Mit Spannung erwarten viele die Bundesratssitzung von kommendem Mittwoch. Von Finanzminister Ueli Maurer wird erwartet, dass er dann Lockerungen der Härtefall-Regeln kommuniziert. Mitte Dezember entschied der Bundesrat, zur Abfederung der wirtschaftlichen Schäden das Härtefall-Programm für Unternehmen aufzustocken. Doch die beschlossene Regelung ist kompliziert und in vielen Kantonen hapert die Umsetzung. Betriebe, die dringend auf Hilfskredite angewiesen wären, werden abgewiesen oder müssen warten.
In der Folge wurde in den vergangenen Wochen vermehrt Kritik laut. Am Wochenende warnte der Präsident von Gastro Suisse eindringlich vor einem Kollaps vieler Restaurants und Hotelbetriebe. Aktuell liege die Zahl der akut in ihrer Existenz bedrohten Betriebe bei rund 15 Prozent. Ihre prekäre Lage nahmen am gestrigen Montag gar einige hundert Deutschschweizer Restaurantbesitzer zum Anlass, um gegen die bundesrätlichen Massnahmen zu protestieren. Ungeachtet des herrschenden Verbots schlossen sie ihre Beizen auf und bewirtschafteten ihre Kundschaft. Es kam zu mehreren Polizeieinsätzen.
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Nicht nur die Gastronomen leiden unter den Auswirkungen der Eindämmungsmassnahmen gegen das Coronavirus. Während Arbeitnehmerinnen und Selbstständige mit Kurzarbeit und Erwerbsersatz einigermassen abgesichert sind, warten KMU-Inhaber auf eine unkomplizierte Ausschüttung von Unterstützungsgeldern. Anstatt dass die Landesregierung die Strategien zur Eindämmung des Virus mit finanziellen Unterstützungsmassnahmen flankiert, geizt sie mit der Ausschüttung von Kompensationen. Als Härtefall und damit unterstützungswürdig gelten nur jene Firmen, die eine Umsatzeinbusse von 40 Prozent oder mehr erlitten haben und realistische Überlebenschancen geltend machen können. Die konkrete Ausgestaltung der Härtefall-Definition des Bundes obliegt den Kantonen und unterscheidet sich entsprechend stark.
Obwohl bereits 2,5 Milliarden Franken gesprochen sind, kommt die Auszahlung sehr langsam voran. Marius Brülhart, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Lausanne und Mitglied der Expertengruppe Economics der wissenschaftlichen Corona-Taskforce des Bundes plädiert daher für rasche Hilfezahlungen über Kredite. Nach ausgestandener Krise könne dann je nach Ausmass der Umsatzeinbussen ein Teil erlassen werden. Ein solches Modell wählte der Kanton Thurgau.
Ökonomen aus der Wissenschaft seien sich nämlich weitgehend einig, dass in einer Situation wie dieser eine grosszügige staatliche Hilfe nicht nur angebracht, sondern auch längerfristig vorteilhaft ist, betont Brülhart. «Das Paradoxe ist, dass die Schweiz von allen Ländern eigentlich dasjenige ist, das es sich am besten leisten kann, grosszügig zu sein.» Denn Tatsache ist, dass die Schweiz eine weltweit rekordtiefe Staatsverschuldung hat. «Zudem sind die Zinsen negativ, was bedeutet, dass der Staat Geld dafür bekommt, wenn er Schulden macht. Investoren suchen so verzweifelt nach sicheren Anlagemöglichkeiten, dass sie sogar bereit sind, etwas draufzuzahlen, damit der Staat ihr Geld doch aufnehmen möge.»
Was die entsprechenden Entscheidungsträger in den Finanzdepartementen hindere, sei wohl ihre tiefliegende Aversion gegen Staatsverschuldung. «Das ist in der Schweiz eine fast kulturelle Abneigung, die aber in einer solch aussergewöhnlichen Situation wie dieser tödliche Folgen hat.» Denn je zurückhaltender ein Staat mit Entschädigungszahlungen an Firmen sei, desto mehr würden sich diese gegen jegliche Einschränkungen wehren. «Und je heftiger Branchen lobbyieren, umso schwerer ist es für die Politik, Massnahmen zu beschliessen, die Leben retten», sagt Brülhart.
Für den Taskforce-Ökonom ist die Budgetpolitik und die Zurückhaltung, Schulden zu machen, deshalb der Dreh- und Angelpunkt der momentanen Diskussionen. Wissenschaftliche Experten plädieren schon seit mehreren Wochen für schärfere Massnahmen, um die hohen Ansteckungs- und Todeszahlen zu senken. Die Ökonomen in der Taskforce unterstützen diese Forderung, weil sie auch wirtschaftlich Sinn macht. Doch um diese Massnahmen durchzusetzen, brauche es zwingend entsprechende Kompensationszahlungen an die Privatwirtschaft. Bereits im Herbst plädierten Ökonomen in einem offenen Brief für eine Vollbremsung: Selbst wenn diese kurzfristig Millionen koste, rette das Leben und erlaube mittelfristig weniger drastische Massnahmen.
Switzerland should stop obsessing about rising public debt and instead offer generous compensation to Covid-affected businesses.
— Marius Brülhart (@Marius_Brulhart) January 12, 2021
Some numbers that illustrate the reasons why debt it the least of our problems, nicely presented by @KOFETH:
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Volkswirtschaftsprofessor Brülhart sagt, inzwischen seien die Argumente für strengere Eindämmungsmassnahmen noch stärker geworden. Mit dem Impfstart dürfe man nun davon ausgehen, dass das Schlimmste in einem halben Jahr vorbei ist. «Die Angst vor einer nicht endend wollenden Krise und einem unendlichen Schuldenberg ist jetzt also umso weniger angebracht. Hingegen ist jeder weitere Todesfall angesichts des absehbaren Endes der Pandemie doppelt tragisch.»
Ich hoffe doch, dass die Gewerbe sich bei den nächsten Wahlen bewusst sind, wer sie einfach fallengelassen hat!
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