Endlich, endlich rockt es auch in Lausanne. Mit dem neuen Bandengeneral Craig MacTavish (61) kann das Motto nur noch heissen: «The Sky is the Limit.» Wie im Song von DJ Antoine:
Woher diese Zuversicht? Nun, es gibt verschiedene Gründe, warum ein Coach gefeuert wird. Manchmal muss er gehen, weil der Stammtisch-Vorwurf «kein System» zutrifft. Dann wird es für den neuen Mann schwierig. Um eine Mannschaft wieder zu ordnen, braucht selbst ein taktischer Hexenmeister mindestens zwei oder drei Wochen Zeit.
Le Lausanne Hockey Club se sépare de sa direction sportive et de son entraîneur – Craig MacTavish nouveau coach principal.
— Lausanne Hockey Club (@lausannehc) February 27, 2020
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Im Idealfall kann der neue Mann ein Team übernehmen, das viel Talent hat und taktisch wohl geordnet ist. Aber weit unter dem wahren Wert spielt, weil die Emotionen erloschen sind. Und genau das ist bei Lausanne der Fall. Die bestmöglichen Voraussetzungen also für einen neuen Trainer.
Ville Peltonens Scheitern liefert den Stoff für eine Neufassung eines der berühmtesten Gedichte der Weltliteratur: Der Zauberlehrling von Johann Wolfgang von Goethe.
Als der alte Zauberer ausser Haus ist, will sein Lehrling sich selbst im Zaubern versuchen. Keck wiederholt er die Sprüche, die er vom Meister gehört hat. Der Zauber gelingt: Ein Besen wird zum Leben erweckt und in einen Knecht verwandelt. Der Zauberlehrling schickt ihn an den Fluss, um Wasser zu holen. Der Knecht gehorcht und schafft unablässig Wassermengen heran. Der grosse Dichterfürst reimte:
Aber der Zauberlehrling hat den Spruch vergessen und kann den Zauber nicht mehr beenden. Der Knecht setzt gar das Haus unter Wasser. In größter Not ruft der Lehrling nach dem Hexenmeister, der schliesslich den Zauber beendet.
Ville Peltonen (46) war ein grosser Spieler. 1995 Weltmeister mit Finnland, 2006 Olympia-Finalist und Leitwolf in Luganos letztem Meisterteam. Aber er ist noch kein grosser Trainer. Trotz bestmöglicher Ausbildung: Er ist der langjährige Wegbeleiter und Zauberlehrling des taktischen Hexenmeisters Kari Jalonen und assistierte ihn zuletzt bei den zwei Meistertiteln in Bern.
In Lausanne hat er zum ersten Mal eine Profimannschaft als Cheftrainer übernommen entschlossen das umgesetzt, was er vom grossen Meister erlernt hat: Schablonen-Hockey. Und siehe da: Im ersten Jahr hat er mit dem spektakellosem, aber gnadenlos effizienten Schablonen-Hockey Lausanne zum ersten Mal in der Geschichte bis ins Halbfinale geführt. Ganz wie Goethes Zauberlehrling:
Allerdings hat dieser Erfolg im Umfeld (nicht in der Kabine) zu einer Arroganz geführt, die in unserem Hockey ihresgleichen sucht und mit zum Scheitern in dieser Saison beigetragen haben dürfte.
In der zweiten Saison unter Ville Peltonen ist Lausannes spielerische Herrlichkeit im System erstarrt und der Zauberlehrling kennt das Zauberwort nicht, um diese taktische Erstarrung wieder zu lösen. Seinen Hexenmeister Kari Jalonen kann er, anders als im Gedicht über den Zauberlehrling, nicht rufen und so kann er mit Goethe nur noch sagen:
Inzwischen ist die teuerste Mannschaft in der Geschichte des welschen Hockeys so tief gesunken, dass sie theoretisch in den zwei letzten Partien gar noch die Playoffs verpassen könnte. Spät, eigentlich viel zu spät ist Ville Peltonen nun gefeuert worden. Nachdem Sportdirektor Jan Alston den Vertrag mit ihm im Herbst ohne jede Not vorzeitig um zwei Jahre verlängert hatte. Logisch, dass nun auch Jan Alston vor die Türe gestellt worden ist.
Ville Peltonen ist mit einer der talentiertesten Mannschaften der Liga gescheitert. Mit Lukas Frick, Robin Grossmann, Joël Genazzi und Joël Vermin stehen beispielsweise nicht weniger als vier WM-Silberhelden auf der Lohnliste. Aber eben: das taktische Korsett war zu eng, die spielerische Herrlichkeit ist durch zu viel Taktik «erstickt» worden. Wenn je ein Trainerwechsel eine befreiende spielerische Wirkung erzielen kann – dann eigentlich jetzt in Lausanne.
Wie kann ein «Wow-Effekt», eine sofortige Leistungssteigerung erzielt werden, wenn ein eher introvertierter «Schablonier» des Amtes enthoben worden ist? Mit einem möglichst grossen Namen.
Ville Peltonens Nachfolger Craig MacTavish (61) ist wahrlich ein grosser Name. 1196 NHL-Spiele (538 Punkte,1109 Strafminuten). Drei Stanley Cups mit den Edmonton Oilers und einen mit den Rangers. Von den Fans verehrt als «Killer» und «MacT» (Nordamerika hat eben eine besondere Kultur der Künstlernamen). Der letzte NHL-Spieler, der ohne Helm spielte und im Frühjahr 1994 hat er eines der berühmtesten Bullys der NHL-Geschichte gewonnen: Coach Mike Keenan schickt ihn am 14. Juni im 7. Finalspiel des Stanley Cup-Finals gegen Vancouver 1,6 Sekunden vor Schluss zum Anspielpunkt vor dem eigenen Tor. Die Rangers gewinnen das Spiel 3:2 und erstmals seit 1940 wieder den Cup.
Als Coach führt Craig MacTavish die Oilers 2006 zum bisher letzten Mal in den Final und wird später der Kanadier sogar auf den Posten eines General Managers berufen Er war auch als Bandengeneral populär. Als er im November 2006 wegen einer Schiedsrichterkritik von der NHL mit 10 000 Dollar gebüsst wird, sammeln die Fans umgehend 10 000 Dollar um ihm die Busse zu zahlen – und Craig MacTavish spendet den Betrag für einen gemeinnützigen Zweck. Was für eine Karriere! Was für ein Leben über das es mehr zu erzählen gibt als über Lausannes ganze Klubgeschichte seit 1922.
Wenn einer Lausanne mit einem «Kick-Start» zum spielerischen Leben erwecken und in den Playoffs weit, bis in den meisterlichen Himmel kommen kann – dann wohl einer wie Craig MacTavish, der ja auch unser Hockey ein wenig kennt: Soeben hat er Team Canada zum Triumph beim Spengler Cup geführt.
Und wenn es irgendwo möglich ist, innert kürzester Zeit eine Euphorie zu entfachen, die eine Mannschaft in höchste Höhen trägt – dann wohl im neuen Hockey-Tempel zu Lausanne mit Fans, die zu den temperamentvollsten überhaupt gehören («We are all born to fly, yeah!»). Auf zu einem letzten Hurra für die sportliche Ewigkeit – bevor beim anstehenden Besitzerwechsel im Klub womöglich das Chaos in der Chefetage ausbricht. Aber das ist wiederum eine andere Geschichte.
Bei einer Wette auf Meister Lausanne sind die Quoten hoch. Ich wette trotzdem nicht. Lausanne war noch nie Meister und Torhüter Tobias Stephan hat noch nie einen Titel gewonnen. Lausanne ist eine grandiose Hockey-Firma – aber eben auch eine der unberechenbarsten überhaupt und hat schon Generationen von Trainern und Sportchefs zur Verzweiflung gebracht.
Und, damit auch das nicht vergessen geht und wieder einmal gesagt ist: Eishockey ist ein unberechenbares Spiel auf rutschiger Unterlage für harte Männer, die dafür bezahlt werden zu spielen – und nicht um zu arbeiten.
Wenn man denkt man hat vom Eismeister Zaugg schon alles gelesen...🤯