Schweiz
Solothurn

Gesundheitsdirektoren: «Wir brauchen strengere Massnahmen»

«Wir brauchen strengere Massnahmen»: Erste Gesundheitsdirektoren fordern Verschärfung

Deutschland fährt die Wirtschaft und das öffentliche Leben im Kampf gegen das Coronavirus stark herunter – das sorgt in den Grenzkantonen zu Sorgen wegen deutschen Einkaufstouristen. Derweil fordern kantonale Gesundheitsdirektoren auch in der Schweiz härtere Massnahmen vom Bundesrat.
14.12.2020, 05:1814.12.2020, 06:37
Christoph Bernet / ch media
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Das Weihnachts-Shopping könnte früher als geplant zu Ende gehen: Ein Deutschschweizer Gesundheitsdirektor geht davon aus, dass der Bundesrat am Freitag die Schliessung von Restaurants und vieler Läden verkündet.Bild: keystone

Deutschland macht dicht: Ab Mittwoch gilt in unserem nördlichen Nachbarland ein «harter Lockdown». Nicht nur in den Grenzkantonen hat man die Beschlüsse aufmerksam registriert. Denn pro hunderttausend Einwohnern liegen die Fallzahlen in der Schweiz fast doppelt so hoch wie in der Bundesrepublik. Dennoch hat sich Deutschland auf sehr viel strengere Massnahmen geeinigt, als die vom Bundesrat am Freitag präsentierten Schritte.

Im Frühjahr war das öffentliche Leben und die Wirtschaft beidseits der Grenzen ähnlich stark eingeschränkt und der Grenzübertritt nur in Ausnahmefällen möglich. Jetzt bleiben in Deutschland Fachgeschäfte, Dienstleistungsbetriebe und Gastronomie geschlossen, während man in den meisten Grenzkantonen zumindest bis 19 Uhr auswärts essen gehen und mehr als nur Lebensmittel und andere lebensnotwendige Güter einkaufen kann.

Bekannte treffen sich an der Grenze zwischen Konstanz und Kreuzlingen, am 5. April 2020. Nachdem sich Menschen am ersten an der Landesgrenze installierten Zaun getroffen und den wegen dem Coronavirus  ...
5. April 2020: Geschlossene Grenze zwischen Konstanz und Kreuzlingen.Bild: sda

Auch wenn die Schweiz auf der deutschen Quarantäneliste steht: Einkaufstourismus ist theoretisch weiterhin möglich. Denn das Bundesland Baden-Württemberg, das an die beiden Basel, den Aargau, Zürich, Schaffhausen und Thurgau grenzt, erlaubt den «kleinen Grenzverkehr» weiterhin. Das bedeutet, dass bei einem Aufenthalt von weniger als 24 Stunden in den angrenzenden Schweizer Regionen die Quarantänepflicht nicht gilt.

Basel-Stadt befürchtet «Sogwirkung»

Der Thurgauer Gesundheitsdirektor Urs Martin (SVP) rechnet in den grenznahen Gebieten mit «einem leicht erhöhten Besucherstrom aus Deutschland». Das könne zwar punktuell dem Schweizer Gewerbe und der Gastronomie helfen. Doch angesichts der angespannten Lage im Gesundheitswesen sei eine allzu grosse Reisetätigkeit nicht zu begrüssen.

«Die Bevölkerung ist mobil und Einschränkungen des Angebots in einem Gebiet sorgen für eine gewisse Anzahl Reisebewegungen in ein benachbartes Gebiet, wo ein grösseres Angebot zur Verfügung steht», Martins Basler Amtskollege Lukas Engelberger (CVP). Die geöffneten Geschäfte in Basel könnten «eine Sogwirkung» auf Bewohner der grenznahen deutschen Gebiete entwickeln: «Das bereitet uns aus einer epidemiologischen Sichtweise Sorgen, weil es zu mehr Ansteckungen führen könnte».

Mahnende Appelle des Gesundheitspersonals

Doch auch ohne den möglichen Einkaufstourismus aus Deutschland bereitet die hohe Anzahl Neuinfektionen Vertretern des Schweizer Gesundheitswesen Sorgen. Am Wochenende wandten sich Chefärzte, Pflegefachkräfte und die Universitätsspitäler in teilweise dramatischen Worten an die Öffentlichkeit.

Der Tenor: Die Situation im Gesundheitswesen ist äusserst angespannt. Das Personal ist überlastet, die Fallzahlen müssen schnell sinken, um einen Kollaps der Intensivstationen zu verhindern. Mit den am Freitag beschlossenen Massnahmen sei dieses Ziel nicht zu erreichen.

«Die Entscheide des Bundesrates reichen nicht aus»

Der Basler Lukas Engelberger ist Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK). Er nimmt diese Appelle ernst: «Die Situation ist sehr volatil und angespannt». Es sei fraglich, ob die Entscheidungen vom letzten Freitag ausreichend seien.

Regierungsrat Lukas Engelberger, Regierungsrat (BS) und Praesident der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren, spricht an einer Medienkonferenz, am Donnerstag, 26. November  ...
GDK-Präsident Lukas Engelberger rechnet mit weiteren Verschärfungen.Bild: keystone

Noch deutlicher tönt es aus dem Kanton Solothurn: «Die Entscheide des Bundesrates vom letzten Freitag reichen nicht aus», meint Gesundheitsdirektorin Susanne Schaffner. «Wir brauchen strengere Massnahmen.» Das Personal im Gesundheitswesen stehe seit Wochen unter permanent hohem Druck: «Das kann nicht mehr über Wochen so weitergehen. Wir müssen die Zahlen rasch herunterbringen.»

Die Entscheidung aus Deutschland, betont Schaffner, habe keinen Einfluss auf ihre Forderung. Die Schweiz müsse die Situation vor Ort beurteilen: «Zumindest in der Deutschschweiz stehen die Ampeln auf Rot», warnt die Solothurnerin. Der Bevölkerung müsse klar sein, dass von der Überlastung des Gesundheitswesens nicht nur Covid-Kranke oder Angehörige von Risikogruppen betroffen seien: «Jeder und jede von uns kann beispielsweise in einen Unfall verwickelt werden und ist dann auf funktionierende Intensivstationen angewiesen.»

Gesundheitsdirektor Urs Martin an einer Medienkonferenz der Thurgauer Regierung, aufgenommen am Montag, 7. Dezember 2020, in Frauenfeld. Der Kanton intensiviert seine Anstrengungen, um das Coronavirus ...
Der Thurgauer Gesundheitsdirektor Urs Martin.Bild: keystone

Auch der Thurgauer Gesundheitsdirektor Urs Martin zeigt sich besorgt über die Lage: «Wir haben zu viele Neuinfektionen und die Lage in den Spitälern ist kritisch».

Kommt der Lockdown in einer Woche?

In den nächsten Tagen beraten einzelne Kantonsregierungen über weitere Verschärfungen, wie etwa in Basel-Landschaft am Dienstag. Bereits am Montag tauschen sich die kantonalen Gesundheitsdirektoren per Telefonkonferenz mit Bundesrat Alain Berset (SP) aus.

Gemäss den Ankündigungen des Bundesrats vom Freitag will er mit den Kantonen über einen «Eskalationsmechanismus» beraten. Der Bundesrat will Klarheit schaffen, wie bei einer Verschlechterung der epidemiologischen Lage rasch weitere Verschärfungen beschlossen werden können.

Doch dieser Fahrplan steht bereits wieder in Frage, wie Gespräche mit mehreren Gesundheitsdirektoren zeigen. Möglicherweise werde der Bundesrat schon am Freitag neue landesweite Verschärfungen beschliessen: «Es ist möglich, dass diese Woche nur ein Mechanismus beschlossen wird», meint der Thurgauer Urs Martin: «Es kann aber auch sein, dass der Bundesrat neue Verschärfungen beschliesst.»

Auch GDK-Präsident Lukas Engelberger schliesst nicht aus, dass der Fahrplan vom Freitag bereits wieder überholt ist. An der GDK-Telefonkonferenz vom Montag werde man mit Berset über Massnahmen für eine weitere Reduktion der Fallzahlen sprechen. Ein weiterer Deutschschweizer Gesundheitsdirektor, der anonym bleiben will, geht davon aus, dass mehrere Kantone im Laufe der Woche mit härteren Massnahmen vorpreschen – und der Bundesrat am Freitag die Schliessung der Restaurants und einem Grossteil der Einkaufsgeschäfte verkünden wird.

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77 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Rethinking
14.12.2020 05:59registriert Oktober 2018
Die kantonale Gesundheitsdirektoren fordern vom Bundesrat härtere Massnahmen...

Das sind doch genau die, die es versäumt haben, sich über Sommer vorzubereiten und deren schlechter Job dazu geführt hat, dass der Bundesrat nun wieder übernehmen muss...
41020
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alvaschein
14.12.2020 07:17registriert Juni 2020
Die Schnarchnasen fordern den Bundesrat zu härteren Massnahmen auf, um dann im Nachhinein den Bundesrat wegen diesen zu kritisieren. Wetten?
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thierry_haas
14.12.2020 07:22registriert Mai 2014
Aha: Deutschschweizer Kantone fordern starke Massnahmen und Schliessungen weil sie das Virus nicht unter Kontrolle bekommen.
Und wir Westschweizer dachten die ganzen letzten Monate wir seien selbst Schuld, weil wir ja ach so undisziplinierte Linke seien, die andauernd nur feiern und trinken....
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