Bayer Leverkusens Sportchef Rudi Völler konnte trotz des 2:1-Sieges seiner Mannschaft gegen Bayern München nur ein Fazit ziehen: «Bayern hat wieder gezeigt, dass sie deutscher Meister werden. Da bin ich fest von überzeugt.»
Völlers Worte treffen den Nagel auf den Kopf, denn sie verdeutlichen: Die Bayern sind wieder die Bayern – der deutsche Rekordmeister, der nach eigenem, sturem «Mia san mia»-Selbstverständnis auch nach Niederlagen immer noch das Mass aller Bundesliga-Dinge ist. Die Pleite gegen die «Werkself» war rein tabellarisch ein Rückschlag im Kampf um die Herbstmeisterschaft. Vier Punkte auf Spitzenreiter Borussia Mönchengladbach beträgt der Rückstand jetzt schon.
Doch sind die Bayern deswegen beunruhigt? Nein. Im Gegenteil: Interimstrainer Hansi Flick bekommt nach der ersten Niederlage sogar eine längere Amtszeit in Aussicht gestellt. «Wir haben verabredet, dass wir erstmal bis Winter weitermachen. Dann setzen wir uns nach dem letzten Spiel mit ihm gemeinsam hin, werden das besprechen und machen möglicherweise auch darüber hinaus weiter», sagte Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge. Damit dürfte Flick als erster Trainer in die Bundesliga-Geschichte eingehen, der mit einer Niederlage seine Position gestärkt hat.
Rummenigge sprach gar davon, dass die Heimpleite gegen Leverkusen «das beste Spiel der Saison» war. «Wir haben mit ihm und in ihm einen Trainer, der gut zur Mannschaft passt», würdigte der 64-Jährige den Coach am ersten Advent weiter: «Es ist wichtig, dass wir uns durch die drei nicht gewonnenen Punkte nicht zu sehr aus der Bahn werfen lassen und weiter machen mit der Spielqualität.» Entsprechend hakte er die zweite Heimniederlage der Saison schnell ab: «Wir müssen unaufgeregt weitermachen. Wenn wir so spielen, werden wir die nächsten Spiele allesamt gewinnen.»
Flick, der neue Bayern-Darling, er wird mit Lobeshymnen überschüttet. Auch, wenn immer noch im Raum steht, dass die Wunschlösung der Bayern-Bosse ein prominenter Trainer wie Mauricio Pochettino oder Erik ten Hag ist. Eine «grosse Lösung», wie es Rummenigge nannte.
Flick selbst schätzte seine erste Niederlage samt erstem Gegentor ähnlich wie sein Boss Rummenigge ein: «Man kann der Mannschaft überhaupt keinen Vorwurf machen, was Einsatz, Kreativität, Spielfreude angeht. Aber es ist natürlich ärgerlich, wenn du nach einem solchen Spiel ohne Punkte dastehst», sagte er.
Eine besonnene Analyse, in der der Bayern-Trainer niemanden herauspickte oder tadelte. Was Flick auszeichnet, ist, dass er es offenbar auch nach Misserfolgen versteht, die Stimmung in der vielzitierten und berüchtigten Bayern-Kabine hochzuhalten.
Ex-Nationalspieler Per Mertesacker kann das sogar belegen. Der Co-Trainer von Arsenal kennt den langjährigen Assistenten von Bundestrainer Jogi Löw noch aus der deutschen Nationalmannschaft, Flick und Mertesacker feierten im Jahr 2014 gemeinsam den WM-Titel. Auch Mertesacker lobt Flick in den höchsten Tönen: «Sein Beitrag zum WM-Gewinn wird sehr unterschätzt. Hansi versteht es, die Leute einzufangen, er führt die Spieler zusammen, diese Fähigkeit hat er in einem Masse, wie ich es nie mehr erlebt habe», sagte Mertesacker dem «Kicker». Für Mertesacker stehe Flick für «wenig Ego, sehr viel Teamgeist».
Flick scheint eine ausgeprägte Sozialkompetenz zu haben. Innerhalb kürzester Zeit hat es Flick geschafft, aus der Mannschaft, die Kovac ihm übergab, einen funktionierende Einheit zu formen: Jeder Spieler ist wichtig, mit jedem geht er behutsam um. Seit Flick Cheftrainer ist, weht wieder ein Hauch von Heynckes durch die Säbener Strasse. Der Trainer, der insgesamt viermal die Bayern trainierte. Der Trainer, der 2013 mit dem Klub das Triple gewann. Der Trainer, den sie in München so schmerzlich vermissen.
Auch Jupp Heynckes höchstpersönlich betonte: Flick vermittle «jedem seiner Profis, dass er wichtig ist. Und wenn sich die Bayern-Spieler derzeit so anerkennend über ihren neuen Trainer äussern, halte ich diese Komplimente für zweifellos ehrlich. Auch Superstars verlangen nach menschlicher Wärme, dazu braucht ein Trainer hohes Einfühlungsvermögen, das Flick ausströmt», sagte Heynckes dem «Kicker». Flick sei «ein Chef nicht aufgrund seiner Position, sondern aufgrund seiner Persönlichkeit».
Genau so ein Chef war auch Heynckes: Er vereinte Persönlichkeit, Kommunikation und Kooperation, Sympathie, Erfolg sowie Fussball-Fachwissen. Diese Parallelen kommen nicht von ungefähr. Denn Flick ist ein ehemaliger Schüler von «Don Jupp».
Wie sehr ihn Heynckes prägte, verriet Flick auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Bayer Leverkusen. Er gab eine Anekdote über den Trainer zum Besten, unter dem er in dessen erster Bayern-Amtszeit (1987 bis 1991) trainierte, Flick war zwischen 1985 bis 1990 Profi in München.
«Er war mein Trainer, mein bester Trainer. Die Art und Weise, wie er damals schon mit den Spielern umgegangen ist, das war einfach gut. Eine Aktion, an die ich mich ewig erinnern werde: Ich war junger Spieler, auch Stammspieler zu der Zeit. Heynckes kam vor dem Training zu mir und hat gesagt: ‹Heut bleibst du drin, du wirst behandelt.›» Flick habe als junger, unbändiger Spieler natürlich trotzdem trainieren wollen. Doch Heynckes erwiderte: «Nein, ich bin mit dir zufrieden, morgen wieder.»
Das sei «ein entscheidender Punkt» für Flick gewesen: «Boah, der ist mit mir zufrieden, was für eine Wertschätzung. Ich weiss noch, was das in mir ausgelöst hat. Das war sensationell.» Flick nennt Heynckes ein «Vorbild»: «Diese Empathie, die Menschlichkeit, Heynckes ist einer, der sich nicht so wichtig nimmt.»
Dennoch, oder genau deswegen, scheut Flick selbst den Heynckes-Vergleich: «Er ist einer der erfolgreichsten, besten deutschen Trainer, die es gibt. Ich will mich deswegen nicht mit ihm vergleichen.»
Heynckes selbst attestiert Flick dabei genau das, was auch ihn als Trainer auszeichnete: «Es geht nicht um Momentaufnahmen, sondern um das grundsätzliche Know-how eines Trainers, seine Fachkompetenz und menschliche Note, seine Philosophie», sagte er.
Heynckes hat sich auch schon für Hansi Flick als Dauerlösung auf der Trainerbank des deutschen Serienmeistes ausgesprochen. «Der FC Bayern München besitzt nun die grosse Chance, über einen längeren Zeitraum einen Trainer zu haben, der eine Epoche prägen kann», schrieb der frühere Münchner Erfolgscoach in einer Kolumne des «Kicker» und fügte hinzu: «Hansi Flick ist prädestiniert für die Aufgabe als Cheftrainer der Bayern und der ideale Mann für diese Position.» Flick sei «ein Juwel» und müsse «gefördert werden».
Der FC Bayern sollte nochmal darüber nachdenken, ob die «große Lösung» nicht längst auf der eigenen Trainerbank sitzt und nicht Mauricio Pochettino oder Erik ten Hag, sondern Hans-Dieter Flick heisst. (as/dpa/sid)