In der «Endzeit» der Qualifikation wird die Weisheit von heute zur Torheit von morgen. Die Polemik vom Vortag zur Lobeshymne des nächsten Tages. Was bleibt ist der Ruhm der Helden.
Beim SCB gibt es viele offene Fragen. Erst auf eine können wir eine definitive Antwort geben: Wer ist der MVP dieser Saison? Simon Moser. Ohne Wenn & Aber. Letzte Saison ist er als Liga-MVP eines Teams ausgezeichnet worden, das die Qualifikation und die Meisterschaft gewonnen hat. Jetzt ist er der MVP eines Teams, dass durch die Saison taumelt und stolpert. Ein Leader, wenn das Team rockt. Ein Leader, wenn das Team lahmt. Ein wahrer Leader.
Mark Arcobello hat bisher einen Treffer mehr (15) erzielt als Simon Moser (14). Aber Charisma und Wirkungsmächtigkeit des Captains aus dem Emmental sind grösser als die des Topskorers aus Amerika.
Nur staubtrockene Fakten. Keine Polemik. So wie immer. Also: wenn Simon Moser trifft, gewinnt der SCB. So einfach ist das. Jedes seiner letzten sieben Tore brachte dem SCB den Sieg. Er traf am 7. Dezember gegen Gottéron (4:2), am 17. Dezember gegen die ZSC Lions (4:1), am 20. Dezember gegen Langnau (2.1 n.V), am 11. Januar gegen Sevette (3:2), am 17. Januar gegen Lausanne (4:3 n.V), am 18. Januar gegen Gottéron (3:2 n.V) und nun gegen Zug (2:1).
Simon Moser ist weder der talentierteste noch der schnellste noch der produktivste Schweizer Stürmer im Land. Aber der dominanteste. Er erzielt mit seiner Präsenz auf dem Eis am meisten Wirkung. Und so ist es nur logisch, dass er von allen Schweizer Stürmern der gesamten Liga am meisten Eiszeit bekommt. Berns Antwort auf Mark Messier. Weil nicht nur seine Tore und Assists ein Spiel beeinflussen, wenden und entscheiden.
Der unsanfte Riese (187 Zentimeter/97 Kilo) könnte in der NHL bestehen und zum Glück für den SCB vermochte er sich in Nashville (6 Spiele/1 Tor/1 Assist in der NHL) nicht durchzusetzen (Verletzungspech). Denn ohne Simon Moser hätte der SCB keine Chance mehr auf die Playoffs. Als es Simon Moser in Nordamerika versuchte (2013/14), verpasste der SCB als Meister die Playoffs.
Wie der zweifache WM-Silberheld «funktioniert», welche Wirkung er erzielt, hat sich soeben gegen Zug auf eindrückliche Art und Weise gezeigt. Er hat den SCB aus dem taktischen Niemandsland heraus zum Sieg geführt. Niemandsland deshalb, weil der Meister im ersten Drittel nicht mehr stabil in Kari Jalonens Schablonen spielt und auch noch nicht zum zügigen «Nord-Süd-Hockey» von Hans Kossmann gefunden hat. Zug dominiert (15:12 Abschlüsse) und führt nach dem ersten Drittel zu knapp 1:0.
Simon Moser sorgt für die Wende. Er bringt mit Härte Emotionen und Intensität ins Spiel. In einen Check von Simon Moser zu laufen ist wie in einen Verkehrsunfall mit viel Blechschaden verwickelt zu werden und anschliessend unter einen heranbrausenden Zug zu geraten. Nach seinem krachenden Check hinter dem eigenen Tor kommt der SCB in Puckbesitz und den Gegenangriff schliesst der Captain mit dem Treffer zum 1:1 ab (32.). Er überwindet die Mauer Leonardo Genoni. Der Bann ist gebrochen. Der SCB überrollt den Gegner im Mitteldrittel (14:7 Torschüsse). Der Anfang vom Ende für Zug.
Der guten Ordnung halber sei erwähnt: Simon Moser assistiert auch zum Siegestreffer von Andrew Ebbett. Was die Frage aufwirft: Warum entscheidet Simon Moser eigentlich nicht noch öfter ein Spiel für den SCB? Weil Eishockey ein Mannschaftsspiel ist. Er hat sieben der letzten 18 Partien für einen strauchelnden, torkelnden, kriselnden SCB entscheidend beeinflusst. Wahrlich, mehr kann von einem einzelnen Spieler nicht verlangt werden.
Der SCB findet gegen Zug also vor allem dank Simon Moser zu seinem wuchtigen, rauen Stil zurück, der zuletzt unter Kari Jalonen so schmerzlich vermisst worden ist. Zugs Passspiel und «Designer-Hockey» zerfällt unter dem Forechecking des Titelverteidigers. Am Ende ist es so wie eigentlich immer, wenn sich Berner und Innerschweizer in ganz wichtigen sportlichen Auseinandersetzungen unter wahren Männern gegenüberstehen: die Berner gewinnen.
Noch nie hat ein Berner einen eidgenössischen Schlussgang gegen einen Innerschweizer verloren (soeben ist Christian Stucki im Schlussgang gegen den Innerschweizer Joel Wicki König geworden) und noch nie hat der SCB gegen Zug einen Playoff-Final verloren. Aber drei gewonnen (1997, 2017 und 2019). Dieses 2:1 war die vierte Partie gegen Zug in der laufenden Qualifikation – und die wichtigste: Der SCB konnte und durfte sich keine Niederlage mehr leisten. Also gewann er erstmals in dieser Saison gegen Zug.
Nicht auszuschliessen, dass dieser Sieg dem Meister am Ende auf Rang 8 die Playoffs beschert – und Qualifikationssieger und Titelfavorit Zug als Gegner in den Viertelfinals. Für Zug würde es heissen: ausgerechnet der SCB! Trainer Dan Tangnes mag auf solche Spekulationen nicht eingehen. «Das ist natürlich gut für die Journalisten. Aber wir konzentrieren uns auf das, was wir beeinflussen können. Wir wollten in Bern unbedingt gewinnen.» Aber das Resultat habe eine gewisse Logik. «Wenn eine Mannschaft ums sportliche Überleben kämpft, dann hat sie in entscheidenden Phasen die grössere Entschlossenheit.»
Noch ist Zug nicht in Playoff-Form (und muss es ja auch noch nicht sein). Aber der Trainer sieht Fortschritte im Vergleich zur letzten Saison, die im verlorenen Final gegen den SCB geendet hat. «Wir sind als Favorit in diese Qualifikation gestartet und haben im Laufe der Saison mit dieser nicht einfachen Rolle leben gelernt.»
Dank Simon Moser lebt die Playoff-Hoffnung in Bern weiter. Die Antwort auf die Frage, was der SCB ohne ihn wäre, ist daher einfach zu beantworten: kein Playoff-Team. Und es mag sein, dass die Zuger das «SCB-Trauma» überwinden können. Aber die Furcht vor Simon Moser werden sie im Falle eines Falles in einer Playoff-Serie gegen den Meister nicht los. Nicht mehr nach dieser 1:2-Niederlage. Nicht mehr nach diesem Auftritt von Simon Moser.
In einer ausgewogenen Liga, wie wir sie haben, kann keine Mannschaft lange doninieren. Irgendwann kommt immer die Götterdämmerung. Der SCB ist gut, er gehört zu den besten Mannschaften, aber er ist nicht unbesiegbar. Das vergessen einige Polemiker bei uns gern.