Die neue NHL-Saison beginnt voraussichtlich frühestens am 1. Januar 2021. Das hat auch für das europäische Eishockey interessante Auswirkungen, wie in den letzten Wochen zu bemerken war. Durch den verspäteten Start in Nordamerika müssen sich viele Spieler, insbesondere junge, bis dahin anderswo beschäftigen.
So sind in der National League mittlerweile 13 NHL- und AHL-Spieler engagiert, die bis zum Saisonstart in Nordamerika bei Schweizer Klubs auflaufen – entweder über ein Leihgeschäft oder mit einem befristeten Vertrag ausgestattet.
Es ist natürlich attraktiv, wenn man mit Spielern wie Denis Malgin, Philipp Kurashev oder Gaëtan Haas in den eigenen Reihen auflaufen kann. Sie können die Mannschaft mitreissen und sich zum wahren Glücksfall entwickeln.
Doch macht es wirklich Sinn, das Mannschaftsgefüge für eine kurzfristige Verstärkung derart stark zu verändern? Schliesslich weiss man, dass die meisten dieser Spieler spätestens im Dezember wieder gehen – und dann hat man plötzlich ein Loch im Lineup. Es besteht auch die Gefahr, dass sich die Spieler in dieser kurzen Zeit kaum an das neue System gewöhnen können, bevor sie wieder gehen. Das ist auch der Grund, weshalb der letztjährige Liga-Topskorer Pius Suter nicht bei den ZSC Lions spielt, sondern im Farmteam, den GCK Lions.
Im Fall der SCL Tigers macht die Ausleihe vom angehenden NHL-Verteidiger Erik Brännström durchaus Sinn. Langnau hat mit Ben Maxwell im Moment nur einen einsatzfähigen Ausländer. Brännström ist ein hochtalentierter Verteidiger, der die Defensive stabilisieren und das Powerplay beleben wird.
Zudem kostet der Schwede die Tigers relativ wenig Geld und es steht bereits fest, dass der Verteidiger bis zum 23. Dezember im Emmental bleiben wird. Trainer Rikard Franzén kann also gut zweieinhalb Monate mit dieser Verstärkung planen. In der Zwischenzeit kann Sportchef Marc Eichmann schauen, ob und wie man den Youngster nach seiner Rückkehr zu Ottawa ersetzen kann.
Der HC Davos gibt nicht etwa einem bewährten NHL-Spieler die Möglichkeit zu trainieren und zu spielen, sondern einem Junior. Simon Knak, der gestern die Enttäuschung verarbeiten musste, nicht gedraftet zu werden, hält sich bei den Bündnern fit.
Das macht durchaus Sinn, denn Knak nimmt keinem gestandenen Spieler den Platz weg. Seine Rolle bei Davos ist eher klein (er erhielt im ersten Saisonspiel nur etwas mehr als fünf Minuten Eiszeit). Deshalb wird auch kein Loch entstehen, wenn Knak wieder zu den Portland Winterhawks in die Western Hockey League zurückkehrt.
Der SC Bern kann wieder auf Gaëtan Haas zählen. Bis die Edmonton Oilers (vermutlich im Dezember) das Training wieder aufnehmen, verstärkt der Center sein früheres Team. Auch hier ist die Leihe durchaus sinnvoll. Haas kennt den SC Bern und seine neuen alten Mitspieler noch bestens und hat bereits im ersten Spiel gezeigt, dass er keine Mühe hat, sich wieder an das Spiel in der Schweiz zu gewöhnen.
Nachdem die Berner die letzte Saison unter dem Strich beendeten, ist ein guter Saisonstart dieses Jahr umso wichtiger. Haas ist ein wichtiger Schlüssel, dass dies auch gelingt. In der Zwischenzeit kann Sportchefin Florence Schelling nach einem weiteren Ausländer suchen, um im Dezember das Haas-förmige Loch in der Aufstellung zu stopfen.
Der bislang letzte NHL-Transfer: Lausanne hat sich vorübergehend die Dienste von Denis Malgin gesichert. Und bei diesem Zuzug kann man wohl am ehesten die Sinnfrage stellen. Klar, Malgins Qualitäten sind unbestritten. Seine Pucksicherheit und seine Spielübersicht werden dem LHC von grossem Nutzen sein.
Doch die Waadtländer sind im Sturm bereits sehr breit besetzt. Das bedeutet, dass Malgin in der Aufstellung wohl jemanden aus dem Sextett Josh Jooris, Brian Gibbons, Cory Emmerton, Cory Conacher, Christoph Bertschy oder Ronalds Kenins verdrängen wird. Das kann (muss aber nicht) für dicke Luft innerhalb der Mannschaft sorgen. Immerhin sollte kein riesiges Loch entstehen, wenn er sich wieder in Richtung Nordamerika verabschiedet.
Der EVZ hat gleich vier Spieler aus Nordamerika in die Zentralschweiz geholt. Dreu davon sind Eigengewächse. Tobias Geisser wurde bereits letzte Saison aus Hershey zurückgeholt und bleibt bis auf weiteres in Zug. Nico Gross verbrachte die letzten drei Jahre in der Juniorenliga in Oshawa. Nun ist noch nicht klar, wie es weitergehen soll, deshalb bleibt auch er bis auf weiteres in Zug. In der nicht übermässig breit besetzten Defensive der Zentralschweizer hat es auch problemlos Platz für die beiden Verteidiger.
Dazu kommt noch Stürmer Calvin Thürkauf, der bei den Cleveland Monsters in der AHL tätig ist. Bei ihm präsentiert sich die Situation ähnlich wie bei Simon Knak in Davos. Er übernimmt im EVZ-Sturm eher eine Nebenrolle ein.
Der vierte Gast ist Ryan McLeod, der von den Edmonton Oilers nach Zug ausgeliehen wurde. Das NHL-Team darf den Kanadier jederzeit nach Nordamerika zurückbeordern, doch EVZ-Sportchef Reto Kläy hofft, dass der Stürmer die ganze Saison bleibt.
Die Leihe von McLeod macht für Zug aber Sinn, weil er erstens ein hochtalentierter junger Spieler ist. Weil er beim EVZ als vierter Ausländer niemandem einen Platz wegnimmt. Und weil er den Klub ausser Kost und Logis offenbar nichts kostet. Sollte er Zug wider Erwarten doch vorzeitig verlassen, hätte Kläy wohl die Zeit und auch das nötige Kleingeld, um noch einen Ersatz zu besorgen.
Lugano hat wie Zug drei (möglicherweise) kurzfristige Verstärkungen unter Vertrag. Verteidiger Tim Heed und Stürmer Daniel Carr haben beide einen Vertrag bis im November. Das birgt natürlich ein gewisses Risiko. Beide wollen sich wieder für die NHL aufdrängen. Spielen sie bis tief im Herbst erfolgreich, stehen die Chancen gut, dass sie dann wieder weg sind und Sportchef Hnat Domenichelli plötzlich zwei Leistungsträger ersetzen muss.
Die Leihe von Nationalstürmer Philipp Kurashev war natürlich ebenfalls verlockend. Der glänzende Spielmacher hat nach zwei Spielen zwei Assists auf dem Konto. Doch auch hier ist das Glück nicht von ewiger Dauer. Wenn die Saison in Nordamerika beginnt, ist Kurashev weg. Und dann fehlt Lugano ein Center, der bislang rund 17 Minuten pro Spiel gestemmt hat. Das zu ersetzen ist möglich, aber nicht einfach. Schon gar nicht mit einem Schweizer.
Bei den ZSC Lions gibt es auf den ersten Blick eine kuriose Situation: Pius Suter und Tim Berni haben beide kürzlich ihren ersten NHL-Vertrag unterschrieben, müssen sich nun aber auf den Saisonstart gedulden. Doch während Berni beim ZSC trainiert und spielt, kommt der letztjährige Liga-MVP und –Topskorer nur beim Farmteam in Küsnacht zum Einsatz.
Das mag unverständlich erscheinen, hat aber durchaus seine Logik. ZSC-Sportchef Sven Leuenberger erklärt: «Berni wird voraussichtlich Mitte November ins Camp von Columbus einrücken. Wenn er es da nicht ins NHL-Team schafft, würde er nicht in der AHL spielen, sondern zu uns zurückkehren.» Suter dagegen plane seine Saison komplett in Nordamerika. Und der ZSC wolle eben nur Spieler, die eine ganze Saison bei ihm bleiben.