Spannend war es. Logisch bei einer so späten Entscheidung im 6. Drittel. Aber das ist eigentlich Nebensache. Besser sind die Geschichten, die in dieser intensiven, hochstehenden Partie geschrieben werden.
Den Siegestreffer erzielt der Kanadier Jonathan Ang. Ausgerechnet er. Das Zuspiel kommt vom Amerikaner Terrence James «T.J.» Brennan. Ausgerechnet von ihm.
🤩 Nach 100 Minuten und 26 Sekunden kommt die Erlösung! 💥
— MySportsCH (@MySports_CH) March 25, 2021
🔥 Jonathan Ang schiesst den «Gamewinner» für den @HCThurgau1989! 🏒
Am Sonntag ist das sechste Spiel der Playoff-Serie! pic.twitter.com/hFNFYWcKKt
«Ich hätte beide umbringen können», wird ihr temperamentvoller Trainer Stefan Mair nach dem Spiel kurz vor Mitternacht sagen.
Aus gutem Grund: Brennan verursacht mit einem Scheibenverlust den ersten Gegentreffer (0:1) und Ang legt noch eine Schippe drauf: Thurgau kassiert eine Minute vor dem Ende der regulären Spielzeit den Ausgleich (2:2) in Überzahl. Nach einem Scheibenverlust des Kanadiers.
🤩 Und es geht auch heute in die Verlängerung!
— MySportsCH (@MySports_CH) March 25, 2021
🏒 Dario Kummer schiesst eine Minute vor Schluss noch den Ausgleichstreffer! @seit1946 @HCThurgau1989 pic.twitter.com/iniInWc159
Beid hat Stefan Mair kurz und heftig noch auf der Spielerbank zusammengefaltet. «Dann war wieder gut. Aber ich musste beide wissen lassen, dass so etwas nicht geht.»
Und dann zelebrieren also ausgerechnet Ang und Brennan den Siegestreffer. Die zwei wären auch dann eine Story wert, wenn sie die Geschichte dieses Spiels nicht geschrieben hätten.
Beide sind Ersatzausländer – und billig. Das müssen sie sein. Sonst könnte sie Thurgau nicht bezahlen. Brennan spielt für 5000 Franken im Monat. Ang für 2500 Franken.
Brennan ist erst im Januar gekommen. Ohne vorherige Spielpraxis in dieser Saison. Die Grundkondition fehlt ihm. Der NHL-Zweitrundendraft von 2007 überlebt die Playoffs dank seiner überragenden Spielintelligenz, feinen Händen und schnellen Füssen. Mit einer guten Vorbereitung, bei Kräften und mit langem Atem ein Verteidiger für die National League. Eigentlich müsste sein Name in den Notizbüchern der NL-Sportchefs stehen.
Ang ist ein schnelles offensives Irrlicht auf den Aussenbahnen. Oft sind seine Füsse schneller als seine Hände und sein spielerischer Verstand. Immerhin kann er einem Gegenspieler davonlaufen. Das will etwas heissen: Eigentlich sind von den Stürmern nur er und Jan Mosimann dazu in der Lage, ein Duell mit spielerischen Mitteln zu gewinnen.
Womit wir beim Kern der Sache sind: Würden Langenthal und Thurgau einen Talentwettkampf Spieler gegen Spieler austragen, dann würden die Langenthaler himmelhoch gewinnen. Aber es hat schon einen Grund, warum die Nordamerikaner sagen, Hockey sei der einzige echte Teamsport.
Langenthal, der Meister von 2019 ist auf dem Papier die bessere Mannschaft. Und war – wie man so schön sagt – auch in dieser Partie besser: Taktisch schlau und selbstbewusst setzten sie immer wieder auf schnelle Gegenstösse. Ausgelöst von kreativen Verteidigern. Vorgetragen von flinken Stürmern.
Aber besser ist nicht, wer optisch besser spielt. Sondern wer ein Spiel gewinnt. Hat je ein Trainer aus so wenig so viel herausgeholt wie Stefan Mair? Wahrscheinlich noch nicht oft.
Ohne jeden Hang zur Polemik können wir sagen: Verteidiger-Schillerfalter Joel Scheidegger, Jan Mosimann, Lizenz-Schweizer Adam Rundqvist und die beiden Ausländer sind die einzigen Feldspieler, die auch bei Langenthal einen Stammplatz in den ersten drei Blöcken hätten. Die anderen sind fleissige Hockeysoldaten. Und das macht es für den Gegner so schwierig.
Stefan Mair lässt bei nummerischem Gleichstand konsequent vier Linien laufen. Er kommt gar nicht in Versuchung, die besten Kräfte in drei oder gar zwei Formationen zusammenzufassen – von der spielerischen Klasse her spielt es fast keine Rolle, ob der erste, zweite, dritte oder vierte Sturm anrollt. Thurgaus Trainer achtet in der Regel auch gar nicht darauf, gegen welche gegnerischen Linien er seine Jungs aufs Eis schickt.
Thurgau arbeitet den Gegner vom Eis. Mit Fleiss, Disziplin, Härte, guter Organisation – und mental unzerstörbar.
«Zweimal in die Hölle und wieder zurück», bringt Stefan Mair das Spiel auf den Punkt. Tatsächlich verkraftet seine Mannschaft zwei Rückschläge, die meistens zur Niederlage führen.
Zuerst der Ausgleich eine Minute vor dem Ende der regulären Spielzeit – im Powerplay. Nun spricht alles für Langenthal. Aber die Thurgauer lassen sich nicht verunsichern. In der 86. Minute trifft Patrick Brändli zum 3:2. Es ist vollbracht. Die Sensation ist perfekt. Die Spieler bilden einen jubelnden Knäuel.
Aber die sehr guten Schiedsrichter versagen dem Treffer nach Video-Konsultation die Anerkennung. Weil Atanasio Molina ohne gegnerische Einwirkung mit Torhüter Pascal Caminada kollidiert. Schiedsrichterchef Andreas Fischer ist vor Ort und sagt dazu: «Der Entscheid ist hundertprozentig korrekt. Caminada wird aus der Balance gebracht und hat gar keine Chance mehr, reagieren zu können.»
Nun spricht alles für Langenthal. Aber die Thurgauer lassen sich nicht verunsichern.
Und doch wäre ohne Torhüter Nicola Aeberhard alles umsonst gewesen. Seit Anbeginn der Eiszeiten steht und fällt eine Mannschaft mit dem Goalie.
Thurgaus Schlussmann wehrt mit stoischer Ruhe 96,08 Prozent der 51 Schüsse ab. Einmal rettet er sogar gegen den allein anstürmenden Dario Kummer. Stefan Mair weiss, warum: «Vor dem Spiel scheint er in einer Art Wachkomma zu verharren. Ihn bringt einfach nichts aus der Ruhe.»
Langenthal braucht nach wie vor nur noch einen Sieg für den Halbfinal gegen Ajoie. Beunruhigt ist Trainer Jeff Campbell noch nicht. «Es war unser bisher bestes Spiel in dieser Serie.» Aber Thurgaus Goalie habe diesmal das Spiel entschieden. Das Selbstvertrauen des Favoriten ist nach wie vor intakt. Allerdings mahnt Präsident Gian Kämpf: «Thurgau hat vor zwei Jahren Ajoie aus den Playoffs gekippt …»
Die Playoffs 2021 sind so oder das letzte Hurra der «Desperados» in dieser Aufstellung. So wie in den Playoffs 2021 wird Thurgau nie mehr antreten. Torhüter Nicola Aeberhard wechselt nach La Chaux-de-Fonds. Joel Scheidegger verteidigt nächste Saison für Olten und Stefan Mair sagt: «Auch Jan Mosimann können wir nicht halten.»
Aber beklagen mag er sich nicht. Er hat auf diese Saison mehr als 10 Spieler verloren und er rechnet damit, dass wieder zehn oder zwölf gehen werden. «Es ist wie es ist. Wir arbeiten mit den Spielern, die wir haben.»
Es sei einfach so, dass für Thurgau fast nur die Spieler übrigbleiben, die weder in der National League, noch bei den anderen Teams in der Swiss League eine Chance bekommen. Es sind also nicht die Besten der Besten, die bei Thurgau landen. Aber die Tapfersten der Tapferen. «Desperados» eben.
Aber wer nichts zu verlieren hat, kann alles gewinnen.
Die steigern sich jedes Jahr, egal wie viele Abgänge sie verkraften müssen.
Aus wenig wird ein Team erstellt das bis zum letzten geht.