Ratschläge zu erteilen sei ferne von mir. Die Hockeygötter mögen mich von einer solchen Anmassung bewahren. Ich erlaube mir nur ein paar Tipps. So in der Art, wie sie in einem Reiseführer zu finden sind. Oder einfach eine «Betriebsanleitung SC Bern».
Der SCB ist für die Stadtbernerinnen und -berner, was einst der Hof von Versailles zu Zeiten des Sonnenkönigs für «Tout Paris» war: der gesellschaftliche Mittelpunkt. Mag ja sein, dass sich mehr Bernerinnen und Berner für YB begeistern. Aber der SCB hat einen höheren sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Status. Weil der Glanz und die Macht des Hockeyklubs und der Bau des Hockeytempels das Resultat der Tüchtigkeit und des Geldes der Bernerinnen und Berner sind. Hingegen verdankt es die Stadt Bern ausschliesslich fremden Vögten und fremdem Geld, dass es YB noch gibt und eine neue Arena errichtet worden ist.
Wer die Macht beim SCB hat, wer die wichtigste Person beim SCB ist, der sitzt auf dem Thron von Bern. Über nichts ärgert sich Marc Lüthi so sehr wie über die Bezeichnung «König von Bern». Aus gutem Grund: Einerseits weiss er sehr genau, wie treffend dieser Ehrentitel ist. Aber er weiss eben auch, dass solche Überhöhungen in Bern gar nicht gut ankommen. Nirgendwo sonst in der basisdemokratischen Schweiz stürzt so schnell, wer sich selbst erhöht.
Womit wir beim ersten «Tipp» in unserem SCB-Reiseführer sind: Halte den Ball (bzw. den Puck) so flach wie möglich. Übertreibe es nicht mit der Medienpräsenz auf allen Kanälen. Meide fürderhin kecke Aussagen im Sinne wie «ich will mit dem SCB an die Spitze zurück». Dass der SCB an die Spitze gehört, wissen wir alle. Wer uns das noch sagt, beleidigt uns. Kluge Bescheidenheit bringt dich in Bern viel weiter als forsches Zürcher Selbstbewusstsein. Was in Zürich cool ist, gilt in Bern bald einmal als hoffärtig. Mediale Kritik hast du nicht zu befürchten. Die lokalen Medienfürsten schreiben Marc Lüthi nach dem Munde und der Boulevard sowieso. Medial wirst du als Königin von Bern auf Händen getragen wie die Royals in England.
So kommen wir zum zweiten Tipp: Bescheidenheit nach aussen ist gut, aber SCB-intern kann dein Selbstvertrauen gar nicht gross genug sein. Weil Marc Lüthi seit mehr als 20 Jahren dieses Unternehmen erfolgreich führt und inzwischen auch noch Verwaltungsrat und Mitbesitzer geworden ist, haben sich im an und für sich hochprofessionell strukturierten SCB monarchistische Strukturen entwickelt.
Beim SCB gilt: Marc Lüthi findet mich gut, also bin ich. Was die Gunst des Sonnenkönigs in Versailles, das ist das Wohlwollen von Marc Lüthi beim SCB. Das ist einer der Gründe für den jüngsten sportlichen Rückschlag. Bei allem, was in der Sportabteilung unter Alex Chatelain gedacht, gesagt und getan worden ist, stand der Gedanke, nur ja Marc Lüthi zu gefallen (und er merkte es nicht einmal).
Was dazu führte, dass es mehr und mehr nur noch schauderhafte Transfers gegeben hat. Marc Lüthi schaut richtigerweise wie ein Häftlimacher aufs Geld. Also hat Alex Chatelain nur noch in den Transfer-Brockenstuben eingekauft und auch dort auf Sonderangebote geachtet. Zuletzt hat er gar noch Simon Sterchi dem unter Spardruck stehenden SC Langenthal abgeworben.
Kein Wunder, dass es dem SCB nicht mehr gelungen ist, richtige Transfers zu machen. In seiner unterwürfigen Art (die ihm aber beim SCB einen Job bis zum 65. Lebensjahr sichert) wäre es ihm nicht einmal in den Sinn gekommen, bei seinem obersten Chef Zusatzinvestitionen in die erste Mannschaft zu fordern. Seit Sven Leuenberger im Sommer 2017 den SCB verlassen hat, gibt es in der ganzen Sportabteilung niemanden mehr, der Marc Lüthi zu widersprechen wagt.
Du aber bist die neue Königin von Bern. Marc Lüthis Königin. Er hat dich geholt und an dieser aufsehenerregenden Anstellung hängt nun sein Prestige. Du darfst, du sollst ihm mit diplomatischer Klugheit und doch energisch widersprechen und unnachgiebig sein. Du kannst bei ihm mehr erreichen als all deine Amtsvorgänger. So im Sinne: «Marc, wir können diesen Star haben. Aber jetzt mach mal die Kriegskasse auf und lass mich beim Angebot noch 50'000 Franken nachlegen.» Was er jedem deiner Amtsvorgänger verweigert hätte, wird er dir bewilligen.
Wenn der Trainer die guten jungen Talente, die es in der SCB-Organisation gibt, nicht einsetzt wie Kari Jalonen, dann kannst du es dir leisten, ihm zu sagen: «So, dieser Spieler bekommt jetzt seine Chance.» Wenn Chatelain bei Jalonen solche Wünsche anbrachte, hat der finnische Welttrainer den Ratschlag mit väterlicher Freundlichkeit einfach ignoriert. Dir aber wird der Trainer aufs Wort gehorchen. Weil auch er weiss, dass du das Ohr des Königs hast.
Kein Spieler und kein Agent wird es wagen, hinter deinem Rücken bei Marc Lüthi direkt oder indirekt zu intervenieren. Bei Verhandlungen mit den Spielern darfst, ja sollst du mit Fingerspitzengefühl unnachgiebig sein. Du kannst das. Ich bin sicher, dass du Thomas Rüfenacht höchstens eine Verlängerung um ein Jahr zugestanden hättest.
Wir sehen also: Du hast mehr Gestaltungskraft als jeder SCB-Sportchef vor dir. Aber du kannst dich auf Dauer nur behaupten, wenn du dir nicht zu viele Fehleinschätzungen zu Schulden kommen lässt. Jeder Sportchef hat das Menschenrecht auf den Irrtum. Du hast, weil du eben die Königin von Bern bist, sogar das Recht auf mindestens sieben Irrtümer.
Damit dir nicht zu schnell sieben Irrtümer unterlaufen, bist du auch auf klugen Rat von ausserhalb des SCB-Fuchsbaus angewiesen. Und zwar aus zwei Gründen. Erstens hat kein wichtiger Hockeyklub der Welt ein so miserables Scouting-System. Wenn ein staubiger Esel hinkend über den Bundesplatz trottet, melden die SCB-Talentspäher Marc Lüthi aufgeregt, ein feuriges Rennpferd galoppiere am Bundeshaus vorbei und raten zum sofortigen Transfer. Die SCB-Scouts gehen gemütlich Spiele schauen. Richtige Scouts gehen aufmerksam Spieler schauen.
Wenn du also eine Zweitmeinung einholst, dann verlasse dich nicht auf die Ratschläge aus der SCB-Sportabteilung. Vergiss nie: Diese Sportabteilung hat die Verpflichtung von Andrew McDonald auf dem Gewissen.
Und da ist noch etwas: Hüte dich vor der SCB-Intrigenkultur. Die ist zwar nicht vergleichbar mit jener damals in Versailles, und die Berner neigen vom Naturell her viel weniger zur Intrige als die Zürcher. Aber unterschätze nicht die Bauernschläue der Berner. Lass dich vom Wohlwollen, das dir entgegengebracht wird, nicht blenden und in Sicherheit wiegen. Das ist einerseits der Freundlichkeit geschuldet, die uns Bernern eigen ist – aber eben auch dem Umstand, dass du Marc Lüthis Königin bist.
Dein Vorgänger Alex Chatelain ist noch immer da und im SCB gibt es nach wie vor «Chatelisten», die ganz tief in ihrer Seele, dort wo nicht einmal Marc Lüthi hineinschauen kann, die Absetzung deines Vorgängers nicht gutheissen. Diese Opportunisten werden sich heimlich, wenn es Marc Lüthi nicht merkt, über jeden Fehler von dir diebisch freuen. Sei auf der Hut.
So, das war jetzt eine boshafte Einführung in die Kultur deines neuen Arbeitgebers. Boshaft? Nein, eigentlich nicht. Vielmehr geht aus meinen Ausführungen hervor, dass du allerbeste Voraussetzungen hast, um als Sportchefin der beste SCB-Sportchef der Geschichte zu werden.
Aber denk immer auch daran: Der SCB ist der Stolz dieser Stadt. Der SCB muss erfolgreich sein. Du kennst aus deiner Arbeit beim Verband unseren Verbandsboss Michael Rindlisbacher. Denk ja nicht, Marc Lüthi so naiv wie Michael Rindlisbacher, nur weil der Berner ist und auch mal im SCB-Verwaltungsrat Einsitz hatte. Der Unterschied zwischen den beiden ist grösser als zwischen Peter Spuhler und einem Vize-Archivar beim Bundesamt für Statistik zwei Wochen vor der Pensionierung.
Wenn es um das Wohl seines SCB, seines Königreiches geht, kann Marc Lüthi so unerbittlich sein wie König Heinrich der XIII. von England und selbst eine Königin verstossen.
Mansplaining...
Intetessant, wie sich (oftmals - aber nicht nur - ältere) Herren dazu berufen fühlen jüngeren Frauen die Welt zu erklären, obwohl besagte Frau womöglich deutlich mehr auf dem Kasten hat, als es der väterliche Berater je (oder zumindest im gleichen Alter) hatte....