Ein letztes Mal winkte er ins Publikum. Ein letztes Mal brandete Applaus auf, dann verschwand er geschlagen im Bauch der Rod Laver Arena, die Tasche geschultert, bereit für einen Abgang, der zumindest hier, am anderen Ende der Welt, für immer sein könnte. 6:7, 4:6, 3:6 verlor Roger Federer in den Halbfinals der Australian Open gegen seinen Rivalen, den Serben Novak Djokovic.
Federer war der Mann der magischen Momente, aber eben nicht der wichtigen. Nach verlorenem Startsatz gelangen ihm zwar schöne Punkte, doch zu einer Breakchance kam er nicht mehr. Zum sechsten Mal in Folge verlor er gegen seinen Rivalen Novak Djokovic bei einem Grand-Slam-Turnier, sein letzter Sieg datiert vom 7. Juli 2012 im Wimbledon-Halbfinal. Oder vor einer halben Ewigkeit.
Ewig jung schien Federer zu sein. Immer wieder drehte er in den letzten Jahren die Zeit zurück. Doch aufhalten kann auch er sie nicht, das wurde in den letzten zwei Wochen klar. Auch er wird irgendwann aufhören. Und wo immer er hinkommt, wird er mit seiner eigenen Vergänglichkeit konfrontiert.
Denn mit 38 Jahren umweht jeden seiner Auftritte ein Hauch von Endgültigkeit, dem auch er sich nicht entziehen kann. «Jetzt sitze ich hier und frage mich: Ist das wirklich alles schon vorbei? Wenn ja, dann ging das wirklich sehr schnell. Ja, er ist sehr real, der Rücktritt», sagte er. Zuvor hatte er sich der Frage oft entzogen. Doch auch er kann nicht nur im Hier und Jetzt verharren, das Spiel geniessen, das ihn zu dem gemacht hat, der er ist. Auch er erreicht irgendwann des Ende der Ewigkeit.
Roger Federer spielte in Australien nicht schlecht. Immer wieder blitzten Kreativität und Spielwitz auf. Doch die Leichtigkeit und Unbeschwertheit der vergangenen Jahre, die ihn noch einmal von Erfolg zu Erfolg hatten eilen lassen, waren ihm über die letzten Monate abhanden gekommen. Immer öfter scheiterte er am Balanceakt auf dem schmalen Grat zwischen Perfektionismus und Lockerheit.
Doch das Verlieren, das Zerbrechen der Illusion des Ewigen, hat ihn noch menschlicher und nahbarer gemacht. Trotz der Halbfinal-Niederlage reist Federer mit einem bunten Strauss schöner Erinnerungen aus Melbourne ab. Gegen John Millman gewann er ein Matchtiebreak, in dem er 4:8 hinten gelegen war. Danach sagte er: «Ich habe im Kopf schon begonnen, meine Niederlage zu erklären.» Gegen Tennys Sandgren gewann er trotz einer Blessur und ein Spiel, in dem er gleich sieben Matchbälle abwehrte. Danach sagte er: «Eigentlich sah ich mich schon beim Ski fahren in der Schweiz.»
Solche Erinnerungen, die er nur im Schoss der Tennis-Familie sammeln kann, sind es, die ihn auch im Alter von 38 Jahren fesseln. Federer ist ein Botschafter – in eigener Sache, aber auch im Zeichen des Tennis. Am kommenden Wochenende, am 7. Februar, spielt er erstmals in der Heimat seiner Mutter Lynette das Match for Africa, die Reise nach Kapstadt und Johannesburg ist ihm eine Herzensangelegenheit.
Federer wird dann vor über 50'000 Zuschauern spielen und den Platz mit seinem Rivalen und Freund, Rafael Nadal, teilen. Die Einnahmen fliessen in seine Stiftung, die Kindern im südlichen Afrika, aber auch in der Schweiz, Zugang zu besserer Bildung verschafft. «Für mich wird damit ein Traum wahr. Es ist schade, dass es nicht schon viel früher passiert ist», sagt Federer.
Die Emotionen, die Wendungen, die kleineren und grösseren Dramen dieser Australian Open mögen auch darüber hinwegtäuschen, dass Roger Federer sportlich schon seit längerer Zeit im Schatten von Rafael Nadal und Novak Djokovic steht. Der Serbe ist längst der Beste, wenn nicht der Geschichte, so zumindest der letzten Dekade. Seit 2011 dominiert er das Männer-Tennis mit kurzen Unterbrüchen.
Er hat 15 der letzten 36 Grand-Slam-Turniere gewonnen, Nadal 10, Federer deren 4. Feuer im Bauch, Eis in den Venen, das sei das Rezept, sagte Roger Federer einmal, als er gefragt wurde, was Sieger und Verlierer in den wichtigsten Momenten eines Spiels trennen. Tennis war schon immer ein Spiel der Momente. Und Federer war deren König. Er ist es längst nicht mehr. Gegen Djokovic führte er im ersten Satz zwei Mal mit einem Break, und hatte beim Stand von 4:1 und Aufschlag des Serben drei Chancen, um auf 5:1 davonzuziehen. Er liess sie ungenutzt verstreichen. Und verlor das Tiebreak gleich mit 1:7.
Es gab in dieser Rivalität, die längst zum Klassiker geworden ist, schon bessere, denkwürdigere Begegnungen. Das mag sicher auch dem Umstand geschuldet sein, dass Federer sich im Spiel gegen Sandgren in der Leistengegend verletzt hatte, und Djokovic über Magenprobleme und Migräne klagte.
Tennis war schon immer ein Spiel, das die Sprache des Lebens spricht: Vorteil, Aufschlag, Fehler, Break, Love sind seine Grundbegriffe. Und sie sind es auch in der täglichen Existenz. Jeder Match bildet so etwas wie ein Leben im Kleinen ab. Die Liebe des Publikums war auch an diesem schwülen Sommerabend einseitig verteilt. Federer, die alternde Ikone, die nicht nur Tennis spielt, sondern zu Tennis geworden ist, steht auch in der Gunst der Australier weit vor Djokovic.
Eine Pause, ein Break, nahm sich Federer nach dem Startsatz, als er sich in der Kabine behandeln liess – um sich nach dem Nackenschlag zu sammeln. Der Aufschlag war lange die erwünschte Waffe: Acht Asse gelingen Federer alleine im ersten Satz, 15 waren es insgesamt. Und doch reichte das gegen diesen Novak Djokovic nicht. Gegen dessen Beharrlichkeit, Ausdauer und Präzision, die unerreicht sind. «Der Anfang und das Ende waren gut, der Rest war zum Vergessen», sagte Roger Federer. Ob er noch einmal in Australien spielen wird, liess er offen. Er ist am Anfang vom Ende der Ewigkeit angelangt.