Alte Verteidiger sind ein bisschen wie alte Hunde. Zur Jagd taugen sie nicht mehr. Aber sie haben so viel Erfahrung und sind noch immer so aufmerksam und schlau, dass sie nach wie vor dazu in der Lage sind, den Hühnerstall gegen jeden Fuchs zu verteidigen und die flinken Marder müssen sie sowieso nicht fürchten.
Alte Verteidiger sind gerade im Gespräch. Christian Dubés Idee, Raphael Diaz mit einem Vierjahresvertrag nach Fribourg zu locken, ist die Geschichte des Tages. Zugs Captain und Leitwolf wird im Januar 35 und wäre bei Vertragsende 39. Ist Christian Dubé verrückt? Nein, keineswegs. Er ist smart.
Ray Bourque war in Boston, was Raphael Diaz in Zug: Captain, Poster Boy und charismatischer Verlierer ohne Stanley Cup-Ring. Es schien undenkbar, dass er die Stadt je verlassen könnte. Während seiner ganzen Karriere hatte er nie für eine andere NHL-Mannschaft als für die Bruins verteidigt. Und dann wechselte er mit 39 Jahren hinauf nach Denver und holte ein Jahr später im Frühsommer 2001 im Alter von sage und schreibe 40 Jahren mit Colorado doch noch seinen ersten Stanley Cup.
Mark Streit unterschrieb im Sommer 2013 im Alter von 35 Jahren bei Philadelphia einen Vierjahresvertrag im Gesamtwert von 21 Millionen Dollar brutto. Er verteidigte bei den Flyers 280 Partien, war als Assistenz-Captain Vize-Leitwolf und produzierte 140 Punkte. Im letzten Vertragsjahr wurde er via Tampa nach Pittsburgh geschickt und kam dort im Alter von 39 Jahren gar noch zu einem Eintrag auf dem Stanley Cup.
Raphael Diaz wie Ray Bourque und Mark Streit? Warum nicht? Es gibt noch ein Beispiel für alte Männer, die an der blauen Linie zu einem letzten Hurra taugen: Goran Bezina. Er wird im März 40 Jahre alt und reiste gestern mit Sierre nach Langenthal. Der Chronist wollte sich diese Gelegenheit zu einer «Feldstudie» über die Tauglichkeit alter Männer im Hockey nicht entgehen lassen.
Und siehe da: Der einstige Nationalverteidiger mit der Erfahrung aus mehr als 150 Länderspielen und 800 NL-Partien ist in der zweithöchsten Liga geradezu ein Leviathan.
Bezina rockt mit Sierre die Langenthaler gleich mit 6:2 und verschwindet am Schluss mit der besten Bilanz (+3) seines Teams in der Kabine. Okay, ein wenig Glück hat er auch: Im Powerplay entwischt ihm zwar Ian Derungs. Aber schlau bringt er den flinken Langenthaler zu Fall. Remo Giovannini pariert den fälligen Penalty. Schliesslich ist der Goalie auch für etwas da. Goran Bezina hat diese Saison von allen Sierre-Verteidigern die beste Bilanz (+7) und ist mit 5 Punkten aus 17 Partien nach wie vor produktiv.
Trainer Dany Gelinas ist voll des Lobes über seinen Verteidiger-Saurier: «Ihn brauche ich gar nicht zu coachen. Er kommt pünktlich zu jedem Training, schiebt Extraschichten im Kraftraum und in Gesprächen mit ihm kann ich noch viel lernen.»
Wahrscheinlich könnte Bezina noch ein oder zwei Jahre anhängen. Aber er sagt, dass Ende Saison wohl Schluss sein wird: «Ich hoffe, dass ich nach Genf zurückkehren kann. Wir sind im Gespräch.» Dort kommandierte er 14 Jahre lang die Abwehr, davon 10 Jahre im Range eines Captains. Ein «Pösteli» als Scout oder Juniorentrainer oder Botschafter hat er sich redlich verdient.
Was für Stürmer 30 Jahre, das sind für einen Verteidiger eigentlich 40. Verteidiger altern eben weniger schnell. Wenn bei einem Stürmer die Beine langsamer werden, wenn Dynamik und Explosivität nachlassen, dann geht die offensive Wirksamkeit zurück. Ein Verteidiger aber kann mit Schlauheit und kurzen Laufwegen immer noch die eigene Zone beherrschen. Und mit guten Händen seinen Stürmern Assists liefern – der Puck ist schneller als die schnellsten Beine. In der höchsten Liga mit 36 noch spielen? Goran Bezina erinnert sich: «In dem Alter ist man ja noch fast ein Jüngling und fühlt sich wie mit 20.»
Wir sehen also: Christian Dubé riskiert mit einem Transfer von Raphael Diaz wenig. Wenn er auch noch smart verhandelt hat, dann muss er ihm für vier Jahre weniger als 1,5 Millionen Franken zahlen. Pro Jahr bei weitem nicht so viel wie Philippe Furrer erhält, der keinen neuen Vertrag mehr erhalten wird. Er ist zwar gleich alt wie Diaz, aber seit Jahren von Verletzungen geplagt.
Gottérons Sportchef kann also seine Verteidigung veredeln und Geld sparen. Das Risiko ist auch deshalb gering, weil spielstarke, läuferisch exzellente Verteidiger noch weniger altern als raue Abräumer: Raphael Diaz hat seit seiner Rückkehr aus Amerika bisher in Zug nur 16 von 212 Partien verpasst.
Womit wir zur letzten Frage kommen: Hätte Zug seinen Captain halten sollen? Halten müssen? Eigentlich ja. Aber es war unmöglich. So ungefähr ab 25 Jahren richtet sich das Salär eines Spielers nach seiner Vergangenheit. Er wird bezahlt für das, was er geleistet hat. Nicht für das, was er wohl künftig leisten wird. Es ist unmöglich, den Vertrag mit einem so verdienten Spieler wie Diaz zu verlängern und den Lohn markant zu kürzen, ohne dass Missmut, Frustration, Ärger und Unverständnis aufkommen. Und ebenso unmöglich ist es, den Vertrag zu gleichem Lohn zu prolongieren, ohne arg in die Kritik zu geraten. Diese Quadratur des Kreises ist nicht machbar.
Was nun? Wenn Sportchef Reto Kläy mit dem Corona-Gejammer und dem Fabulieren über Sparübungen endlich aufhört und wieder wie der Sportchef eines Siegerteams auftritt, dann kann er noch Zeichen und Wunder vollbringen. Nein, nicht durch die Verpflichtung von Michael Fora (der bleibt in Ambri) und nicht durch das Wettbieten um Rappis Dominik Egli.
Zug braucht in der Abwehr etwas «Schmirgelpapier». Einen rauen, kräftigen, disziplinierten, smarten, international erfahrenen Zweiwegverteidiger mit Schweizer Pass und viel Wasserverdrängung, der sich auch schon in der NHL bewährt hat. Es geht um einen beinahe vergessenen Titanen und WM-Silberhelden. In Vancouver hält sich Mirco Müller fit.
Der Erstrundendraft (Nr. 18 von 2013) hat noch keinen neuen NHL-Vertrag. In der NHL muss er mindestens 1,5 Millionen Dollar brutto verdienen (Steuern fressen 50 Prozent des Salärs), wenn er gleich viel Geld auf dem Konto haben will, wie er in Zug bekommen kann.
Wenn Reto Kläy das Geld für Mirco Müller (25) einsetzt, das er durch den Abgang von Raphael Diaz (34) und Santeri Alatalo (30) spart, dann hat er mit einem einzigen Schachzug seine Abwehr veredelt und verjüngt. Ja, dann würde noch etwas Kleingeld übrigbleiben, um gleich noch Biels Samuel Kreis (26) zu finanzieren. Müllers Agent André Rufener bestätigt, dass er in der Sache bereits mit Kläy telefoniert hat. «Aber nicht nur mit ihm …» Und Zug hat die Mittel, um im Falle eines Falles auch noch Berns Calle Andersson (26) zu finanzieren. Er hat eine Ausstiegsklausel im Vertrag mit dem SCB.
Zugs Sportchef ist es gelungen, dem SCB Goalie Leonardo Genoni auszuspannen (was allerdings nicht schwer war). Er hat das Werben um Grégory Hofmann gewonnen (was schon schwieriger war) und dann das Duell um Sven Andrighetto gegen die ZSC Lions verloren. Weil er seinem Präsidenten den Schlüssel zu den EVZ-Geldspeichern nicht abzuluchsen vermochte. Und nun das Dossier Mirco Müller. Es ist anspruchsvoller als die Transfers von Genoni und Hofmann. Zugs Sportchef steht sozusagen vor seiner Meisterprüfung.
Als ob ein Spieler "seinen" Verein verlassen würde, weil sie ihm den Lohn kürzen und er dann für noch weniger Geld zu einem anderen Verein wechseln würde. Das glaubt er ja selber nicht