Die Luftfahrt-Industrie befindet sich wegen der Corona-Krise in einem beispiellosen Sturm. Demnächst entscheidet der Bundesrat, wie genau er der Swiss und Co. unter die Arme greifen will. Die Landesregierung hat die milliardenschweren Überbrückungskredite bereits an Bedingungen geknüpft:
Einen zentralen Aspekt lässt der Bundesrat jedoch aus:
Dies enerviert GLP-Vizepräsident Pascal Vuichard. «Es ist keine Lösung, am klimaschädlichen Status quo in der Luftfahrt festzuhalten.» Falls die Schweiz die Pariser Klimaziele ernst nehme, müsse man im Rahmen des Luftfahrt-Rettungspakets auch über Alternativen wie den Ausbau des Nachtzug-Netzes oder der Hochgeschwindigkeitslinien sprechen.
Für Vuichard ist jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, um die Mobilität in Europa umzukrempeln; Airlines müssten ihr Geschäftsmodell überdenken. «Die Swiss könnte eigene Nachtzug-Linien betreiben, etwa nach Amsterdam oder Barcelona.» Solche Nachtzug-Angebote könnten unter dem «Swissness»-Label vermarktet und mit eigenem Personal begleitet werden. Den Bahnbetrieb selbst könnte man an externe Unternehmen outsourcen, auch eine Zusammenarbeit mit den «ÖBB Nightjet» sei denkbar. Die Schweiz könne die Anpassung des Geschäftsmodells mit dem geplanten Klimafonds subventionieren.
Auch der Mobilitäts- und Zukunftsforscher Thomas Sauter-Servaes sieht in der Corona-Krise eine Chance, Mobilität neu zu denken. «Routinen wie das Reisen verändern sich durch Corona gerade fundamental. Diesen Bruch sollte man nützen, um etwa den Luftverkehr neu zu gestalten», sagt der Leiter des Studiengangs Verkehrssysteme an der ZHAW zu watson.
Die Swiss etwa sollte sich von einer reinen Airline zum Anbieter für Fernmobilität weiterentwickeln und auch Zugverbindungen anbieten, hält Sauter in seinem Blog-Beitrag fest. Dies sei keine Revolution: Die Konzernmutter Lufthansa habe bereits in den 1980er Jahren mit dem Lufthansa-Airport-Express Kurzstreckenflüge zwischen dem Frankfurter Flughafen und Düsseldorf bzw. Stuttgart ersetzt. Jüngst hat zudem die holländische Airline KLM angekündigt, bestimmte Flüge von Amsterdam nach Brüssel durch Zugverbindungen zu ersetzen.
Die Swiss erklärt, man habe bereits im letzten Herbst eine neue strategische Partnerschaft mit den SBB vereinbart, um «intermodale Angebote» in der Schweiz auszubauen. So können etwa Touristen seither ein Swiss-Ticket von Hongkong bis nach Interlaken buchen. Dies sei eine Reaktion auf das «steigende Kundenbedürfnis nach einer nahtlosen Kombinierbarkeit der verschiedenen Verkehrsmittel».
Ob die Swiss auch Nachtzugverbindungen prüft, lässt die Airline offen. «Die möglichen Auswirkungen der Corona-Krise auf das Flugzug-Angebot werden wir gemeinsam mit den SBB überprüfen», sagt Swiss-Sprecherin Meike Fuhlrott. Über konkrete weitere Entwicklungen werde man zu gegebener Zeit informieren.
Auch bei den Langstrecken sieht Mobilitätsforscher Sauter-Servaes für die Swiss Möglichkeiten, die Zahl der Reisenden zu reduzieren und trotzdem keine Kunden zu verlieren. «Für Geschäftsreisende von KMUs könnte die Swiss in Zusammenarbeit mit Hotels professionelle Videokonferenz-Anlagen anbieten. Diese Technik können sich bislang nur Grossunternehmen leisten.» So liessen sich viele klimaschädliche Business-Trips vermeiden.
Aber wird nach der Corona-Krise tatsächlich weniger geflogen? Sauter-Servaes hat grosse Zweifel. «Die Flugzeuge sind da, die Piloten sind da. Viele Menschen werden zudem in der Post-Corona-Zeit erst recht verreisen wollen.» Er glaube auch nicht, dass in Europa grosse Airlines bankrott gehen werden. «Länder unterstützen ihre Airlines als Flag-Carrier mit viel Geld. Die Luftfahrt ist nach wie vor sehr klassisch aufgestellt.»
Damit wäre der Zug für die meisten innereuropäischen Strecken schlicht und einfach schneller als das Flugzeug.