Es ist ein Gefühl, das die Schweizer Nationalmannschaft lange vermisst hat: das süsse Gefühl des Siegens. Jetzt ist es endlich zurück. Nach 493 Tagen des langen Wartens besiegt die Nati zum Auftakt in die WM-Qualifikation Bulgarien 3:1. Jubel!
Doch wie gross darf die Freude über diesen Erfolg wirklich sein? Was sagt es über eine Mannschaft aus, wenn sie nach einem überragenden Start plötzlich einbricht?
Nationaltrainer Vladimir Petkovic stellt nach dem Spiel fest: «Wir sind über uns selbst erschrocken. Der spielerische Zerfall war zu gross.» Und Granit Xhaka resümiert: «Diese zweite Halbzeit darf uns nicht passieren.» Aber der Captain sagt eben auch: «Es war trotzdem eine souveräne Leistung.»
Was stimmt? Klar ist: Die Schweizer zeigten in Sofia zwei komplett verschiedene Gesichter. Sie starteten furios. Voller Selbstbewusstsein. Voller Überzeugung. Und vor allem waren sie effizient wie schon lange nicht mehr. Nur 13 Minuten benötigten sie, um 3:0 in Führung zu gehen. Mit Embolo, Seferovic und Shaqiri trafen alle drei Offensivspieler. Man rieb sich verwundert die Augen. Da schien eine Schweiz am Werk, die tatsächlich an Reife und Abgeklärtheit gewonnen hat.
Doch dann war Pause – und plötzlich funktionierte nichts mehr. Ein Fehler von Freuler, ein Gegentor 55 Sekunden nach Wiederbeginn, und schon schien das Schweizer Spiel in seine Einzelteile zu zerfallen.
Da war keine Dominanz mehr. Dafür fehlten Präzision und Konzentration. Ja, es regierte gar die Angst. Als würden die Dämonen des Spiels gegen Dänemark aus dem März 2019 zurückkehren. Damals musste die Schweiz nach einem 3:0 noch ein 3:3 hinnehmen.
Allein, so schlimm kam es nicht. Dafür waren die Bulgaren zu bescheiden. Sie, die wieder einmal von einem Neustart sprachen, hatten nicht die Qualität, um die Schweiz ernsthaft in Bedrängnis zu bringen. Trotzdem: Was passiert wäre, wenn es Torhüter Yann Sommer in der 61. Minute nicht gelungen wäre, mit einem starken Reflex das zweite Gegentor zu verhindern, will man lieber nicht wissen.
Am Ende darf aus Schweizer Sicht für einmal gelten: Es ist nicht der letzte Eindruck, der zählt. Sondern der erste. In diesen 13 Rekord-Minuten – so früh gelangen der Nati noch nie drei Tore – da zeigten die Schweizer ihr bestes Gesicht. Oder, wie Xhaka feststellt: «Wir waren hungrig. Wir wollten ein Tor. Und noch eines. Und noch eines. Immer weiter.»
Ja, eigentlich hätte die Schweiz kurz vor der Pause auch noch einen Penalty erhalten müssen. Aber weil es während dieser WM-Qualifikation keinen Video-Schiedsrichter gibt, blieb das klare Foul an Seferovic ungeahndet.
Die Schweiz hat ein Länderspieljahr 2020 hinter sich, in dem es nur einen Sieg gab – 3:0 forfait gegen die Ukraine. Ansonsten blieb häufig die Erkenntnis, gegen grosse Mannschaften zwar nahe dran gewesen zu sein, aber zum Sieg hat es eben doch nicht gereicht. Der letzte Erfolg auf dem Rasen datierte vom November 2019 gegen Gibraltar. Darum ist dieses 3:1 gegen Bulgarien besonders wichtig fürs Gemüt.
Doch den Beweis, einen Schritt nach vorne gemacht zu haben, müssen die Schweizer nach dieser zweiten Hälfte gestern weiter erbringen. Immerhin gibt es vielversprechende Ansätze. Dass die Schweizer Stürmer so gut treffen, war zuletzt alles andere als gewöhnlich. Und auch mit der Favoritenrolle scheint die Nati gut umgehen zu können. Selbstverständlich ist das nicht, schliesslich war es zuletzt stets anders.
Das wichtigste des gestrigen Abends sind aber die drei Punkte. Und darum gilt: Der Auftakt in diese komplizierte WM-Qualifikation ist geglückt. Am Sonntag folgt der nächste Schritt gegen Litauen. Auch da ist der Sieg Pflicht. Schliesslich gilt es, den Druck auf Gruppenfavorit Italien vor dem Duell im September aufrecht zu erhalten. Auch der Squadra Azzurra ist der Auftakt geglückt. Die Italiener besiegten Nordirland in Parma mit 2:0. Die Leistung war durchaus ähnlich wie jene der Schweizer. Nach einem tollen Start und zwei frühen Toren gelang in der zweiten Hälfte nicht mehr viel.
PS; Für Dauernörgler gegen die Nati hats sicher Platz im Team vom Böni.
Die Fussballer haben als von Clubs und Verbänden maximal ausgebeutete Hochleistungs-Spitzensportler einen dicht gedrängten Spielplan. Darin überlebt Einer nur, wenn er jede Chance zur Pause, zur Verletzungsvermeidung und zur Regeneration nutzt!
Man kann diese pragmatische Spielweise auch "Südländischen Minimalismus" nennen. Unerreichbares Vorbild als pragmatische Turniermannschaft ist Italien, der Rivale der Schweiz im Kampf um den Gruppensieg.
Ist also gut, wenn die Schweiz "italienisch" spielt und taktiert!