Der theatralische Auftritt von SCB-Trainer Guy Boucher nach der Heimniederlage (2:3 n.V) gegen Davos steht für eine Unsitte, die unserer hoch entwickelten Hockeykultur unwürdig ist: Schiedsrichterkritik in den Zeiten der Playoffs.
Mit nichts kann ein Chronist so viel Zustimmung einheimsen wie mit einer kernigen Schiedsrichterkritik. Es ist die billigste Form der Polemik. Weil im Hockey-Volk grundsätzlich alle gegen die Schiedsrichter sind.
Sind unsere Schiedsrichter so schlecht wie man nach dem Rundumschlag von Guy Boucher vermuten könnte? Nein. Sie sind sogar sehr gut. Wer sich einmal die Mühe nimmt, nach Nordamerika zu reisen und die hochgelobte NHL vor Ort und ganz nüchtern zu beobachten, reibt sich nämlich die Augen: Unsere Schiedsrichter sind mindestens so gut wie jene in der NHL. Aber in Nordamerika ist öffentliche Schiedsrichterkritik tabu. Das gehört zu einer starken Hockeykultur. Und ist für das Funktionieren eines Spielbetriebes und für das Ansehen eines Sportes wichtig.
In der NHL kommt ein Coach nicht einmal auf 50 Meter an eine Schiedsrichtergarderobe heran. Wenn sich Guy Boucher in der NHL einen Auftritt leisten würde wie am Dienstag, dann würde er eine Busse zwischen 20 000 und 50 000 Dollar kassieren und müsste froh sein, wenn er nicht auch noch gesperrt würde.
Bei uns haben es sich die Coaches längst angewöhnt, in kritischen Phasen (wie eben den Playorffs) die Schiedsrichterbeeinflussung in ihre Strategie einzubinden. Der TV-Zuschauer sieht die abschätzigen Gesten der Coaches gegen die Unparteiischen, hört aber zum Glück nicht, was sich die Schiedsrichter noch alles anhören müssen. Und geschickt heizen die Bandengeneräle die Stimmung mit öffentlicher Schiri-Kritik an. So geraten sie aus dem Schussfeld. Willfährige Medien transportieren und befeuern diese Kritik.
Natürlich ist Kritik an der Spielleitung populär – und sachlich durchaus berechtigt. Schiedsrichter machen Fehler. Gerade in Zeiten der Playoffs. Wie die Spieler auch. Wenn sich allerdings alle Manager und Sportchefs bei den Lohnverhandlungen so gut an die Fehler ihrer Stars erinnern würden wie an die Fehlentscheide der Schiedsrichter, dann könnten sie bei Vertragsverhandlungen die Saläre halbieren.
In der Schweiz kommt noch eine Besonderheit dazu: Unser starker Föderalismus führt immer wieder zu amüsanten Verschwörungstheorien. Mal wird von einer Mafia der Deutschschweizer fabuliert, dann wieder ist ein Schiri aus Gründen seiner Herkunft, seines Wohnortes, seiner Freundin oder seiner kantonalethnischen Zugehörigkeit natürlich für oder gegen diesen Klub. Das wisse man ja.
Und das ständige Jammern über das Fehlen einer klaren Linie ist global. Wer einmal nach Schweden oder Finnland oder eben nach Nordamerika reist, hört die exakt genau gleichen Kritiken wie hier. Spiele einer Sportart zu leiten, die eine Einschüchterung durch Körperangriffe erlaubt, eben extrem schwierig ist. Erst recht, wenn alle an die Limiten gehen.
Wenn denn ein Schiedsrichter eine klare Linie durchzieht (wie ständig gefordert wird), geht das Gejammer los, in den Playoffs müsse man doch mehr Fingerspitzengefühl haben, nicht gleich alles verpfeiffen und laufen lassen. So lerne man doch nie internationale Härte.
Und wenn Schiedsrichter genau dieses Fingerspitzengefühl haben und in den letzten Minuten einer Verlängerung etwas mehr durchgehen lassen, dann geht auch ein Geschrei los: Das Regelbuch unterscheide doch nicht zwischen einem ersten Drittel und der Schlussphase oder gar einer Verlängerung. Offsides werden in der NHL genau so übersehen wie bei uns – nur merken das die Zuschauer kaum oder reagieren gar nicht darauf.
Das grösste Manko haben unsere Schiedsrichter in der Körpersprache. In diesem Bereich sind die NHL-Refs klar besser. Sie treten selbstsicher und bisweilen arrogant auf und verkaufen ihre Entscheide durch ihre Körpersprache so überzeugend, dass auch das Publikum denkt: Ja, es wird wohl seine Richtigkeit haben. Und das Selbstvertrauen der NHL-Schiedsrichter kommt auch aus dem Wissen um die Rückendeckung durch die Liga.
Guy Boucher müsste für seine öffentliche Schiri-Schelte bestraft werden. So wie der Staat seine Ordnungskräfte, so hat eine Liga ihre Schiedsrichter zu schützen. Das öffentliche Heruntermachen der Schiedsrichter durch Autoritäten wie Trainer oder Sportchefs untergräbt das Ansehen der Schiedsrichter auf allen Ebenen.
Kritik gehört nicht in die Öffentlichkeit. Die Trainer hüten sich ja auch, ihre Schlüsselspieler nach Fehlern öffentlich zu kritisieren oder gar für eine Niederlage verantwortlich zu machen.
Kritik gehört in die Sitzungszimmer, und dort dürfen, ja müssen die Auseinandersetzungen hart sein. Aber wenn zu Sitzungen und Tagungen geladen wird, um über diese Probleme konstruktiv zu debattieren und nach Lösungen zu suchen, dann haben die grossen Manager und Coaches kaum Zeit. Es ist ja bequemer und populärer, in den Medien über die ach so unfähigen Schiedsrichter zu poltern.
Es ist an der Zeit, dass aus dem «Freiwild Schiedsrichter» wieder eine geschützte Art wird. Und noch etwas. Nur Verlierer jammern über Schiedsrichter.
Es kann nicht sein, dass ein Arno del Curto während der Drittelspause mit den Schiedsrichtern diskutiert, obwohl dies als klares NoGo aufgeführt ist.
Aber die Aussicht auf eine Woche Gratisferien in den Bündner Bergen hat wohl schon manchem Funktionär die Sinne vernebelt.
Bezüglich Linie sollten die Schiris den Spielfluss nicht zu sehr hemmen, aber auch klare Grenzen setzen. Gesundheitsgefährdende Aktionen sollen und müssen sanktioniert werden, Dutzendfouls kann man laufen lassen.