Es ist nicht so, dass das Bundesamt für Verkehr (BAV) keine Ahnung von Verwaltungsstrafrecht hätte. Die meisten Fälle betreffen jedoch Verstösse gegen die Zulassungsbestimmungen für den Strassentransport. Konkret: Lastwagenfahrer, die keine Kopie ihrer Lizenz dabei haben und deshalb vom BAV gebüsst werden.
Doch nun soll das BAV einen Fall von einem ganz anderen Kaliber untersuchen und beurteilen: Die Postauto AG hat während Jahren 78 Millionen Franken zu viel an Subventionen bezogen. Die Bundesanwaltschaft (BA) sieht sich für den Fall nicht zuständig. Sie hat eine Strafanzeige des BAV zurückgewiesen (Ausgabe von gestern).
Die Bundesanwaltschaft hat mit ihrem Vorgehen nicht nur das BAV überrascht, sondern auch Experten. Die Ratlosigkeit beim Bund ist gross. Es stellen sich im Wesentlichen zwei Fragen: Erstens, kann das BAV als Aufsichtsbehörde zugleich Klägerin, Untersuchungsbehörde, Richterin und erste Rekursinstanz sein, wie es das Verwaltungsstrafrecht vorsieht? Zweitens, hat das BAV genügend Know-how und Ressourcen, um den Fall zu bewältigen?
Das Parlament entschied Ende der 1980er- Jahre, dass Widerhandlungen gegen das Subventionsgesetz vom zuständigen Bundesamt untersucht und geahndet werden. Die Idee dahinter war, dass die «unlauteren Machenschaften zur Erlangung von Bundesbeiträgen» einheitlich behandelt werden. Deshalb legte man die Zuständigkeit bei der Bundesverwaltung fest.
Der Bundesrat war sich durchaus bewusst, dass dieser Vorschlag auch Risiken birgt. Insbesondere bestehe die Gefahr, «dass den Verwaltungsbehörden des Bundes die Kenntnisse und die Übung im Umgang mit Strafrechtsfällen abgehen.» Deshalb besteht die Möglichkeit, dass der Bundesrat den Fall an eine andere Verwaltungseinheit des Bundes überträgt.
Das wäre jedoch juristisches Neuland. Befragte Experten können sich an keinen anderen ähnlich gelagerten Fall erinnern. Unklar wäre auch, wer das Verfahren durchführen kann. Die Eidgenössische Finanzkontrolle hälft fest, dass sie Sachverhalte prüfen, aber keine strafrechtlichen Verfahren durchführen könne: «Das Finanzkontrollgesetz sieht die Verfolgung und Beurteilung von Widerhandlungen durch die EFK nicht vor», sagt die stellvertretende Direktorin Brigitte Christ.
Verschiedene Parlamentarier haben das Bundesamt für Justiz ins Spiel gebracht: Doch dieses verfügt über kein Spezialwissen im Verwaltungsstrafrecht, sondern ist hauptsächlich in der Gesetzgebung tätig.
Es ist gut möglich, dass das BAV den Fall schliesslich doch selbst untersuchen und beurteilen wird. Um Rollenkonflikte zu vermeiden, sei es zentral, dass Aufsicht und Strafverfolgung unterschieden würden, sagt Ines Meier, Spezialistin für Verwaltungsstrafrecht: «Eine Person, die in der Aufsicht tätig ist, darf also nicht gleichzeitig Verwaltungsstrafverfahren führen.» Unklar ist gemäss Juristen, ob das BAV für die Untersuchung unabhängige Personen beauftragen könnte, beispielsweise einen kantonalen Staatsanwalt.
Ein Bundesamt hat ähnliche Untersuchungskompetenzen wie eine Staatsanwaltschaft: Sie kann Dokumente, Handys, Computer etc. beschlagnahmen, Hausdurchsuchungen durchführen oder beschuldigte Personen vorläufig verhaften, wie Meier sagt. Im Verwaltungsstrafrecht legt die Untersuchungsbehörde auch das Urteil fest – ausser eine Gefängnisstrafe kommt in Betracht, dann entscheidet ein Gericht. Die Verwaltung kann Bussen bis zu einer Million Franken sprechen. Betroffene können eine Strafverfügung an ein Gericht weiterziehen.
Schliesslich gäbe es doch noch eine Möglichkeit, dass der Bund den Fall nicht selbst untersuchen muss. Kommen neue relevante Sachverhalte zum Vorschein und die BA leitet eine Strafuntersuchung ein, kann das Departement von Doris Leuthard anordnen, dass die BA auch das Verfahren wegen Subventionsbetrug übernimmt. (aargauerzeitung.ch)