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Wie viel Guy Boucher und wie viel Marc Lüthi erträgt der SCB?

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Hockeyphilosophie von vorgestern, Spieler von gestern

Wie viel Guy Boucher und wie viel Marc Lüthi erträgt der SCB?

SCB-Sportchef Sven Leuenberger erfüllt seinem Trainer Guy Boucher alle Wünsche. Er geht ein zu hohes Risiko ein. Der SC Bern könnte zum «Jurassic Park» des Schweizer Hockeys verkommen.
17.04.2014, 17:1717.04.2014, 17:43
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Guy Boucher hat beim SC Bern einen Vertrag bis zum Ende der übernächsten Saison. Sein Gehalt ist so hoch, dass eine Entlassung frühestens im zweiten Vertragsjahr ein Thema werden kann.

Der SCB setzt auf Guy Boucher. Das ist richtig. Entweder vertraut ein Hockeyunternehmen seinem Trainer zu 100 Prozent, erfüllt ihm seine Wünsche – oder der Trainer wird gefeuert. Es ist wie mit einer Schwangerschaft. Ein bisschen schwanger geht nicht.

Die SCB-Macher sind dem charismatischen Kanadier verfallen. Guy Boucher ist ein brillanter Kommunikator. Er zieht die Gesprächspartner in seinen Bann. Mit etwas Boshaftigkeit können wir ihn als die Eishockey-Antwort auf den Rattenfänger von Hameln bezeichnen. 

Guy Boucher ist ein charismatischer Leader.
Guy Boucher ist ein charismatischer Leader.Bild: Keystone

Was die SCB-Macher noch nicht durchschaut haben: Guy Boucher ist im Wesen und Wirken zwar der Prototyp eines Trainers fürs Zeitalter der Kommunikation. Aber seine Hockey-Denkstrukturen sind zutiefst in der NHL, im nordamerikanischen Verständnis für Autorität und damit in der Vergangenheit verhaftet. Damit ist er im Denken seinem Dienstherrn Marc Lüthi viel näher, als beide denken.

Die sportlichen Auswirkungen sind zwiespältig. Guy Boucher sorgt zwar einerseits für eine raue Leistungskultur nach nordamerikanischem Muster. Aber andererseits gedeiht in dieser Kultur vor allem der Spielertyp des gehorsamen taktischen Hockeysoldaten. Defensives Sicherheitsdenken ist wichtiger als der Mut zur Kreativität, zum offensiven Risiko. Der SCB ist definitiv keine Wohlfühloase für Künstler.

So gesehen ist der Tausch des eigenwilligen Künstlers Alexei Dostoinov gegen den braven, rauen Marc Reichert (watson.ch berichtete) also durchaus logisch. Der SCB soll grösser, schwerer, böser und disziplinierter werden. Der Trainer will es so, also holen wir ihm die Spieler, die er für seine Philosophie braucht – und transferieren jene weg, die er nicht mehr will.

Die Berner Fans gelten nicht als die geduldigsten.Bild: Keystone

So gesehen ist es auch logisch, dass ein spielerisch limitierter kanadischer Rumpelflügel mit hölzernen Händen wie Colby Armstrong (188 cm/89 kg) ein Thema beim SCB wird. Er hat diese Saison in Schweden in 47 Spielen bloss 12 Tore erzielt. Aber er ist gross, hat NHL-Erfahrung und hält sich an defensive taktische Weisungen. Das ist viel wichtiger als Spektakel und Tore.

Unter Guy Boucher wird der SCB nächste Saison zum defensivsten Team der Liga und Sven Leuenberger besorgt ihm die Spieler, die er für diese Philosophie braucht. Weil beim SCB eine eigene Meinung oder gar kritische Anmerkungen als «Gotteslästerung» gelten, gibt es diesen Anpassungszwang inzwischen nicht mehr nur auf dem Eis, sondern auf allen Ebenen des Unternehmens.

Wie Guy Boucher ein grosser Kommunikator: SCB-General Marc Lüthi.
Wie Guy Boucher ein grosser Kommunikator: SCB-General Marc Lüthi.Bild: Keystone

Die kritische interne Auseinandersetzung gibt es unter SCB-General Marc Lüthi nicht mehr. Alle reden ihm nach dem Munde. Er ist zu mächtig geworden. Die alles entscheidende Frage ist deshalb: Wie viel Marc Lüthi und wie viel Guy Boucher erträgt der SCB?

Diese Entwicklung ist für ein Unternehmen der Unterhaltungsindustrie – und das ist der SCB in der Stadt Bern – verhängnisvoll. Es ist noch nicht einmal drei Jahre her, dass SCB-General Marc Lüthi ohne Not Trainer Larry Huras feuerte. Weil die Spielweise zu wenig attraktiv war. Wenn Guy Boucher erst einmal seine Vorstellungen bis zum letzten Mann durchgesetzt hat, wird Larry Huras im Rückblick als Spektakel-Trainer in die Geschichte eingehen.

Larry Huras: Seine Spielweise war den SCB-Verantwortlichen 2011 zu wenig unterhaltsam.Bild: Keystone

Es ist konsequent und kurzfristig richtig, die ganze Transferpolitik den Wünschen des Trainers unterzuordnen – erst recht in einem so frühen Stadium der Trainer-Ehe. Aber diese Unternehmenspolitik ist langfristig zu riskant. Trainer kommen und gehen, Hockeyunternehmen bleiben bestehen. Deshalb ist es am Generalmanager und am Sportchef die Hockeyphilosophie zu bestimmen, die zum Unternehmen passt. Der Hund wedelt mit dem Schwanz. Es kann nicht sein, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt. Aber beim SCB wedelt der Schwanz jetzt mit dem Hund.

Womit wir beim grossen Problem des SC Bern angelangt sind: SCB-General Marc Lüthi und sein Sportchef Sven Leuenberger sind ratlos. Sie wissen nicht mehr, welche Hockeyphilosophie eigentlich zum SCB passt. Sie haben keine Strategie mehr.

Also vertrauen sie blind ihrem neuen Trainer Guy Boucher, den sie nicht durchschauen und den sie blind verehren wie einen Wunderheiler. So wie ein marodes Unternehmen blind teuer herbeigeholten Beratern vertraut. Der grosse, charismatische Kommunikator Marc Lüthi lässt sich vom Charisma von Guy Boucher, einem noch grösseren Kommunikatoren, blenden. Das ist ihm so noch nie passiert. 

Welche Transfers tätigt SCB-Sportchef Sven Leuenberger im Sommer noch?
Welche Transfers tätigt SCB-Sportchef Sven Leuenberger im Sommer noch?Bild: Keystone

Wenn keine Kurskorrektur erfolgt, wenn sich Sportchef Sven Leuenberger nicht wenigstens bei der Besetzung der Ausländerpositionen durchsetzt und spielstarke, schnelle und kreative Stars engagiert, dann wird der SCB in die schwerste Krise seit dem Wiederaufstieg von 1986 geraten. Der SCB wird so, wie es jetzt läuft, zum «Jurassic Park» des Schweizer Hockeys. Ein Hockeyunternehmen, das unter einem Trainer mit einer Hockeyphilosophie von vorgestern und mit den Spielern von gestern das Eishockey von heute zu spielen versucht. 

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