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Coronavirus: Antikörpertests in Arztpraxen machen für Einzelne keinen Sinn

Jan Fehr ist Professor am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich. Er forscht zu Antikörpertests in der Schweiz.
Jan Fehr ist Professor am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich. Er forscht zu Antikörpertests in der Schweiz.bild: epa / corona immunitas

Verwirrung um Immun-Tests – warum das Testen für Einzelne jetzt keinen Sinn macht

Apotheken, Arztpraxen und private Initiativen werben damit, dass Antikörpertests Gewissheit über die Immunität von Einzelnen liefern können. Das sei unseriös, sagt Infektionsspezialist Jan Fehr und erklärt, wann die Tests Sinn machen – und wann nicht.
22.04.2020, 10:4423.04.2020, 05:50
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Auch nach den ersten Lockerungen der Schutzmassnahmen ab dem 26. April wird ein Grossteil des öffentlichen Lebens weiterhin eingeschränkt bleiben. Home Office, geschlossene Restaurants, Abstand halten – von Normalität kann nicht die Rede sein.

Umso hoffnungsvoller blickt man darum auf die Wissenschaft und Forschung. Solange kein Impfstoff gegen Sars-CoV-2 bereitsteht, sollen Antikörpertests für mehr Klarheit sorgen. Mit diesen Bluttests kann bestimmt werden, wer bereits am neuen Coronavirus erkrankte, Antikörper gebildet hat und jetzt immun ist. Je besser erfasst werden kann, wie weit sich das Virus bereits ausgebreitet hat und wie es um die Immunität der Schweizer Bevölkerung steht, umso einfacher können die Sicherheitsmassnahmen des Bundes gesteuert – und dann eben auch weiter gelockert werden.

Verwirrung um Immun-Tests

Nun scheint aber grosse Verwirrung um solche Antikörper-Tests zu herrschen. Während Forscher warnen, dass die Tests noch nicht weit genug entwickelt seien, bieten erste Arztpraxen und Apotheken auf eigene Faust bereits Antikörpertests an. Die Permanence MedCenter in Luzern schreibt auf ihrer Webseite: «Wir bieten Immunitäts-Tests an, die Ihnen zeigen, ob Sie gegen das Covid-19-Virus immun sind.» Das ganze Prozedere sei unkompliziert und dauere nur 15 Minuten. Die mehrheitlich aus Wirtschaftsvertretern bestehender Initiative «Corona Immunity», wirbt gar damit, dass schon ab Mai mit einer eigens entwickelten Technologie das einfache Testen zu Hause möglich sein soll.

Dass solche Versprechen eingehalten werden können, bezweifelt Jan Fehr, Infektionsspezialist und Professor am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich. Er verstehe zwar, dass sich die Leute mit einem Immun-Test Gewissheit verschaffen wollten. Doch weder seien die Tests sicher genug. Noch wisse man, ob überhaupt eine Immunität nach dem Nachweis von Antikörpern bestehe und wie lange eine Immunität gegen das Coronavirus anhalte. Fehr sagt: «Wir brauchen zuerst die wissenschaftliche Grundlage, daran arbeiten wir.»

epa08361132 A team of paramedics during a serology test with a resident ithat can discover whether a person has ever been exposed to the novel coronavirus, Cascais, Portugal, 13th April 2020. The Casc ...
Solche Schnelltests sind noch zu unsicher, als dass sie sichere Ergebnisse zur Immunität liefern könnten. Bild: EPA

Was Fehr sagt, hat Gewicht. Er beschäftigt sich intensiv mit den Möglichkeiten und Grenzen von Antikörpertests. Seit Wochen arbeitet er mit ausgewiesenen Spezialistinnen und Spezialisten aus dem ganzen Land unter Hochdruck am nationalen Forschungsprogramm «Corona Immunitas». Das Ziel des Projekts ist es, Informationen zur Durchseuchung der Schweizer Bevölkerung zu sammeln. In einem weiteren Schritt sollen Informationen gesammelt werden, inwieweit die Leute immun sind und insbesondere auch darüber, wie lange die Immunität anhält.

«Selbsttests sind realitätsfern»

Wer sich also testen lassen wolle, sollte das nicht zur privaten Zwecken tun, sondern lediglich innerhalb sorgfältig aufgegleisten Studien. «Wir brauchen Testpersonen. Aber nicht, um dem Einzelnen Sicherheit über die eigene Immunität geben zu können», sagt Fehr. Die Studie werde Personen per Stichprobe auswählen. Insbesondere Selbsttests für Zuhause seien derzeit absolute Zukunftsmusik. «Das anzubieten, ist realitätsfern.» Besonders deutlich illustriere das das Beispiel der ersten HIV-Selbsttests, die vorletztes Jahr auf den Markt kamen – wohlgemerkt über dreissig Jahre nach der Entdeckung des Virus.

Hätte Fehr eine Glaskugel, würde er gerne hineinschauen. Viele Antworten auf offene Fragen, kann er zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gehen. Sehr vorsichtig wagt er eine Prognose: «An der Universität Zürich arbeitet ein Team von Virologen daran, einen Test zu entwickeln, der bis jetzt sehr vielversprechend aussieht. Ich gehe davon aus, dass die Wissenschaftler in den kommenden Wochen die Validierung der Labor-Antikörpertests abschliessen können.» Es geht also vorwärts: «So rasch wie möglich, aber auch so sorgfältig wie nötig.»

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24 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Amadeus
22.04.2020 11:24registriert September 2015
Ich finde, Professor Fehr zeigt schön auf, was viele Leute nicht zu berücksichtigen scheinen. Die Wissenschaft arbeitet langsam aber gründlich. Natürlich will man immer schnelle Antworten, aber Forschung braucht Zeit. Übrigens, hat man die Permanence MedCenter in Luzern kontaktiert für eine Stellungnahme? Das wäre gründlicher Journalismus.
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FrancoL
22.04.2020 11:59registriert November 2015
Dieser Satz sticht mir ins Auge;
"Noch wisse man, ob überhaupt eine Immunität nach dem Nachweis von Antikörpern bestehe und wie lange eine Immunität gegen das Coronavirus anhalte"

In diesem Zusammenhang ist zB auch die Herdemimmunität zu betrachten. Wenn man nicht weiss wie lange die Immunität anhält dann scheint es mir mehr als fraglich ob man zB auf Herdenimmunität setzen will. Dies als Gruss an alle die die die Herdenimmunität so hoch loben.
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wilhelmsson
22.04.2020 14:01registriert Dezember 2015
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