Fünf Niederlagen in Serie und der Absturz auf den neunten Rang in der Tabelle. Der SCB ist in die neue Saison gestartet, wie er die letzte beendet hat: mit einer sportlichen Krise. Sortiert man die Tabelle nach Punkten pro Spiel, haben die Berner gar die drittschlechteste Ausbeute der ganzen Liga.
Neo-Sportchefin Florence Schelling kommt bei der Frage nach den Problemen ins Rudern. «Es muss etwas passieren», wiederholt sie mantramässig. Doch was genau «passieren muss», kann sie vor der Kamera nicht definieren.
Etwas optimistischer sieht es Trainer Don Nachbaur. Er verweist vor dem Spiel gegen Ambri am Freitag auf die «Analytics»: «Ich schaue mir oft die Statistiken an. Da sehe ich, dass wir die Spiele jeweils gut im Griff haben, laut Expected Goals müssten wir mehr Partien gewinnen.» Nachbaur hat Recht. Beim Eintauchen in die Statistiken von nlicedata.com wird klar: Der SCB steckt in einer spezifischen Krise, aber es gibt Anlass zum Optimismus. Das sind unsere wichtigsten Erkenntnisse.
Das ist der Punkt, den Don Nachbaur anspricht. SCB-Fans müssen sich zuletzt wie im falschen Film vorgekommen sein. Denn die Berner haben die Spiele, die sie verlieren, meist eigentlich relativ gut im Griff. Bern kontrolliert in seinen Spielen 52,66 Prozent aller abgegeben Schüsse (auf das Tor, neben das Tor, ans Gehäuse oder auch von den gegnerischen Verteidigern geblockte Schüsse).
Das ist der drittbeste Wert der Liga und zeigt uns, dass der SCB grundsätzlich mehr Zeit mit Angreifen denn mit Verteidigen verbringt. Natürlich wird das auch etwas vom jeweiligen Spielstand beeinflusst. Bern spielte etwas mehr als einen Drittel (38,01 %) der bisherigen Saison in Rückstand. Und wer zurückliegt, wirft nunmal alles nach vorne, um den Ausgleich zu suchen. Doch grundsätzlich sieht die Spielkontrolle der Berner gut aus.
Das bestätigt sich auch beim Blick auf die Expected Goals – also die Anzahl Tore und Gegentore, die Aufgrund der Leistung des SCB (Volumen und Qualität der eigenen und gegnerischen Schüsse) eigentlich zu erwarten wären. Demnach hätte die Mannschaft von Don Nachbaur pro Spiel (bei ausgeglichenem Spielerbestand) durchschnittlich 2,65 Tore schiessen und 2,31 Tore erhalten müssen. Das ergibt dann ein zu erwartendes Torverhältnis (xGF% – expected goals-for-percentage) von 53,39 Prozent – der viertbeste Wert der Liga.
Aktuell schiesst Bern in 60 Minuten Spielzeit aber nur 2,27 Tore und kassiert 2,68. Das Team hinkt den Erwartungen also noch hinterher. Im Normalfall sollten sie diesen im Laufe einer Saison aber noch gerecht werden. Der Blick auf den Shot-Tracker bestätigt, dass die SCB-Spieler oft aus sehr guten Positionen im Slot zum Abschluss kommen – auch dieser Aspekt des Spiels scheint also zu stimmen.
Wenn das Spielsystem und die Spielkontrolle grundsätzlich stimmen, wo liegt dann das Problem beim Meister von 2019? Die Antwort ist relativ klar: bei denjenigen Spielern, die eigentlich als Leistungsträger gelten.
Simon Moser, Gaëtan Haas, Vincent Praplan, Ramon Untersander oder Thomas Rüfenacht: Sie alle laufen ihrer Bestform hinterher oder sind vom Pech verfolgt. Dabei sollten sie in dieser Mannschaft eigentlich absolute Leader sein. Wiederum hilft ein Blick auf die Expected Goals. So hätte Moser in der laufenden Saison etwa drei Tore erzielen müssen. In Realität war es bislang nur ein Tor. Auch Haas, Untersander, Gregory Sciaroni und Miro Zryd hätten eigentlich schon mehr Tore schiessen müssen, als sie es bislang getan haben.
Der SCB leidet aktuell also hauptsächlich an einer Abschlussschwäche – oder auch an Pech. Die Schusseffizienz der Mannschaft ist aktuell mit 6,44 Prozent fast schon historisch tief. In den letzten zwei Jahren hat sich zwar ein Trend zu einer etwas tieferen SCB-Schusseffizienz etabliert, doch ein derart tiefer Wert wird sich nicht die ganze Saison halten.
Die durchschnittliche Schusseffizienz belief sich bei den Bernern in den letzten vier Saisons auf 9,04 Prozent. Dass sie dieses Niveau auch diese Saison wieder erreichen, scheint nicht wahrscheinlich. Dass die Berner ihre Schusseffizienz in dieser Saison noch deutlich steigern werden, hingegen schon.
Wenn eine Mannschaft schlecht spielt, geraten oft auch die Goalies in Kritik. Beim SC Bern ist das bislang nicht der Fall – und auch nicht nötig. Bei Tomi Karhunen, der letzte Saison nach seinem Wechsel zu Bern hervorragende Leistungen zeigt, hat sich zwar eine erwartbare, leichte Regression eingestellt (92,52 % Fangquote 2019/20 gegenüber 91,42 % in dieser Saison).
Doch gemeinsam mit Youngster Philip Wüthrich bildet der Finne ein Torhüter-Duo, das Leistungen über dem Ligadurchschnitt zeigt, wobei Karhunen leicht darunter und Wüthrich (bei allerdings nur zwei Spielen) deutlich darüber ist.
All diese Punkte zeigen, dass beim SC Bern eigentlich vieles stimmt. Die richtige Spielanlage ist da. Man kommt zu Abschlüssen und das durchaus auch aus gefährlichen Positionen. Man verfügt über gute Torhüter und hat beispielsweise das beste Unterzahlspiel der Liga.
Das grosse Problem in Bern ist die Abschlussschwäche der Spieler – und wohl auch eine gewaltige Pechsträhne. Das resultiert in der zweittiefsten Schusseffizienz der Liga (nach Ambri-Piotta) und dementsprechend auch in einem tiefen PDO-Wert von 98,44, der auf Pech hindeutet. Im weiteren Verlauf der Saison wird sich das nach oben korrigieren und eine entsprechende Reaktion auslösen. Das Powerplay würde effizienter, die Leistungsträger fänden aus den Krisen und mit zwischendurch einem Tor mehr wäre das eine oder andere Spiel in den letzten Tagen gewonnen statt verloren worden.
Ein Trainerwechsel, wie er jetzt teilweise schon diskutiert wird, wäre die falsche Lösung. Nicht nur, weil es in finanziellen Krisenzeiten ein falsches Signal senden würde, sondern auch, weil es schlicht und einfach nicht am Trainer liegt. Der SCB wird sich in den nächsten Wochen zwangsläufig irgendwann steigern. Zur Ligaspitze wird es kaum reichen, aber zu gutem Ligadurchschnitt – was eine Steigerung gegenüber dem aktuellen neunten Rang wäre.