Lausanne spielt nun im modernsten Stadion der Liga. Und hat mit viel Geld zum Titelkandidaten hochgerüstet. So gute Aussichten auf eine Meisterschaft hatte in den letzten 45 Jahren kein welsches Team mehr.
227 Millionen Franken hat der neue Hockey-Tempel («Vaudvoise»-Arena») gekostet. Doch das neue Stadion ist mehr als nur ein Kostenfaktor. Dieses «Versailles des Hockeys» steht als Zeichen des Aufbruchs, für den Beginn einer neuen Ära.
Acht Jahre hatte sich Lausanne in der NLB abgemüht (2005 bis 2013). Im Rückblick wirkt diese Zeit der Mühsal nur noch wie eine Episode aus einer anderen Zeit. Denn heute ist Lausanne ein Titan, ein «Lohntreiber», der auch viele durchschnittliche Spieler reich macht und der erste ernstzunehmende Meisterkandidat aus der Romandie seit fast einem halben Jahrhundert. Nie mehr seit La Chaux-de-Fonds als letzte reine welsche Mannschaft die Meisterschaft gewonnen hat (1973), steigt eine welsche Mannschaft mit so guten Titelchancen in eine Saison wie Lausanne im Herbst 2019.
Die Mannschaft, die schon im letzten Frühjahr erstmals das Halbfinale erreicht hat, ist noch einmal klar besser geworden. Ja, die neue Saison könnte die Saison des HC Lausanne werden. Die Voraussetzungen für den Titelgewinn sind da. Anders als in Zug erwartet noch niemand den Titel, der Erwartungsdruck ist noch nicht maximal. Die Autorität von Trainer Ville Peltonen ist noch intakt und ob der Begeisterung über den neuen Hockeytempel wird das Murren über eine defensive Spielweise ausbleiben.
Ville Peltonen war ein guter Schüler von Kari Jalonen. Er hat Lausanne zum kleinen taktischen Bruder des Meisters gemacht. Was heisst hier kleiner Bruder des meisterlichen SC Bern? Nominell ist Lausanne inzwischen so gut wie der Meister und ist mit Tobias Stephan und Luca Boltshauer auf der Torhüterposition sogar besser besetzt. Mit Dustin Jeffrey-Cody Almond-Josh Jooris-Cory Emmerton hat Lausanne wahrscheinlich die beste Mittelachse der Liga.
Und die ewigen Zweifel an der welschen Mentalität sind gar nicht angebracht: Bei Lausanne ist nur die Verpackung welsch. Wo welsch draufsteht ist deutsch drin: Nur noch ein Stammspieler (Benjamin Antonietti) ist durch und durch ein Vertreter der frankophonen Hockey-Kultur. Sogar Captain Etienne Froidevaux, beim SCB gross geworden, spricht mit deutlichem deutschschweizerischem Akzent die Sprache von Jean-Jacques Rousseau.
Trainer: Ville Peltonen (Fi, 2. Saison).
Sportchef: Jan Alston (Ka/Sz, 9. Saison).
Eine optimistische Prognose. Aber Lausanne ist offensiv besser und durch den Zuzug von Torhüter Tobias Stephan defensiv stabiler geworden. In der zweiten Saison unter Trainer Ville Peltonen wird sein gnadenlos resultatorientiertes System (er kopiert schamlos die SCB-Taktik) noch besser funktionieren. Der Einzug in den neuen Hockey-Tempel müsste eigentlich Kampfkraft und Leidenschaft steigern. Lausanne wird also besser sein als letzte Saison – und das bedeutet den Vorstoss auf den 2. Platz.
Zugs Trainer Dan Tangnes ist die Eishockey-Antwort auf Jürgen Klopp. Nun hat der Norweger die Chance, erstmals einen Titel zu gewinnen.
Die Zuger machten seit dem Verpassen der Playoffs im Frühjahr 2013 in den letzten sechs Jahren fast alles richtig. Sie haben ein grandioses Jugendförderprogramme aufgebaut, klug transferiert und einen Milliardär zum Präsidenten gewonnen, der dem Klub (und dem Schweizer Sport) das 100 Millionen Franken teure Athletik- und Forschungszentrum «Oym» sponsert. Dieses «Versailles des Sportes» wird Anfang 2020 eröffnet.
Präsident Hans-Peter Strebel hat als kühler Analytiker den neuen EVZ wie auf dem Reissbrett geplant. Es ist sein Verdienst, dass Zug die Jagd nach dem zweiten Titel aus der Position eines Favoriten beginnen kann und sein Manager Patrick Lengwiler öffentlich verkünden darf, es sei nicht die Frage ob, sondern nur wann Zug Meister werde. Alles, was mit Geld und Verstand möglich ist, haben die Zuger getan, um Meister zu werden. Sie haben nach der Finalniederlage gegen den SCB den besten Torhüter und den besten Torschützen der Liga als Verstärkung geholt.
Aber ausser dem Operettenwettbewerb Schweizer Cup hat der EVZ seit 1998 nichts mehr gewonnen. Auch Leonardo Genonis Paraden und Grégory Hofmanns Tore können den Erfolg nicht garantieren. Doch nichts anderes als der zweite Titel nach 1998 ist gut genug.
Die Frage ist: Sind Management, Trainer und Spieler dazu in der Lage, mit den himmelhohen Erwartungen umzugehen, oder zerbrechen sie daran wie zuletzt im Finale? Nach dem Sieg im ersten Spiel in Bern (4:1) waren die Zuger siegessicher. Vor dem zweiten Spiel sagte einer aus dem Coachingteam auf die Frage, wie das Spiel wohl ausgehen werde: «4:0 – aber damit meine ich nicht das Resultat von heute Abend, sondern die Serie.»
Wie wir heute wissen, waren die Zuger nach dem Auftaktsieg in Bern chancenlos. Der kluge Präsident hat zwar die Order ausgegeben, den Titel nicht mit der Brechstange erzwingen zu wollen. Aber wer im gleichen Jahr Leonardo Genoni und Grégory Hofmann holt, arbeitet mit der Brechstange.
Zug kann nicht überschätzt werden. Alles andere als ein überlegener Qualifikationssieg und der zweite Meistertitel nach 1998 wäre Versagen. Aber das ist das Problem: diese berechtigte Erwartungshaltung wird für die Zuger zu einer Belastung, die gar nicht überschätzt werden kann. Unter diesen Voraussetzungen die Meisterschaft zu gewinnen ist ähnlich schwierig, wie den Titel zu verteidigen.
Was nichts daran ändert, dass die Zuger am Anfang der ruhmreichsten Jahre ihrer jungen Geschichte (1967 gegründet) stehen. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass sie sich bis zur nächsten Meisterfeier noch ein oder zwei Jahre gedulden müssen. Ein Titel kann nicht gekauft, er muss auf dem Eis in einer unberechenbaren Sportart erarbeitet werden, die auf einer rutschigen Unterlage gespielt wird.
Trainer: Dan Tangnes (No, 2. Saison).
Sportchef: Reto Kläy (Sz, 6. Saison).
Die Zuger hatten letzte Saison die zweitbeste Abwehr und den zweitbesten Sturm. Nach den Zuzügen von Leonardo Genoni (seine Paraden hatten die SCB-Abwehr zur besten der Liga gemacht) und Grégory Hofmann (dessen Tore Luganos Sturm zum besten der Liga machten) müsste Zug nun defensiv und offensiv die beste Mannschaft der Liga sein. Die Erwartungen sind richtigerweise hoch. Alles andere als ein Qualifikationssieg wäre ein Versagen.
Niklas Schlegel wie Leonardo Genoni? Das ist die falsche Frage. Entscheidend ist beim SC Bern der Trainer.
Kein anderer Transfer hat den SC Bern in der Neuzeit so aufgewühlt wie der Wechsel von Leonardo Genoni zum EV Zug. Der SCB-Meistergoalie von 2017 und 2019 geht. Seit der Klubgründung (1931) hat nie ein grosser Torhüter den SCB verlassen.
Niklas Schlegel – er kommt als Nummer 2 der ZSC Lions – kann Leonardo Genoni nicht ersetzen. Wenn er das könnte, dann wäre ja Zugs Sportchef Reto Kläy ein Narr, den SCB-Meistergoalie mit einem Fünfjahresvertrag auszustatten und zum bestbezahlten Torhüter der Liga-Geschichte zu machen. Dann hätte er ja für weniger als das halbe Geld Niklas Schlegel verpflichten können.
Niklas Schlegel ist so wenig der neue Leonardo Genoni wie Enzo Corvi in Davos oben der neue Reto von Arx.
Die Investition in Leonardo Genoni macht für die Zuger Sinn. Darüber brauchen wir keine Debatte zu führen. Aber welche Auswirkungen hat der Verlust von Leonardo Genoni auf den SC Bern? Die entscheidende Frage für den Titelverteidiger: Ist der Trainer in Bern wichtiger als der Torhüter?
Der SCB hat nominell nicht die beste Mannschaft der Liga. Aber Kari Jalonen hat aus dem SCB das taktisch mit Abstand beste Team der Liga gemacht.
Die Stilsicherheit der Berner ist unübertroffen. Sie sind, einmal in Führung, dazu in der Lage, eine Partie mit der Unbeirrbarkeit einer Maschine «herunterzuspielen». Sie können aber auch unerbittlich und ohne in Hektik zu verfallen, einen Rückstand «abarbeiten.» Meisterliches «Schablonen-Hockey». Nicht der Stil ist spektakulär. Aber die Resultate sind es.
Auch die formidable Leistungskultur und die Kerngruppe aus mehreren charismatischen Leitwölfen um Captain Simon Moser haben viel mit dem Wesen und Wirken des Trainers zu tun. Der SCB als Siegesmaschine, gebaut von Kari Jalonen.
Hinter dem «Jalonen-Riegel» kann ein guter zu einem grossen Torhüter werden. Der Trainer ist beim SCB also wichtiger als der Torhüter. Die Probleme wären in Bern grösser, wenn Kari Jalonen nach Zug gegangen und Leonardo Genoni geblieben wäre.
Zug hat Bern nicht nur den Meistergoalie ausgespannt. Der SCB war auch im Werben um Luganos Grégory Hofmann chancenlos. Der beste Torschütze der Liga wechselt ebenfalls nach Zug und Sportchef Alex Chatelain musste sich mit Inti Pestoni und Vincent Praplan begnügen – und Praplan, um das Salär in einem vernünftigen Rahmen zu halten, mit einem wahrscheinlich nicht leistungsstimulierenden Vierjahres-Vertrag ausstatten.
Und wieder bekommt der Trainer eine zentrale Bedeutung. Kann Kari Jalonen Vincent Praplan und Inti Pestoni auf den Aussenbahnen Beine machen? Praplan hat das Talent für die NHL. Nach dem Abstieg mit Kloten und einem gescheiterten Nordamerika-Abenteuer (nur im Farmteam, keine NHL-Partie) kann der 24-jährige Walliser seine Karriere neu starten und auf den Aussenbahnen dem SCB offensive Flügel verleihen. Inti Pestoni war bis heute nur in Ambri glücklich, musste bei den ZSC Lions zwischendurch auf die Tribune und tanzte letzte Saison in Davos nur eine halbe Saison.
Der SCB kann auch ohne Leonardo Genoni ein Spitzenteam sein. Aber nicht ohne Kari Jalonen. Der Finne hat in Bern eine ähnlich dominante Position wie einst Arno Del Curto in Davos und nach seiner Amtszeit wird eine Depression folgen. In den nächsten Wochen werden die Vertragsverhandlungen geführt, um diese Depression noch ein wenig hinauszuschieben. Der Entscheid wird vor dem ersten Schnee fallen, Kari Jalonen sieht keine Gründe, die gegen eine weitere Saison in Bern sprechen.
Die sportliche «Götterdämmerung» einer grossen Zeit hat beim SCB begonnen. Acht Leistungsträger (oder ein Drittel der Mannschaft) sind 30 oder älter. Die Kräfte müssen sorgfältiger verwaltet werden, eine ganzjährige Dominanz mit einem vierten Qualifikationssieg in Serie kann nicht erwartet werden.
Aber nichts spricht gegen einen letzten schönen «Altweibersommer», einen milden Spätsommer und Herbst inklusive Titelverteidigung.
Trainer: Kari Jalonen (Fi, 4. Saison).
Sportchef: Alex Chatelain (Sz, 5. Saison).
Der SCB hat mit Leonardo Genoni den besten Torhüter und mit Gaëtan Haas einen der besten Center der Liga verloren und nicht ersetzen können. Die Leitwölfe sind noch ein wenig älter geworden. Wir gehen davon aus, dass die Berner haushälterisch mit den Kräften umgehen, noch defensiver spielen und zum ersten Mal unter Kari Jalonen die Qualifikation nicht mehr dominieren werden. Aber sie bleiben ein Titelkandidat.
Der EVZ kann fast nicht anders als die professionellen Strukturen die erbaut wurden, in den Meistertitel zu transformieren. Ein wirklich beeindruckendes Hockeyprojekt.
Freue mich auf innerschweizer Spektakelhockey!