Dina fror.
Vielleicht hatte sie zu wenig an für die windige Insel. Vielleicht hatte es aber auch andere Gründe. Vielleicht war es der Schauer, der sich seit ihrer Ankunft in Griechenland auf ihren Rücken gelegt hatte wie ein unsichtbarer Nebelschleier, ein finsterer Begleiter, der sie unaufhörlich daran gemahnte, dass etwas Verderbliches vor sich ging.
Sie war hierhergekommen, um die grosse Liebe zu finden. Voller Zuversicht hatte sie sich in dieses Abenteuer gestürzt, den Kopf voll mit romantischen Bildern.
Flammende Herzen aus Kerzen am Strand, sie selbst barfuss durch den noch warmen Sand streifend, durch eine feuerrote Dämmerung tanzend. Den Wind im Haar und im Kleid, so schwebt sie auf ihn zu, auf jenen Einen, Einzigen. Taumelnd vor Glück lässt sie sich fallen in seine starken Arme, die ganz plötzlich zu dünnen, morschen Ästen werden, die unter ihrem Gewicht brechen. Sie fällt in den Sand und schaut nach oben, sucht seine Augen, in denen sie sich so gern verlor, doch da sind keine mehr.
Entsetzt starrt sie in zwei leere Höhlen und sieht, wie sich darunter etwas auftut. Ein finsterer Schlund, ein sie zu verschlingen drohendes Loch, das immer grösser wird, bis es einen rohen, grässlichen Schrei entlässt, von dem sie endlich aufwacht.
Es war bereits die zweite Nacht, die auf diese furchterregende Weise ihr Ende fand. Dina schlief danach nicht mehr. Steif vor Angst lag sie in ihren schweissnassen Laken, während das Pool-Licht draussen vor ihrer Villa die Schatten der schwankenden Äste an ihre Wand warf. Sie hörte das Rascheln der Silberpappel und dahinter, ganz sanft, fast friedlich schon, das Meer, wie es sein Wasser an Land schickte, nur um es dann mit einem herzhaften Ruck wieder zu sich zu holen. Es tat das, was es seit Urzeiten tat. Alles schien gut.
Es ist schon eine erstaunliche Fähigkeit des Menschen, noch an den dunkelsten Orten dieser Welt ein Fünklein Hoffnung zu finden. Er verinnerlicht es, vergräbt es tief in seinem Herzen, wo es ihm niemand wegzunehmen vermag. Dort hält es ihn am Leben. Oder bringt ihm den Tod.
Auch in Dina erlosch der Hoffnungsschimmer nicht. Sie spürte genau, dass hier etwas Unheimliches vor sich ging, dass etwas nicht stimmte mit den Männern, die sie auf die Insel mitgenommen hatte. Und es waren nicht bloss deren geschmacklose Anzüge. Doch das Gefühl war noch zu schwach, es kam nicht an gegen ihren grossen Traum.
Sie glaubte an die Liebe, nicht ans Übersinnliche. Sie glaubte, wie die meisten, jenen Aberglauben überwunden, nichts weiter als ein Phantom der Vergangenheit, Relikte mittelalterlicher Kleingeister, deren Welt noch mit maliziösen Zaubern belegt und von Hexen bewohnt worden war.
Inzwischen hatte die Wissenschaft die Menschen längst erleuchtet. Alles schien erklärbar geworden, wenn nicht heute, dann doch morgen, und so kam auch Dina nicht in Verlegenheit, die Existenz jenes Schauers anzuerkennen, der sie vor dem Bösen so eindringlich zu warnen versuchte.
Pablo hatte ihr sowieso bereits sein «Schaggo» über die Schultern geworfen und so wich das Frösteln schnell einer wohligen Wärme, die wiederum von einem feurigen Knistern abgelöst wurde, als die beiden sich auf einem Sofa aneinanderkuschelten.
«Wieso nit», war Dinas Antwort. Und schon schmiegte sie sich an Pablos Körper. Gemütlich war es nicht, allmählich bahnte sich ein Krampf an, aber sie traute sich nicht, sich zu rühren. Allzu sehr fürchtete sie, dass mit einem unschönen Zurechtrücken ihrerseits gleich auch die ganze Romantik verflöge.
Schliesslich hielt Dina es nicht länger aus, die rechte Körperhälfte schien ihr wie abgestorben. Doch sie konnte sich nicht aufrichten. Irgendetwas hielt sie fest, als würde sie an seiner Schulter festkleben. Nachdem die ersten, verhaltenen Befreiungsversuche nicht gelangen, begann sie zu reissen und zu zerren und wurde bei jedem Mal panischer. Dann sah sie es und wurde zu Stein.
Sein Grinsen. Es war wie festgezurrt, bis schier zum Zerbersten gespannte Lippen zogen sich über sein nunmehr verzerrtes Gesicht. Und die Fratze flüsterte etwas. So leise, dass Dina es erst nicht verstand. Es war ein und dasselbe Wort, er wiederholte es wieder und immer wieder, während er mit seinen Fingern ihren Arm blutig streichelte.
Seine Stimme schwoll an, wurde so laut, bis sie schrie. Dann verstand auch sie es.
Inzwischen stritten sich die anderen Männer um die Zimmer ihres neuen Zuhauses. Sie rannten drauflos wie die Besessenen.
Und vielleicht waren sie auch wirklich besessen.
Cesare hatte sich dabei gar verletzt und humpelte nun durch das verwinkelte Haus. Wie in einem Labyrinth sei das hier, rief er noch, doch die Gänge waren leer und die Stimmen der anderen verstummt. Auch Zimmer schien es plötzlich keine mehr zu geben. Und während Cesare durch die nicht enden wollenden Korridore irrte, verlor er erst die Orientierung und dann die Zeit.
Sein Fuss tat so weh, dass er sich auf den Boden setzen musste. Er fasste dorthin, woher der Schmerz kam, als er aus dem Augenwinkel eine Hand am Ende des Ganges wahrnahm. Erst hing sie schlaff an einem blutverschmierten Arm herunter, dann aber erwachte sie zum Leben und begann ihm roboterhaft zuzuwinken. Seltsam ruckartig und schnell bewegte sich diese, genauso wie die ganze Kreatur, die nun um die Ecke kam. Cesare hob die Arme schützend über seinen Kopf und schaute weg.
Er hörte nur den Atem. Er ging langsam und keuchend.
Dann spürte Cesare, wie die knöchernen Finger durch sein Haar fuhren, und drückte sich mit aller Kraft gegen die Wand, an der er kauerte. Sie gab nach. Und er fand sich in einem Kinderzimmer wieder. Auf dem Bett spielten Zwillinge. Sie trugen blaue Kleidchen.
Und Äxte.
Und während die anderen die Koffer ihrer Konkurrenten nur so zum Spass im Pool und im Ziehbrunnen versenkten, fand sich die Bachelorette plötzlich vor ihrem Spiegel wieder. In Unterwäsche.
Was war geschehen?
Sofort untersuchte sie ihren Arm. Da war kein Kratzer. Kein Blut. Nichts. Hatte sie sich alles bloss eingebildet? Hatte sie geträumt?
Ja, so musste es sein. Sie war ganz zerfahren. Das alles setzte ihr wohl mehr zu, als ihr lieb war. Schliesslich hatte sie die Reise ihres Lebens angetreten und würde ihr Herz bald an einen dieser Herren verschenken müssen. Für immer.
Sie fror, als sie den Puder-Pinsel ein letztes Mal über ihr Gesicht führte. Dann ging sie raus, in die Nacht der Rosen.
Herrlich geschrieben.
....ich hab Angst 😲🥺🥺🥺🥺
Die würde ich sicherlich schauen.