Namen der gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter publiziert werden, werden Kompromisse nicht verhindert – zumal heute bereits bekannt ist, wer regulär in der Kommission einsitzt, und teilweise publiziert wird, wer welche Anträge gestellt hat.
Die Parlamentsdienste wehrten sich jedoch gegen diese Transparenz. Sie argumentierten, dass ihnen das Gesetz nicht erlaube, diese Daten zu veröffentlichen. Zudem würden sie «teilweise Auskunft über den Gesundheitszustand von Ratsmitgliedern geben». Eine im Sommer stattgefundene Schlichtungssitzung zwischen den Parlamentsdiensten, dem Öffentlichkeitsbeauftragten des Bundes (Edöb) und watson brachte ebenfalls keinen Erfolg: Das Öffentlichkeitsgesetz gelte nicht für das Parlament, so das Fazit.
Das Bundesverwaltungsgericht hätte über das Gesuch entscheiden können. Bei der Recherche geht es nämlich um die Frage, was das Kommissionsgeheimnis schützen soll: Soll alles, was im Zusammenhang mit einer Kommission passiert, geheim sein? Ist auch die Präsenzliste klassifiziert, obwohl man sich theoretisch vor einem Kommissionszimmer hinsetzen und selbst eine Namensliste führen könnte?
Zum Gerichtsprozess wird es jedoch nicht kommen. Recherche-Expertinnen und -Experten empfahlen, auf eine Einsprache zu verzichten. Die Chance, dass sich das vom Bundesparlament gewählte Bundesverwaltungsgericht für eine transparentere Auslegung des Kommissionsgeheimnis entscheide, sei gering. Ändern könne dies nur eine Gesetzesänderung.
Das Interesse dafür scheint bei den Bundeshaus-Fraktionen dafür jedoch gering zu sein. So schreibt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi auf Anfrage: «Die Stellvertretungen sind meines Wissens nicht ‹geheim› klassifiziert.» (Sie sind es.) Und er verstehe nicht, was der Zusatznutzen wäre, wenn Kommissionen bekannt geben würden, welche Parlamentarier als Stellvertretung an Sitzungen teilgenommen haben.
In die gleiche Richtung äussert sich SP-Fraktionschef Roger Nordmann: «Ich sehe nicht, welchen Zusatznutzen diese Information bringen würde.» Für ihn sei der grössere Skandal, dass Ratsmitglieder versteckte Lobbyinteressen vertreten könnten. CVP-Fraktionschefin und Ständerätin Andrea Gmür-Schönenberger schreibt, dass «nur in Ausnahmefällen» zu Stellvertretungen komme. Ihr Fazit: «Persönlich sehe ich keinen Mehrwert darin, nach jeder Kommissionssitzung bekanntzugeben, wer daran teilgenommen hat.»
Einzig die Fraktionschefin der Grünen, Nationalrätin Aline Trede, äussert sich für mehr Licht in der Dunkelkammer: «Von mir aus kann alles öffentlich sein, ich bin immer für Transparenz. In den meisten Fällen sieht man ja in den Minderheiten, wer wie abgestimmt hat.» Von der FDP und der GLP kam bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme.
Die angefragten Fraktionen gaben auf Anfrage auch Einblick in ihre Stellvertretungspraxis. Grüne und SP teilen mit, dass ihre Fraktion für jede Kommission zwei mögliche Stellvertreterinnen oder Stellvertreter bestimmt hätte. Sie würden einspringen, falls es zu einer Absenz komme. Die Mittefraktion (CVP, BDP, EVP) schreibt, dass Stellvertretungen situativ bestimmt werden. Bei der SVP ist hingegen jedes Ratsmitglied selbstständig dafür verantwortlich, einen Ersatz zu suchen.
Man stelle sich vor, was für eine Falle es machen würde, wenn öffentlich werden würde, dass Price Waterhouse Cooper in der Kommission sitzt und die von ihr SELBST geschriebenen Gesetzesentwürfe vertritt.
Die Versicherungen, die Revisionsgesellschaften, etc. bringen fixfertig geschriebene Gesetzesentwürfe auf den Weg, die dann ihre Adlaten wie Wasserfallen, Kasachstan - Markwalder, Aeschi etc. nur noch ins Parlament zur Abstimmung bringen müssen.
Belohnung sind dann gut honorierte Pöschtli in der Privatwirtschaft.
Amen.