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Wirtschaft

So gehen Schweizer Firmen und Institutionen mit Sexismus um

So gehen Schweizer Firmen und Institutionen mit Sexismus um

Wenn es zum Vorwurf eines sexuellen Übergriffs oder Machtmissbrauchs kommt, reagieren Schweizer Firmen unterschiedlich. Sechs Beispiele zeigen wie vielfältig die Probleme in der Arbeitskultur gelöst werden – oder eben nicht.
17.04.2021, 11:41
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Die Nationalbank als Männerbastion

Die Buendner Regierungsraetin Barbara Janom Steiner, aufgenommen an der Delegiertenversammlung der BDP Schweiz, am Samstag, 28. April 2018, in Seewis. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)
Bankratspräsidentin Barbara Janom war vor ihrer Zeit bei der Nationalbank Regierungsrätin (BDP) im Kanton Graubünden.Bild: KEYSTONE

Der Fall: In der über 100-jährigen Institution herrsche eine «kaputte Kultur», urteilte eine ehemalige Mitarbeiterin in der «Republik». Insgesamt 17 Zeuginnen berichteten aus eigener Erfahrung über Lohndiskriminierung, Mobbing und systematische Geschlechterdiskriminierung. Die Rede war sogar von Verletzungen des Arbeitsrechtes.

Die Reaktion: Nationalbank-Chef Thomas Jordan spricht zunächst von möglichen «Einzelfällen». Drei Monate später, nach der Analyse aller seit 2014 dokumentierten Fälle, stellt die Bankratspräsidentin Barbara Janom Steiner (Foto) fest: Im Umgang mit Mitarbeitenden sei es zu Fehlern gekommen. Es handle sich aber nur um wenige und keine gravierenden Vorkommnisse. Dennoch hat der Bankrat einen Ad-hoc-Ausschuss gebildet, der die internen Prozesse bei Anstellungen, Beförderungen und Lohnfestlegung überprüfen soll. (dz)

Die CVP und ein Sexismus-Fall im Bundeshaus

Dem Walliser CVP-Politiker Yannick Buttet droht juristisches Ungemach. Eine FDP-Politikerin hat gegen ihn Strafanzeige wegen sexueller Bel�stigung eingereicht. (Archivbild)
Parteivizechef Yannick Buttet soll eine Ex-Geliebte gestalkt haben.Bild: sda

Der Fall: Lange wurde Sexismus im Bundeshaus unter den Teppich gewischt- bis zum Fall Buttet: Ende 2017 wurde publik, dass der Walliser CVP-Nationalrat und Parteivizechef Yannick Buttet eine Ex-Geliebte gestalkt haben soll. Der Fall schlug hohe Wellen und trat eine breite Debatte über sexuelle Belästigung in der Politik los - zumal bald weitere Frauen von Ausrutschern Buttets berichteten.

Die Reaktion: Prominente CVP-Exponenten erklärten, dass Buttet nicht mehr tragbar sei. Daraufhin trat er zurück. 2018 wurde er wegen Nötigung verurteilt. 2020 gab es neue Vorwürfe: Buttet soll demnach eine FDP-Lokalpolitikerin verbal und körperlich belästigt haben. Sie erstattete im vergangenen Herbst Strafanzeige gegen ihn - und verpasste danach prompt ihre Wiederwahl. Auch in der Walliser Politik entfachte nun eine Debatte darüber, warum Frauen von der Rolle des Opfers in die der Täterin gedrängt werden. (sva)

MeToo bei EY – oder alles ganz anders?

Laut einer Studie des Consulting-Unternehmens EY liegt Frankreich erstmals im europ�ischen Vergleich auf Platz 1 bei den Investitionen. (Archivbild)
Ein hochrangiger EY-Mitarbeiter soll einer Mitarbeiterin unbotmässige Avancen gemacht haben.Bild: sda

Der Fall: Einen «klassischen Fall sexueller Belästigung» enthüllte der «Tages-Anzeiger» im Dezember 2018. Beim Schweizer Ableger des Wirtschaftsprüfers EY soll ein hochrangiger Mitarbeiter einer Mitarbeiterin unbotmässige Avancen gemacht haben. Als sie sich diesen widersetzte, habe der Mann ihr gedroht, dass sie ihren Job verliere. Die Frau verliess EY einige Monate danach.

Die Reaktion: EY stellte den Mann zunächst frei, liess den Vorfall rechtlich prüfen. Im März zeichnete die «Handelszeitung» ein anderes Bild: Die Frau habe mit anderen Assistentinnen einen Chat unterhalten, in dem es darum gegangen sei, wer sich einen Partner anlachen könne. Als ihr ein Lohnsprung verweigert wurde, habe sie sich krankschreiben lassen und den Mann angezeigt. Nach Monaten habe EY auf eine Wiederaufnahme der Arbeit gedrängt, worauf es zu einer Trennungsvereinbarung gekommen sei. (ehs)

Ein Protestbrief bei Tamedia schlägt hohe Wellen

Der Medienkonzern TX Group, der bis Ende letzten Jahres unter dem Namen Tamedia firmierte, hat 2019 weitere Einbussen bei den Erlösen mit Inseraten in Printmedien hinnehmen müssen. Im Bild: Hauptsitz  ...
78 Tamedia-Mitarbeiterinnen schrieben einen Protestbrief.Bild: KEYSTONE

Der Fall: Auf der Redaktion von Tamedia wurden Anfang März Sexismus-Vorwürfe laut. In einem Protestbrief schilderten 78 Mitarbeiterinnen eine sexistische Unternehmenskultur, weitere 37 reichten ihre Unterschrift nach. In diesem Schreiben kritisierten die Journalistinnen, dass Männer fast alle Schlüsselpositionen besetzen, Frauen «ausgebremst, lächerlich gemacht und schlechter entlöhnt» würden. Und: Die Probleme seien strukturell. Die Journalistinnen forderten Verbesserungen.

Die Reaktion: Die Männer der Redaktion doppelten nach und bekundeten ihre Solidarität mit ihren Kolleginnen - ebenfalls per Brief. Tamedia reagierte und leitete eine interne und externe Untersuchung der Vorfälle ein; Mitte Mai möchte die Verlagsführung darüber informieren. Ausserdem hat Tamedia bei der Fusion der beiden Tageszeitungen «Bund» und «Berner Zeitung» mehreren Frauen eine Führungsposition angeboten. (nif)

Machtmissbrauch beim Opernhaus Zürich

ARCHIVBILD ZUR MK DES OPERNHAUSES ZUERICH, AM FREITAG, 5. APRIL 2019 - Blick vom Sechselaeutenplatz auf das Opernhaus Zuerich, anlaesslich einer Medienkonferenz, am Montag, 2. Juli 2018, in Zuerich. ( ...
Mehr als ein Viertel der Mitarbeitenden erlebte im Opernhaus Machtmissbrauch.Bild: KEYSTONE

Der Fall: Der Zürcher Operndirektor Michael Fichtenholz hatte im Winter gekündigt, wurde mit viel Lob von Intendant Andreas Homoki per Mail verabschiedet. Dann zeigte diese Zeitung auf, dass es vorher gegen Fichtenholz zu einem Verfahren wegen Machtmissbrauch gekommen war (Fichtenholz war schon 2018 verwarnt worden). Der Prozess wurde einvernehmlich beendet. Als sich ein TV-Beitrag ankündete, in dem eine anonyme Quelle die Vorwürfe «bestätigen» würde, startete das Opernhaus eine Blitzumfrage.Die Reaktion: Die Umfrage zeigte, wie schlecht es um das Haus steht: 27 Prozent der Mitarbeitenden haben im Opernhaus Machtmissbrauch erlebt. 39 Personen einmal, 111 mehrmals und 23 regelmässig. Von 649 Befragten sind 79 Personen (12 Prozent) in den letzten drei Jahren von Belästigung betroffen gewesen. 12 Mitarbeitende haben sich einmal belästigt gefühlt, 59 mehrmals und 8 regelmässig. (bez)

Mitte, Basel: Übergriff in einem linken Lokal

Der Fall: Im Frühjahr 2020 schrieb eine Mitarbeiterin des linksalternativen Kaffeehauses «Unternehmen Mitte» in Basel eine lange Mail an die Geschäftsleitung. Darin schilderte sie, dass ein Koch des Unternehmens ihr gegenüber sexuell übergriffig geworden sei. Sie reichte eine Strafanzeige gegen den Koch ein. Auch andere Mitarbeitende berichteten von verbaler Belästigung und Beleidigungen.

Die Reaktion: Die Geschäftsleitung, die sich selbst gerne mit progressiven und sozialen Werten beschreibt, deklarierte die Geschehnisse als akrobatische Übung und entliess die Mitarbeiterin. Den Koch forderte sie auf, eine Mediation und eine Schulung zu besuchen. Im März 2021 gelangte der Vorfall an die Öffentlichkeit. Erst danach, auf Druck von Partnern, Zulieferern und der Kundschaft, entliess sie den Beschuldigten. Nun soll ein Krisenstab die Vorfälle aufarbeiten, ein Drei-Punkte-Plan wurde gestartet. (hk) (aargauerzeitung.ch)

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Frauenstreik 1991
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Frauenstreik 1991
Plakat zum landesweiten Frauenstreik vom 14. Juni 1991 mit dem Motto: «Wenn Frau will, steht alles still». Das Sujet stammt von Grafikerin Agnes Weber. (bild: schweizerisches nationalmuseum / asl)
quelle: schweizerisches nationalmuseum / asl
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4 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Stambuoch
17.04.2021 11:57registriert März 2015
Ich arbeite in einer Firma mit 23 Personen und bin einer von zwei Männern. Zumindestens gibt es bei uns wohl keinen strukturellen Sexismus, weil Sexismus gemäss diversen Frauen nur Frauen und andere betrifft, aber niemals Männer.
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Frank8610
17.04.2021 12:01registriert Dezember 2016
Ach was, solche Übergriffe gibt es auch bei linken Progressiven Organisationen? Und werden dann nicht einmal richtig aufgearbeitet? Wer hätte das gedacht...
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John Henry Eden
17.04.2021 13:46registriert Januar 2014
Jede Geschichte hat zwei Seiten. Aktuell verfolgen viele Unternehmen eine Null-Toleranz-Politik. Das hört sich vielleicht gut an, bedeutet aber nichts anderes als «Schuldig bei Anklage». Im Vergleich dazu waren selbst die Inquisitionsprozesse «fair».
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