Der zurzeit arbeitslose Mario Götze soll das Interesse von Bayern Münchens Trainer Hansi Flick geweckt haben. Wie Sport Bild gestern berichtete, wirbt Flick vereinsintern bei seinen Vorgesetzten für den 28-jährigen offensiven Mittelfeldspieler. Der Coach habe in der vergangenen Woche bereits mit dem WM-Finaltorschützen von 2014 telefoniert. Götze könnte sich ein erneutes Engagement in München vorstellen, die Bayern-Vorstände Karl-Heinz Rummenigge und Hasan Salihamidzic sollen diese Idee aber «bisher ablehnen».
Bayern-Präsident Herbert Hainer sagte am Mittwoch bei der Veranstaltung «Bild100 Sport» in Frankfurt eher zurückhaltend: «Ich kenne nicht jedes Telefonat. Im Aufsichtsrat wurde das Thema noch nicht diskutiert.» Ein Dementi klingt anders.
In der «Sport Bild» ist die Rede von einem Einjahresvertrag plus Option für Götze, bei dem er auf einen Grossteil seines Salärs verzichten würde, das er zuletzt beim BVB verdiente. Bei seinem Ex-Klub Borussia Dortmund, wo er bis Ende Juni 2020 vier Jahre unter Vertrag stand, soll der 63-fache deutsche Nationalspieler rund zehn Millionen Euro pro Jahr verdient haben.
Götze, der kürzlich den Berater gewechselt hat und nun bei der gleichen Agentur wie die Bayern-Stars Leroy Sané und Jérôme Boateng unter Vertrag steht, hatte sich zuletzt zurückhaltend zu seiner Zukunft geäussert. Er lässt sich Zeit bei der Vereinswahl. Es gab Spekulationen um einen Wechsel zur AS Monaco, zu Bayer Leverkusen, Hertha BSC oder zum FC Valencia sowie Bayerns Supercup-Gegner FC Sevilla.
Doch eine Rückkehr des vereinslosen Weltmeisters von 2014 zu Bayern München ergäbe durchaus am meisten Sinn. In der aktuellen Situation und Konstellation gibt es viele Argumente, die für Götze beim Rekordmeister sprechen. Das Szenario käme sowohl dem Klub als auch dem Spieler zugute.
Hansi Flick, der ehemalige Co-Trainer der deutschen Nationalmannschaft, und Mario Götze kennen sich schon seit langem. Flick könnte mit Götze seine erfahrene Weltmeister-Achse im Bayern-Team, aktuell bestehend aus Manuel Neuer, Boateng und Thomas Müller, noch weiter stärken.
Neuer, Boateng und Müller kennt Götze aber nicht nur aus der Nationalelf, sondern auch aus seiner dreijährigen Bayern-Zeit zwischen 2013 und 2016. Gemeinsam holte das Quartett drei Meisterschaften und zwei DFB-Pokal-Siege. Eingewöhnungsschwierigkeiten hätte der gebürtige Bayer wahrscheinlich kaum. Aus seiner Bayern-Zeit kennt Götze den Klub und das Umfeld, ausserdem spielte er damals bereits mit Robert Lewandowski, Joshua Kimmich, Kingsley Coman, Sven Ulreich und David Alaba gemeinsam in München.
Allen, die jetzt mit dem Argument kommen, dass Götze in seinen drei Bayern-Jahren nie Stammspieler war und nichts gerissen habe, denen sei gesagt: Zahlen lügen nicht. Unter Pep Guardiola hat Götze in 114 Pflichtspielen für die Bayern 60 Skorerpunkte (36 Tore/24 Assists) gesammelt. In der Bundesliga war er alle 117 Minuten an einem Tor direkt beteiligt. Das ist eine ziemlich gute Quote.
Mario Götze wäre als vereinsloser Profi, der keine Ablösesumme kostet, eine sprichwörtlich günstige Option für Hansi Flicks noch etwas zu dünnen Bayern-Kader.
Auch der Rekordmeister muss in finanziell herausfordernden Corona-Zeiten den Finanzgürtel enger schnallen. Hasan Salihamidzic sagte zum Thema Neuzugänge im «Kicker»-Sonderheft zur Saison 2020/21: «Wir sind wirtschaftlich am Anschlag.» Heisst, man wird nicht noch für einen weiteren Spieler so tief in die Tasche greifen wie für Königstransfer Leroy Sané, der rund 45 Millionen Euro gekostet haben soll.
Dennoch sollen und müssen weitere Spieler kommen. Gesucht werden noch ein Rechtsverteidiger als Backup für Benjamin Pavard, ein vierter Aussenstürmer neben Sané, Gnabry und Coman sowie ein Mittelfeldspieler als Ersatz für den abgewanderten Thiago. Auch die drei Leihspieler Philippe Coutinho, Ivan Perisic und Alvaro Odriozola sind nicht mehr da.
«Es wird so sein, dass wir noch den einen oder anderen Spieler dazubekommen», hatte Flick zuletzt gesagt. Wenn die Bayern einen Spieler wie Götze ablösefrei haben können, sollte der Klub vor allem in der aktuellen Corona-Situation zuschlagen.
Für die Münchner wird es wichtig sein, noch auf allen gewünschten Positionen nachlegen zu können, um das Kader für alle künftigen Aufgaben zu rüsten. Vorstandschef Rummenigge sieht nach dem Triple ein schwieriges Jahr auf den Klub zukommen. «Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass es eine sehr anspruchsvolle Saison wird», sagte er der Welt am Sonntag: «Die Mannschaft wird fast die ganze Saison im Dreitagesrhythmus spielen, der Kalender ist dicht gedrängt.»
Mario Götze wäre in einer solch strapaziösen Spielzeit der perfekte Ergänzungsspieler, könnte zum polyvalenten Problemlöser werden. Er ist erfahren und kann mehrere Positionen spielen: im Sturm, im offensiven Mittelfeld, auf beiden Aussenbahnen, aber auch etwas defensiver im zentralen Mittelfeld. Sprich, er könnte jene Lücken füllen, die Thiago, Coutinho und Perisic hinterlassen haben.
Flick will sich ein wenig vom Dauerpressing der vergangenen Saison verabschieden, um seine Spieler in der laufenden Spielzeit nicht zu überfordern. «Wir wollen ein bisschen cleverer das Tempo rausnehmen und den Gegner laufen lassen, damit man selbst regenerieren kann», sagte Flick. Ein top ausgebildeter Spieler wie Götze käme da gelegen.
Götze ist zwar nicht mehr der flinke Flitzer wie zu Dortmunder Zeiten, als er sich in die Notizbücher halb Europas dribbelte. Götze ist keine 18 mehr, er ist 28. Sein Spiel hat sich verändert – aber er ist immer noch ein feiner Fussballer. Er ist ballsicher, technisch brillant und er hat ein gutes Auge für den Mitspieler. Damit wäre er ein perfektes Zahnrad in der Passmaschinerie der Bayern.
Ausserdem will Götze immer noch etwas erreichen. Zuletzt hatte er betont, dass er nach wie vor motiviert ist und auch gewisse Ansprüche an sich und seinen neuen Verein hat. Er träumt nach wie vor vom Gewinn der Königsklasse: «Ich habe ehrgeizige Ziele und will unbedingt noch die Champions League gewinnen», sagte Götze kürzlich der «Bild»-Zeitung. Bei Bayern München gehört so eine Einstellung quasi zur Grundvoraussetzung.
Nicht zuletzt wäre Hansi Flick ein Trainer, der Mario Götze sicherlich sportlich weiterhelfen könnte. Der UEFA «Golden Boy» von 2011 stand in der vergangenen Saison nur in 19 Pflichtspielen auf dem Platz, glänzte selten. Unter Flick könnte er zu alter Form zurückfinden. Der Bayern-Coach schaffte es immerhin auch, die Karrieren der ausgemusterten Ex-Nationalspieler Thomas Müller und Jérôme Boateng wieder in Schwung zu bringen. Am Ende der Triple-Saison waren beide wichtige Stammspieler, während sie unter Ex-Trainer Niko Kovac kaum zum Zug kamen. Müller machte Flick sogar zum besten Müller aller Zeiten.
Viele ordnen eine mögliche Rekordmeister-Rückkehr von Götze schon jetzt als zu riskant ein, schrecken vor dem medialen Wirbel zurück, den ein solcher Wechsel verursachen könnte, oder warnen vor möglicher Unruhe, sollte der Spieler am Ende vornehmlich auf der Ersatzbank sitzen. Doch dieses Mal wären es komplett andere Voraussetzungen: Die Erwartungshaltung wie vor sieben Jahren nach seinem 37-Millionen-Euro-Wechsel als damals grösstes deutsches Fussball-Juwel wäre längst nicht mehr so hoch.
Auf der Pressekonferenz vor dem heutigen Supercup-Final gegen Sevilla bestätigte Flick, dass er in der vergangenen Woche mit Götze gesprochen habe: «Das ist richtig. Ich telefoniere auch mit anderen Spielern, die ich von der Nationalmannschaft kenne.» Was einen Transfer des Ex-Dortmunders zum FC Bayern angeht, äusserte sich der Trainer aber eher zurückhaltend. Götze sei «aktuell für uns keine Option. Das muss man so stehen lassen.» Vielleicht wird er ja bis zum 5. Oktober noch eine Option, so lange hat das Transferfenster in diesem Sommer geöffnet.
Denn eigentlich gäbe es kaum Risiken bei einem ablösefreien Götze-Transfer zu Bayern München, es gäbe vielleicht sogar nur Gewinner: Er passt nicht nur ins finanzielle, sondern auch ins sportliche Konzept. Eine Ablöse kostet er nicht, und beim Gehalt würde er wohl Abstriche machen, damit Flick, der dann einen Topspieler mehr hätte, seine Karriere wieder in Schwung bringt. (as)