Sie heissen «Acrylates Copolymer», «Polyethylen» oder «Nylon-12» – und sind keine exotischen Pflanzenarten, sondern Bezeichnungen für verschiedene Arten und Bestandteile von Plastik.
Lange Zeit verwendete vor allem die Kosmetikindustrie Mikroplastikkügelchen aus Polyethylen. Denn die Kügelchen sind praktisch. Sie reinigen Haut, Haare und Zähne mechanisch, lösen kaum Allergien aus und sind billig in der Produktion.
Doch als bekannt wurde, dass die Mikrokügelchen durch das Abwasser in die Natur gelangen und nicht nur in Gewässern und Böden, sondern auch in Milch und Honig wieder auftauchen, ging ein Aufschrei durch die Bevölkerung.
Die UNO sagte dem Miniplastik vergangenes Jahr den Kampf an. Bis zum Jahr 2022 sollen Kosmetikprodukte Kunstoffteilchen frei sein, so die Forderung. Einige Länder, darunter Neuseeland, Kanada und England haben sich bereits zu einer restriktiveren Politik verpflichtet. Ab Juni gilt dort ein Mikroplastik-Verbot in Kosmetikartikeln.
Nicht nur international, sondern auch auf europäischer Ebene geht es Polyethylen und Co. an den Kragen. So schreibt die EU-Kommission in einem Strategiepapier zu Plastikabfällen, dass der Prozess für den Gebrauch von absichtlich hinzugefügten Mikroplastik in Produkten eingeschränkt werden soll.
In der Schweiz reichte der grüne Nationalrat Balthasar Glättli im Parlament ganze fünf Vorstösse zum Thema Mikroplastik ein. Auch er plädiert für ein Mikroplastik-Verbot in Kosmetikartikeln. Doch der Bund winkt ab. Zumindest auf nationaler Ebene. Er appelliert an die Eigenverantwortung der Industrie. «Der Bundesrat erachtet es nicht als sinnvoll, Vorschriften für die Verwendung von Mikroplastik in Körperpflegeprodukten zu erlassen», heisst es in der Stellungnahme.
Die Industrie reagierte zwar bereits auf die Forderungen. Viele Kosmetikfirmen strichen Polyethylen auf der Zutatenliste. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch: Vom Polyethylen wichen die Kosmetikfirmen auf Acrylates Copolymer aus. Auf ein flüssiges Plastik also, das zwar wasserlöslich ist, dessen konkrete Auswirkungen auf die Umwelt aber bislang kaum erforscht sind.
Sieht man sich die Kosmetikregale in grossen Einkaufszentren an und streicht die Produkte, die Plastik in fester oder flüssiger Form enthalten, zeigt sich ein eindrückliches Bild. Bis zu drei Viertel der Produkte enthalten Kunststoffteilchen.
Dennoch: Für den Grossteil des Mikroplastiks in den Gewässern und Böden sind nicht die Kosmetikprodukte verantwortlich. «Ein grosser Anteil des Mikroplastiks in der EU, und wahrscheinlich auch in der Schweiz, stammt von Pneu-Abrieb oder verwittertem Plastik von Fahrbahnmarkierungen und Farbanstrichen», weiss Michael Hügi, Experte für Siedlungsabfälle beim Bundesamt für Umwelt (Bafu).
53 Tonnen Mikroplastik sind laut einer Studie der Universität Bern in Schweizer Auenböden zu finden. Im Zürichsee liegen 8 Billionen der mikroskopisch kleinen Teilchen – mit einem Gewicht von 141 Kilogramm. Sogar im Hochgebirge konnten die Forscher Plastik im Boden nachweisen.
Das klingt nach sehr viel. Ist es aber im internationalen Vergleich nicht, wie Manuel Kunz, zuständig für die Beobachtung der Wasserqualität beim Bundesamt für Umwelt sagt: «Der Mikroplastikanteil in Schweizer Gewässern ist nicht alarmierend – im Vergleich zu den Plastikabfällen in den Ozeanen.» Im Pazifik treibt ein Müllstrudel, der flächenmässig achtunddreissig mal grösser als die Schweiz ist. 30 Prozent davon soll Mikroplastik sein.
Doch Kunz ergänzt: Natürlich seien die Kunststoffteilchen in den Gewässern nicht erwünscht und verunreinigten diese. «Aber im Vergleich zu Mikroverunreinigungen durch Pestizide oder hormonaktive Stoffe, die einen direkten Einfluss auf Organismen haben und oft giftig sind, beeinträchtigt Mikroplastik die Wasserqualität in geringerem Masse.»
Welchen Einfluss die Mini-Plastikteilchen auf den Menschen haben, ist kaum erforscht. Bei Tieren sieht das etwas anders aus, aber auch da sind noch viele Fragen offen. So fressen laut Greenpeace viele Fische und Muscheln den Mikroplastik, weil sie ihn für Plankton halten. Dieser schadet den Verdauungsorganen der Tiere, verursacht Entzündungen oder gar den Tod. Eine Portion Muscheln enthält Untersuchungen zufolge ungefähr 90 Partikel Plastik.
Ein weiterer problematischer Aspekt des Mikroplastiks ist dessen Oberfläche: Darauf bilden sich Biofilme, in denen Mikroorganismen wie Bakterien, Kleinstalgen und Pilze leben. Unter den Bakterien können auch Krankheitserreger entstehen, die Cholera, Durchfall oder Entzündungen hervorrufen. Und je mehr dieser Erreger, desto bedenklicher auch für den Menschen.
Während die Schweiz auf nationaler Ebene nichts von einem Mikroplastik-Verbot wissen will, schlägt sie in einem Positionspapier zuhanden der UNO ganz andere Töne an. Darin schreibt das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), dass der «Status-quo ungenügend sei» und schlägt im gleichen Atemzug ein Verbot von Mikroplastik vor. Das verwirrt nicht nur Nationalrat Glättli: «Der Bundesrat gibt sich zwar gegenüber der UNO offen gegenüber einem Verbot von Mikroplastik in Körperpflegeprodukten. Wenn es aber konkret wird, blockt er ab.»
Josef Tremp, Chef der Sektion Industriechemikalien beim Bafu, sieht in den beiden Aussagen des Bundes keinen Widerspruch. «Wenn die Industrie die angekündigten freiwilligen Massnahmen nicht ergreifen sollte, wäre der Bund bereit, ein Mikroplastik-Verbot einzuführen», so Tremp. Vorerst warte man aber ab, auf welche Massnahmen die EU setze.