Beginnen wir mit ein wenig Küchentisch-Sportpsychologie. Eishockey ist ein Spiel. Ja, klar. Aber so klar ist das eben nicht. Ob all der Professionalisierung geht zwischen Kraftraum und Videostudium zu oft vergessen, dass eine Mannschaft nur funktioniert, wenn alle Spass am Hockey haben. Wenn Hockey gespielt und nicht bloss gearbeitet wird. Wenn ein Spiel nicht eine Pflichtübung ist. Erst recht in diesen schwierigen Zeiten in leeren Stadien.
Nun ein bisschen Polemik. Eishockey ist, wenn der SCB gegen Zug gewinnt. In den grossen Partien der letzten Jahre (wie den Finals von 2017 und 2019) waren die Zuger chancenlos. Am Donnerstagabend war natürlich noch nicht Playoff-Zeit. Wenigstens nicht für Zug. Für den SCB hingegen schon.
Wichtige Neubesetzungen auf der Kommandobrücke – Juniorentrainer Mario Kogler ersetzt Cheftrainer Don Nachbaur und die stadtbernischen NHL-Legende Mark Streit sitzt neu als Berater auf der Tribüne – haben in Bern für mindestes so viel Aufregung gesorgt wie ein Playoff-Final.
So gesehen ist der SCB-Sieg in Zug (2:1 n.V) mehr logisch als überraschend.
Der entscheidende Faktor bei dieser SCB-Renaissance war nicht die Taktik. Mario Kogler hatte noch keine Zeit, um die taktische Schablone auszupacken. Es gibt auch keine hochkomplizierten hockeytechnischen Erklärungen. Die Erklärung ist nämlich ganz einfach: ein Spiel zwischen zwei nominell ungefähr gleich starken Teams wird durch «weiche» Faktoren entschieden. Also durch die Emotionen, die Leidenschaft, den Willen, das Engagement, den Biss, den Mut.
Im leeren Stadion war gut zu hören, wie das Leben auf die SCB-Bank zurückgekehrt ist. Endlich ging es dort wieder laut und lustvoll zu und her. Um es wiederum ein wenig polemisch zu sagen. Aus den tristen Pflichtübungen unter dem ungeliebten, grantigen 61-jährigen Don Nachbaur ist ein fröhlicher österreichischer «Hockeystadl» geworden (in Anlehnung an Karl Moiks Musikantenstadl).
Das ist keineswegs despektierlich gemeint. Da seien die Hockeygötter davor! Vielmehr anerkennend: die gute Laune, die der fröhliche neue, erst 33-jährige österreichische Cheftrainer in die Mannschaft zurückgebracht hat, war der Schlüssel zum Sieg. Sie hat so etwas wie eine Blockade gelöst: seit Wochen wussten alle, dass Don Nachbaur der grosse, ja groteske Irrtum der sportlichen Führung ist. Aber niemand wagte es Marc Lüthi zu sagen und alle haben gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Wie jemand, der in Gottes Namen halt in einer unglücklichen Beziehung auszuharren hat. Und wenn in nützlicher Frist auch noch die anderen Irrtümer in der Sportabteilung – es gibt halt schon noch welche – korrigiert werden, kann der SCB sportlich genesen und mittelfristig wieder ein Spitzenteam werden.
Wir haben weder spielerisch noch taktisch einen grossen SCB gesehen. Aber einen SCB, der seine DNA – Leidenschaft, Mut, Biss – wiedergefunden hat. Ob es heute Abend beim «Rückspiel» in Bern erneut zum Sieg reicht, ist nicht sicher. Gewiss ist nur, dass die Berner erneut rocken werden. Vielleicht siegreich. Vielleicht auch nicht. Aber im Falle eines Falles werden sie ruhmreich untergehen.
Und so wie jeder Musikantenstadl einen Star hatte, so treten in einem «Hockeystadl» – pardon: Hockeyspiel – einer oder mehrere Helden auf.
Beispielsweise Simon Sterchi (26), letzte Saison in Langenthal. Sein Grossvater Max war in den 1970er Jahren als TK-Chef (so hiessen damals die Sportdirektoren) der Architekt mehrere SCB-Meisterteams. Sein Vater Christoph brachte es zwar nur auf ein paar Einsätze beim SCB. Aber er ist ein hoch angesehener, kompetenter Sportreporter beim staatstragenden Fernsehen und Radio.
Die Sportführung hat Simon Sterchi noch vor der Saison nach Visp verbannt. Von dort ist er gestern vom neuen Cheftrainer erlöst worden. Und siehe da: er bekommt zwar nur eine Nebenrolle mit 8 Minuten und 10 Sekunden Eiszeit. Aber so wie jeder Mensch gemäss Andy Warhol das Recht auf eine Viertelstunde Berühmtheit, so hat auch Simon Sterchi seinen grossen Auftritt in dieser Partie: er kehrt von der Strafbank zurück, bekommt die Scheibe und versenkt sie zum 1:0 gegen den starken Luca Hollenstein (19.). Das Tor, das die Berner in die siegreiche Verlängerung bringen wird.
Torhüter Philip Wüthrich (22) ist der zweite Held. Auch er letzte Saison in Langenthal, auch er bisher wenig geschätzt und nur in vier von zwölf Partien eingesetzt. Gestern hat Philip Wüthrich bewiesen, dass er längst das Zeug dazu hat, die Nummer 1 beim SCB zu sein. Um das endlich zu erkennen, musste in Bern allerdings erst ein österreichischer Juniorentrainer zum Chef ernannt werden. Auch deshalb – und nochmals betont: im positiven Sinne – trifft die Bezeichnung «Hockeystadl» die Stimmung gut. Mit Mario Kogler als «Hansi Hinterseer des bernischen Hockeys».
Er und seine Mannschaft liessen sich auch nicht mehr aus dem Takt bringen, als die Zuger im Schlussdrittel (16:5 Torschüsse) endlich Musik machten und doch noch den Ausgleich schafften (43.). 46 Sekunden vor Schluss der Verlängerung trifft Ted Brithén zum 2:1.
Zug war gestern und ist auch heute Abend der perfekte Gegner für den SCB. Die Berner hatten und haben erneut nichts zu verlieren. Aber alles zu gewinnen. Und die Spielweise der Zuger kam ihnen entgegen: sie versuchten mit spielerischen Mitteln, mit lockerem «diaz'schem Designerhockey» den Sieg bequem herauszuspielen und tatsächlich stand Captain Raphael Diaz bei beiden Gegentreffern auf dem Eis. Heute Abend werden die Zuger anders auftreten.
Die grosse Frage ist: wie weit trägt die gute Stimmung die Berner? Das ist nun die grosse Herausforderung für Mario Kogler: aus den Emotionen ein solides Fundament bauen. Gut, hat er mit Mark Streit einen wahren Hockey-Titanen als Berater.
Egal wie gut der Trainer ist. Wenn sämtliche früheren Kommentare betr. "Zentit überschritten", "Verjüngung zu spät" etc. zutreffen, dann ist dann auch einmal Schluss mit lustig. Da müssen danne in paar harte Dinge durchgezogen werden. Will man denn den Neuaufbau vorantreiben. Sicher aber ist der neue Trainer geeigneter dafür. Sein Rucksack scheint gut gefüllt zu sein und das Alter ist tip top. Jetzt muss nur noch die Vereinsführung Mut zum Risiko und Geduld haben. Das meine Ferndiagnose aus Zürich.
Vom EVZ erwarte ich heute eine deutlich konzentriertere Leistung als Gestern. Ja es fehlen Spieler und es gab eine lange Pause. Von Profis darf man erwarten dass immer professionell zur Sache gehen. Der SCB war gestern nicht unschlagbar.