Sie sind das Paradies für Schnäppchenjäger: Auf ausländischen Onlineshops wie Alibaba, Wish oder Taobao gibt es fast alles zu finden, und das zu ultratiefen Preisen. Handy-Ladekabel für einen Franken, Dentalstreifen für weissere Zähne für wenige Rappen oder Kosmetik zu Ramschpreisen. Dass auch die Qualität der Produkte zum Teil eher Ramsch ist, scheint vielen Kunden egal zu sein: 2018 bestellen Schweizer rund 33 Millionen Kleinwarensendungen aus dem Ausland. Allein 23 Millionen stammen aus Asien, insbesondere aus China. Fünf Jahre zuvor waren es gerade mal 3 Millionen.
Der Päckli-Boom aus Asien hat die hiesigen Versandhändler in Nervosität versetzt, so auch Migros und Coop mit ihren eigenen Onlinewarenhäusern Galaxus und Microspot. Sie kritisieren die billige Konkurrenz. Einerseits seien viele Pakete falsch oder gar nicht deklariert. Andererseits profitiert vor allem China von vergünstigten Posttarifen, da es vom Weltpostverein als Entwicklungsland eingestuft wird. Migros forderte vor einem Jahr gar als Protestaktion die Rücksendung ganzer Schiffscontainer an China.
Nun reagiert der Bundesrat auf das Wehklagen der Schweizer Detailhändler. Am Mittwoch legte er einen umfassenden Bericht vor und das für den Zoll zuständige Eidgenössische Finanzdepartement beauftragt, sieben Massnahmen zu starten, um den falschen Zolldeklarationen von ausländischen Onlinehändlern einen Riegel zu schieben.
Zu den Massnahmen gehören administrative Vereinfachungen und automatisierte Risikoanalysen, welche mehr Kräfte freisetzen sollen für stärkere Kontrollen. Zudem soll das Finanzdepartement den Einsatz von modernen Röntgenanlagen und anderer Apparate zum Scannen von Paketen prüfen. Denn heute steckt oftmals nicht das im Paket, was angegeben ist, und auch nicht der genannte Wert. Für illegale Sendungen wie Waffen, Drogen oder nicht zulässige Medikamente will der Bund eine rechtliche Grundlage schaffen, um diese Produkte rasch vernichten zu können.
Mit den Onlineplattformen und ausländischen Zollverwaltungen soll das Gespräch gesucht werden, um die heutigen Probleme lösen zu können, fordert der Bund. Und die Handelsgiganten wie Alibaba sollen dafür sorgen, dass der Schweizer Zoll über jede bevorstehende Paketsendung im Detail informiert wird. Der Massnahmenkatalog des Bundesrats ist eine Reaktion auf ein Postulat der Grünliberalen Nationalrätin Tiana Moser. Sie hatte gleich lange Spiesse für alle Online-Händler gefordert und einen Stopp von Falschdeklarationen.
Das heutige Problem ist nicht zuletzt, dass die Absender der Pakete verstreut sind. Zwar bestellt der Schweizer Kunde auf Alibabas Webseite, doch darauf tummeln sich Zehntausende von privaten Händlern, die Alibaba als Schaufenster nutzen, um ihre Ware feilzubieten. Auch der US-Händler Amazon wendet dieses Prinzip an.
Laut Branchenkenner sind die Amerikaner bemühter um eine einvernehmliche Lösung. Allerdings reagierte Amazon Ende 2018 abrupt auf die neue Schweizer Mehrwertsteuerregelung und schloss die hiesige Kundschaft vom Einkaufen auf Amazon.com aus. Der Bundesrat hatte per Anfang 2019 beschlossen, dass Versandhändler, die pro Jahr mehr als 100'000 Franken Umsatz erzielen, in der Schweiz Mehrwertsteuer bezahlen müssen. Zuvor konnte Amazon Sendungen mit einem Wert bis 65 Franken abgabefrei in die Schweiz liefern.
Die Schweizerische Post, die wegen des Päckli-Booms deutlich mehr Sendungen austragen muss, will den Bericht noch nicht bewerten. «Die Wirksamkeit und die Praktikabilität wird sich in der Umsetzung zeigen», sagt eine Sprecherin. Sie weist ausserdem darauf hin, dass sich das Wachstum im ersten Halbjahr auf 5 Prozent abgeschwächt hat. 2018 war die Zahl der Kleinwarensendungen aus dem Ausland um 17 Prozent gestiegen.
Die IG Detailhandel Schweiz, zu der Migros, Coop, Denner und Manor gehören, begrüsst auf Anfrage, «dass der Bundesrat den Handlungsbedarf anerkennt.» Man werde nun den Bericht analysieren und dann das weitere Vorgehen prüfen. Der Verband des Schweizerischen Versandhandels, der über 300 Schweizer Firmen vertritt, zeigt sich laut Präsident Patrick Kessler ebenfalls glücklich über die Haltung des Bundesrates. «Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, wobei die ganze Sache schneller vonstattengehen dürfte, da Schweizer Händlern täglich wertvolle Umsätze entgehen wegen ungleicher Behandlung.»
Kessler sieht vor allem Alibaba und Co. in der Pflicht. «Sie haben alle Informationen der einzelnen Sendungen und könnten den Schweizer Zoll vorab über die Lieferkette und den Inhalt des Pakets korrekt informieren.» Mit der EU führe Alibaba denn auch entsprechende Gespräche, von denen die Schweiz aber bisher ausgeschlossen sei, sagt Kessler. Er hofft, dass die Schweiz möglichst rasch eine mögliche EU-Lösung übernehmen könnte.
Doch selbst wenn die Chinesen stärker kooperieren, braucht es künftig Kontrollen. Da fragt sich, wie derart viele Pakete auf deren Inhalt überprüft werden sollen? «Es ist in der Tat ein enormer Aufwand», sagt Kessler. «Aber mit neuen Röntgengeräten und digitalen Zollsystemen wird die Kontrolle einfacher und effizienter.» Heute würden nur sehr wenige Stichproben durchgeführt, da sie alle manuell ausgeführt werden. Zudem entgingen heute dem Staat jährlich Millionen an Mehrwertsteuereinnahmen. (aargauerzeitung.ch)