Es war ein kleines Stakkato. Zuerst stellte CVP-Präsident Gerhard Pfister im «Tages-Anzeiger» fest, dass die SVP als «grösste Partei in diesem Land alles tut, um die Entwicklung zu einem Regierungs-Oppositions-System voranzutreiben.»
Kurz darauf sekundierte SP-Präsident Christian Levrat in der «NZZ am Sonntag»: «Die Frage stellt sich, ob der SVP weiterhin zwei Sitze in der Landesregierung zustehen sollen.»
Der Ton für die nächsten drei Jahre ist damit vorgegeben. Bis 2023 dürfte SVP-Bundesrat Ueli Maurer zurücktreten und es stellt sich die Frage, was mit seinem Sitz geschieht. CVP und SP stellen implizit ein neues Droh-Narrativ auf: Entweder wird die SVP konkordant, oder sie könnte - zumindest teilweise - aus dem Bundesrat fliegen.
Die Verärgerung bei CVP und SP (aber auch FDP) ist gross. Die SVP stellt zwar die grösste Fraktion im Parlament und besetzt im Bundesrat mit Finanz- und Wirtschaftsdepartement zwei sehr wichtige Departemente. Verantwortung will sie aber noch immer nicht übernehmen. Sie kämpft im Gegenteil mit ständig neuen Initiativen gegen die Bilateralen. Das ist der Tenor hinter den Kulissen.
Dass die SVP mit dem Angriff auf ihren Bundesrichter Yves Donzallaz die Gewaltenteilung torpedierte, brachte das Fass zum Überlaufen. Es dauerte nur 30 Minuten, bis SP, CVP und FDP die Konkordanzgespräche zur Zauberformel im Bundesrat platzen liessen. Levrat sagte ab, Pfister informierte FDP-Präsidentin Petra Gössi - und die Gespräche waren tot.
Die seltene Einmütigkeit hat noch einen anderen Grund. Die SVP macht heute niemandem mehr Angst. Sie erlitt bei den Wahlen 2019 einen schweren Dämpfer und blieb mit der Begrenzungsinitiative chancenlos. Bei den kantonalen Wahlen im Kanton Aargau vom 18. Oktober droht ihr der Fall unter die ominöse 30-Prozent-Marke.
«Kann man noch mehr persönliche Angriffe auf Bundesräte führen? Kann man die Unabhängigkeit der Justiz noch stärker in Frage stellen? Kann man noch mehr Referenden ergreifen?» Das fragt sich CVP-Präsident Pfister im Interview. Es sind rhetorische Fragen.
SP-Präsident Levrat formuliert es direkter: «Heute muss man vor der SVP keine Angst mehr haben.» Noch bis 2016 wäre eine solche Aussage undenkbar gewesen. Ex-CVP-Präsident Christophe Darbellay wälzte vor den Wahlen 2015 mit Levrat den Plan, die SVP aus der Regierung zu kippen. Die Angst, die SVP zu stärken, hielt sie davon ab. Der Sieg der SVP bei den Wahlen 2015 machte das Gedankenspiel zur Makulatur.
Der Nimbus der Unbesiegbarkeit der SVP wurde am 28. Februar 2016 gebrochen. Ein Netzwerk aus der Zivilgesellschaft machte vor, wie man gegen die SVP gewinnen kann. Seither wurde die Partei Schritt für Schritt entzaubert.
Zum Showdown kommt es, wenn Ueli Maurer zurücktritt und die SVP etwa Magdalena Martullo-Blocher nominiert. Dieses Szenario ist nicht abwegig. Martullo sagte 2017 im «SonntagsBlick»: «In einem Notfall, wenn die EU uns plötzlich unerwartet stark unter Druck setzen würde, würde ich das Amt wohl in Betracht ziehen.» Martullo werde «sicher nie Bundesrätin», sagen aber wichtige Politiker anonym. Und: «Die SVP ist kein Familienclan. Hier gibt es eine Grenze, was den Bundesrat betrifft.»
Sollte die SVP Martullo nominieren, könnte das Parlament zum Beispiel Albert Rösti wählen. Der Name wird hinter den Kulissen genannt. Nähme er die Wahl an, müsste die Partei ihren Ex-Präsidenten gemäss Statuten zwangsläufig aus der SVP ausschliessen. Würde Rösti die Wahl ablehnen, wäre der Weg frei für einen Bundesrat ausserhalb der SVP. Für solche Szenarien haben SP, Grüne und Mitte mit 127 Stimmen eine Mehrheit in der Bundesversammlung.
Eigennutz spielt bei der Drohkulisse gegenüber der SVP auch eine Rolle. Verliert die SVP einen oder gar beide Bundesratssitze, käme das vielen Parteien gelegen. Das Gerangel ist gross. FDP und SP bangen seit der grünen Welle um ihren zweiten Sitz, die CVP um ihren einzigen. Die Grünen fordern einen Sitz. Sie sind heute die viertgrösste Partei. Gemäss arithmetischer Zauberformel hätten sie Anrecht auf einen Bundesrat.
«Die einzige Partei, die ihre Sitze mit 25.6 Prozent Wähleranteil rein rechnerisch rechtfertigen kann, ist die SVP», sagt FDP-Fraktionschef Beat Walti. «Auch wenn die Konkordanz nie ganz frei von inhaltlichen Überlegungen funktioniert hat, würde der Ausschluss der grössten Partei einen echten Systemwechsel bedeuten, hin zu einer ausdrücklich inhaltlichen Konkordanz.»
Ob die FDP zu einem solchen Schritt bereit wäre, ist fraglich. «Dann müsste man sich auch die Rolle der SP genauer ansehen», sagt Walti. Auch mit ihr hätten die anderen Parteien «sehr signifikante Meinungsunterschiede».
Bleibt die Frage, ob die implizite Achse SP-CVP und die Drohkulisse mit dem Rücktritt von Levrat als SP-Präsident weiter bestehen wird. Levrat und Pfister ticken strategisch ähnlich, verstehen sich persönlich gut und sind durch die Katholische Uni Freiburg verbunden.
Auch der künftige Co-Präsident Cédric Wermuth und Pfister kennen sich gut. Sie sitzen gemeinsam in der staatspolitischen Kommission. Und die künftige Co-Präsidentin Mattea Meyer hat bei der Entschädigungsfrage des Covid-Gesetzes bewiesen, dass sie tragfähige Allianzen schmieden kann.
Dass sich die Haltung der SP eher nicht entscheidend ändern dürfte, zeigt das Statement von SP-Fraktionschef Roger Nordmann vom 9. Dezember 2015 bei der Wahl von Guy Parmelin. Die SVP erhielt da den zweiten Bundesratssitz. «Diese Partei wird weiterhin demagogische und stigmatisierende Initiativen lancieren», sagte Nordmann. «Sie wird weiterhin fundamentale Rechte in Frage stellen. Und sie wird weiterhin die Bilateralen sabotieren.» (aargauerzeitung.ch)