In der idealen Welt ist der Trainer der wichtigste Angestellte der Sportabteilung. Der Sportchef ist sein Vorgesetzter. Der Trainer tut, was der Sportchef vorgibt. Beispielsweise in so grundsätzlichen Bereichen wie der Förderung von jungen, talentierten Spielern. Oder anders gesagt: Der Hund wedelt mit dem Schwanz.
In der wirklichen Welt ist der Trainer oft zu mächtig. Er setzt seine eigene Philosophie durch und der Sportchef dient ihm zu. Oder anders gesagt: Der Schwanz wedelt mit dem Hund.
Bei international erfolgreichen, charismatischen Trainerpersönlichkeiten ist die Gefahr gross, dass der Trainer als Bandengeneral zu mächtig wird. Diesen Fall haben wir beim SC Bern. Dort wedelt der Schwanz schon seit zwei Jahren mit dem Hund.
Der grosse Kari Jalonen hat die ganze SCB-Sportabteilung nach seinen Vorstellungen umgebaut und inzwischen die Anstellung von drei Assistenten aus Finnland durchgesetzt: Mikko Haapakoski, Samuel Tilkanen und Akki Näykki. Das hat es so in der SCB-Geschichte noch nicht gegeben.
Weitaus folgenschwerer: Nicht mehr SCB-General Marc Lüthi oder sein Sportchef Alex Chatelain bestimmen die sportliche Strategie. Sondern der Trainer. Kari Jalonen will Spieler, die sein «Schablonen-Hockey» fehlerfrei umsetzen. Ohne zu murren auch dann, wenn sie nur sporadisch eingesetzt werden.
Dazu sind eigentlich erfahrene, sogenannt «fertige» Spieler in der Lage. Kari Jalonen kann das Personal sehr wohl entwickeln und besser machen. Aber er geht vom hohen Standard seiner finnischen Heimat aus. Der ist für junge Schweizer Spieler meistens zu hoch.
Die Folgen sind im Kader sichtbar. Schweizer mit enormem Potenzial aus der eigenen Nachwuchsabteilung finden beim Welttrainer aus Finnland nur ganz selten Gnade.
Marco Müller (24) hat den SCB im Frühjahr 2017 verlassen. Soeben hat er Ambri zum ersten Mal als Captain geführt, gegen Lugano den Ausgleich zum 1:1 vorbereitet und im Penalty-Schiessen den entscheidenden Treffer versenkt (2:1 n. P.).
Samuel Kreis (24) hat den SCB im Frühjahr 2017 verlassen. Soeben war er beim Deutschland Cup zusammen mit Andrea Glauser der beste Verteidiger im Nationalteam.
Dario Meyer (21) und Luca Hischier (23) sind im letzten Sommer nach Davos geflüchtet. Beide sind keine Leistungsträger. Aber bei weitem gut genug für die Rolle eines Ergänzungsspielers.
Für mehrere hochkarätige Talente aus anderen Klubs ist der SCB unter Kari Jalonen kein Thema. Weil es kaum Aussichten gibt, unter dem finnischen Trainer zu Eiszeit und Verantwortung zu kommen. Sie wechseln nach Langnau, Ambri, Zug oder Biel.
Marc Lüthi widerspricht dieser Argumentation nicht auf der ganzen Linie. «Wir waren 2016 und 2017 Meister und da war es schwierig, junge Spieler einzubauen.» Er sagt aber auch, die Situation so dramatisch darzustellen, sei dem Hang des Chronisten zur Polemik geschuldet.
Der SCB lässt also die Spieler gehen, die er ausgebildet hat und die er dann später allenfalls teuer wieder «zurückkaufen» muss. Und ersetzt sie mit teuren «fertigen» Mitläufern wie Matthias Bieber (32), Daniele Grassi (25) und Gregory Sciaroni (29).
Der SCB gehört inzwischen zu den schlimmsten Lohntreibern für Mitläufer. Das ist auch der Grund, warum das Geld für mehrere grosse Transfers fehlt und der angekündigte Wechsel von Leonardo Genoni nach Zug in der Chefetage Panik ausgelöst hat.
Der SCB braucht, um seine Spitzenposition mittelfristig zu halten, nicht einen, sondern zwei oder besser drei Transfers von Spitzenspielern.
Wenn wir das alles wissen, dann macht Marc Lüthis Antrag auf sechs Ausländer durchaus Sinn: Zwei zusätzliche Ausländer würden es dem SCB ermöglichen, zwei vergleichsweise günstige Ausländer aus Dänemark oder Norwegen einzukaufen. Marc Lüthi sagt: «Es gibt Ausländer, die wären froh, für 50'000 Franken hier zu spielen.»
Statt eigene Talente und Schweizer Mitläufer also «Billigarbeiter» aus dem Ausland. Und was macht der SCB, wenn die ZSC Lions, Zug oder Lugano sechs ausländische Leistungsträger einkaufen? Eben.
Zwei zusätzliche Ausländerlizenzen würden es auch leichter machen, Leonardo Genoni durch einen ausländischen Goalie zu ersetzen. Aber hätte dann der SCB nicht auch bei sechs Ausländern einen weniger unter den Feldspielern als Zug oder die ZSC Lions, wenn eine Lizenz für den Torhüter gebraucht wird? Eben.
Eine Folge dieser Transferpolitik: formidable Resultate in der Gegenwart (Meister 2017, Qualifikationssieger 2017 und 2018) auf Kosten der Konkurrenzfähigkeit in der Zukunft.
Der SCB hat jetzt schon mit einem Schnitt von 28,63 Jahren die zweitälteste Mannschaft der Liga und taumelt unter Kari Jalonen in eine Überalterung. Zwei andere Spitzenteams – Zug (25,8 Jahre) und die ZSC Lions (26,21 Jahre) – sind signifikant jünger und entwicklungsfähiger.
Das muss Kari Jalonen nicht kümmern. Er macht alles richtig. Denn er will den Erfolg kurzfristig im Jetzt und Heute und um jeden Preis. Nach Vertragsablauf 2020 kümmert ihn der SCB nicht mehr. Aber die Erfolgsbilanz in Bern bleibt in seiner persönlichen Statistik. Er ist im europäischen Eishockey, was Pep Guardiola, Helenio Herrera oder Ottmar Hitzfeld im Fussball. Oder wenigstens fast.
Es ist eine der grössten Herausforderungen im Sport-Business, den Mittelweg zwischen Erneuerung und kurzfristigem Erfolg zu finden. Deshalb gibt es kaum dauerhaften Erfolg. Selbst grosse Hockeyunternehmen brauchen Atempausen und geraten ab und an in Krisen. Die Kunst ist es, zu verhindern, dass diese Krisen zu tief und zu lange werden.
Der SCB provoziert unter dem Diktat von Kari Jalonen – es wird erst im Frühjahr 2020 enden – mittelfristig und ohne Not eine schwere, lang andauernde Krise. Die Position des SC Bern als Spitzenklub ist spätestens ab 2020 nachhaltig erschüttert.
Die Erfolge unter Kari Jalonen werden den SCB teuer zu stehen kommen. Dank dem Votum der Liga gegen sechs Ausländer nicht noch teurer. Und natürlich wird sich der SCB von der «Jalonen-Depression» erholen. Trainer kommen und gehen, grosse Klubs wie der SCB bleiben bestehen.