Wie ich die Universität liebe. Ein konstruktives Umfeld, das Wissen zugänglich macht, kritisches Denken fördert und einem kontinuierlich die eigenen Grenzen bewusst macht – wobei das ennet der Grenze Liegende stets greifbar scheint. So funktioniert akademischer Fortschritt. Wahnsinn.
Momentan ist mir das aber piepegal, denn ich verabscheue die Uni. Begriffe wie Lern-Bulimie und Eliten-Filz umschwirren meine Gedanken. Wieso? Weil ich Student in der 7. Phase bin – ich weiss es. Solltest du noch nicht wissen, wieso du dein Leben vor 10 Wochen noch geliebt hast und jetzt destruktive Grundsatzfragen an dich selbst stellst, hier die 9 Studenten-Phasen eines Uni-Semesters:
Typischer Zeitraum: letzte Prüfung/Abgabe des vorherigen Semesters – erster Tag des neuen Semesters
Symptome: Unerklärliche Motivation, Gefühl eines Neuanfangs, regelmässiges Studium des neuen Vorlesungsverzeichnisses, provisorische Stundenpläne, konstruktive Selbstkritik, ambitionierte Vorsätze
Typische Sätze:
«Dieses Semester buche ich die interessanten Fächer – egal wann, egal wie schwer!»
«Der Arbeitsaufwand ist geringer, wenn ich jede Woche ein wenig repetiere. Jetzt weiss ich's.»
«Das letzte Semester war mühsam, dafür kommt jetzt der gute Teil des Studiums.»
Typischer Zeitraum: Anfang Semester – 2. Semesterwoche (Buchungsfrist für Veranstaltungen)
Symptome: Latentes Aufkommen von Panik, minimale Selbstzweifel an eigener Leistungsfähigkeit, gedanklich dennoch positiver Grundton, rechtfertigende Gedankengänge, Einreden von Zufriedenheit
Typische Sätze:
«Ich muss ja nicht alles in diesem Semester machen.»
«Obwohl der Dozent und das Thema absolut perfekt sind, muss ich mir gegenüber ehrlich sein: Am Morgen bin ich vor 10 Uhr nicht aufnahmefähig, darum buche ich das nicht.»
«Lieber ein wenig zurückbuchstabieren und Qualität über Quantität stellen.»
Typischer Zeitraum: 3. Semesterwoche – 7. Semesterwoche
Symptome: Entspannung, Freizeit, Selbstzufriedenheit, gegenseitige Bestätigungsrituale unter Mitstudenten, Sorgenfreiheit, erhöhter selbst-gerechtfertigter Alkoholkonsum
Typische Sätze:
«Es gibt ja noch gar nichts zu lernen. Ich beginne dann, wenn es sich lohnt.»
«Ich muss zuerst wieder ein bisschen reinkommen in den Uni-Alltag. Step by step.»
«Scheissegal, man studiert nur einmal! Das Semester ist noch jung und ich auch: Darauf trinken wir ein Bier!»
Typischer Zeitraum: 8. Semesterwoche
Symptome: Das Gefühl motiviert sein zu müssen, Selbstzwang, Unbehagen, Ringen mit innerem Schweinehund, Evaluieren der Selbstdisziplin
Typische Sätze:
«So, jetzt ist das halbe Semester schon durch, jetzt muss ich mal mit dem Repetieren beginnen.»
«Hui, dieses Semester fliegt ja förmlich! Ab jetzt seriös. Sofort.»
«Sorry, heute kein Ausgang für mich, ich sollte mit dem Arbeitschreiben anfangen.»
ANMERKUNG: Häufigkeit des Auslassens von Phase 4 steigt linear mit Zunahme der Anzahl der absolvierten Semester.
Typischer Zeitraum: 9. Semesterwoche – 11. Semesterwoche
Symptome: Plötzliches Einsetzen von Entspannung, Optimismus (gepaart mit ersten Anflügen von Galgenhumor), Prahlerei bezüglich des niedrigen Lernstandes, Abnahme der Wichtigkeit dieses Semesters in der eigenen Wahrnehmung
Typische Sätze:
«Es hat bis jetzt noch jedes Semester irgendwie gereicht!»
«Ach, komm, und auch wenn es ein Extra-Semester benötigt: Arbeiten muss man danach ja noch genug lange!»
«Du gehst lernen? Pfff. Noch einen Pitcher, bitte!»
Typischer Zeitraum: 12. Semesterwoche
Symptome: Ratlosigkeit, Angstzustände, Schlaflosigkeit, leere Blicke aus dem Fenster, Verlangen nach Embryonalstellung, Gefühl der Machtlosigkeit
Typische Sätze:
«Wieso studiere ich überhaupt? Ist es das, was ich will?»
«Wenn ich jeden Tag fünf Texte lesen würde, hätte ich immer noch drei Wochen zu wenig Zeit. Es geht rein rechnerisch nicht auf. ich bin verloren.»
«Es ist mir einfach alles zu viel.»
Typischer Zeitraum: 13. Semesterwoche
Symptome: Stetiges Pendeln zwischen Aufbruchsstimmung und Ernüchterung, innere Unruhe, Nervosität, Aufflackern von Hoffnung, Motivationsanfälle unter dominanter pessimistischer Grundeinstellung
Typische Sätze:
«Ist zwar brutal streng und ich sehe keinen Ausweg, aber genau in solchen Momenten merkt man doch, dass man lebt.»
«Wenn ich nur einen 4er brauche, reicht es ja, wenn ich einfach die Hälfte intus habe. Eine geringe Chance besteht. Das pack ich!»
«Hat doch alles keinen Sinn, was ich hier lerne und aus Trotz rede ich mir die Unsinnigkeit dieses Faches bei jeder Vorlesungsfolie aufs Neue ein.»
Typischer Zeitraum: 14. Semesterwoche
Symptome: Nimmermüdigkeit, Adrenalinausschüttungsrekorde am Laufmeter, überdurchschnittliche Konzentrationskapazität, minimales Verlangen nach Essen und Trinken, mangelnde Körperhygiene.
Typischer Satz:
«Notiz an alle: Nur im äussersten Notfall kontaktierbar. (Eigentlich auch dann nicht)»
Typischer Zeitraum: Unmittelbar vor der Prüfung
Symptome: Tunnelblick, einmaliges Mischgefühl zwischen Stolz, Unsicherheit, Nervosität und Motivation, Verlangen danach, dein Wissen mit dem deiner Kommilitonen abzugleichen, Testosteron-/Östrogenspiegel on fleek
Typische Sätze:
«Bring it on!»
«Bin ich froh, wenn das endlich vorbei ist ...»
«Ich hoffe, dass das Thema XY nicht dran kommt.»
«YOLO!»
Typischer Zeitraum: Irgendwann, nachdem die Dozenten wieder mal viel zu lange hatten, um die Prüfung zu korrigieren
Symptome: Erleichterung, Enttäuschung über sich selbst und die eigene Selbstdisziplin, Aufkommen erster Vorsätze fürs nächste Semester (siehe Phase 1), zögerliche Berichterstattung den Eltern gegenüber (unter der Annahme, dass es wieder mal nicht die Überfliegernoten waren)
Typischer Satz:
«So, diese Ferien habe ich mir jetzt aber so richtig verdient.»