Zug ist rein hockey-theoretisch besser. Das Spiel strukturierter. Die Angriffsauslösungen sind präziser. Schönes, modernes, schnelles, formidables Designer-Hockey. 3:0 bis zur 37. Minute. Klare Sache.
Gegen jeden anderen Gegner hätten die cleveren Zuger den Vorsprung schlau verwaltet und die Partie souverän gewonnen. Wie zuvor am 12. Januar, als sie in Bern dem SCB mit einem 3:0 die Tabellenführung entrissen hatten.
Aber am Ende bebt das Hallenstadion. Mit einem Tor in Unterzahl (!) gleicht Chris Baltisberger aus (57. Minute) und in der Verlängerung trifft Pius Suter zum 4:3.
Es passt ins Bild, dass ein Foul von Pius Suter an Torhüter Sandro Aeschlimann dem Siegestreffer vorausgeht. Die Zürcher haben ihren Gegner mit einer leidenschaftlichen Willensleistung im besten Wortsinn überrannt. Im Schlussdrittel erreichen sie ein Torschussverhältnis von 18:6.
Zum ersten Mal haben die ZSC Lions gegen Zug wahres «Arno-Hockey» zelebriert. Es ist die Geburtsstunde des neuen ZSC.
Was ist wahres «Arno-Hockey»? Es ist die Vereinfachung des Eishockeys. Das Spiel läuft nur noch Nord-Süd und nicht mehr Ost-West. Alle Energien werden entfacht und in möglichst direktem Spiel aufs gegnerische Tor zentriert. Die Angriffe werden so schnell wie möglich ausgelöst. Eishockey, so einfach strukturiert und schnörkellos wie die Musik der britischen Rockband Status Quo.
So ein Spiel lernt keine Mannschaft der Welt auf Knopfdruck. Der Mensch neigt dazu, den Weg des geringeren Widerstandes zu gehen, der Eishockey-Mensch (vor allem der talentierte) zieht oft den Pass oder den eleganten Bogen nach aussen dem schmerzhaften direkten Weg nach innen aufs Netz vor.
«Ich brauche noch viel Zeit», sagt Arno Del Curto nach dem Spiel. «Drei oder vier Wochen mindestens.» Was zur Bemerkung führt, dann bleibe ja genug Zeit bis zum Start der Playoffs. Er lässt sich nicht provozieren: «Wir werden sehen.»
7 Minuten und 45 Sekunden vor Schluss nimmt Arno Del Curto beim Stand von 1:3 sein Time-out. Eine Kunstpause von exakt 30 Sekunden, die es dem Coach ermöglicht, seine Jungs an der Bande um sich zu scharen und ihnen eine Botschaft zu übermitteln.
Dieses Time-out ist die Initialzündung für die Wende. Die Frage geht an Arno Del Curto: Was hat er zu seinen Spielern gesagt? «Wir haben in der zweiten Pause davon gesprochen, dass die Halle beben muss. Ich habe bloss gesagt: ‹Wenn wir das Spiel noch holen wollen, dann müssen wir jetzt, ab sofort, all das machen, was wir uns vorgenommen haben und direkter aufs Tor gehen.›»
Die ZSC Lions sind also nicht «uncoachbar». Sie waren es auch in den letzten Jahren nicht. Sonst wären sie nicht 2012, 2014 und 2018 unter drei verschiedenen Coaches Meister geworden.
Aber sie brauchen einen charismatischen Chef, der sie antreibt, die Linie vorgibt, Emotionen weckt. Arno Del Curto sagte gestern auch: «Diese Mannschaft ist willig. Ich habe zu den Spielern gesagt, dass ich gerne hier bin.»
Im vierten Spiel unter dem neuen Trainer sind die ZSC Lions zum ersten Mal (fast) so aufgetreten, wie es der Trainer will. Zumindest ansatzweise mutig, bissig, stürmisch, schnörkellos. Noch wirkt ihr Spiel wie eine Hockey-Antwort auf «Kick and Rush» im Fussball. Zu viel Hektik, zu wenig Präzision, zu wild, zu ungestüm. Aber der «Rohstoff», aus dem Arno Del Curto ein meisterliches Team formen kann, ist vorhanden.
0:1 in Langnau, 24 Stunden später im Hallenstadion ein 4:1 (nach 0:1-Rückstand gegen den gleichen Gegner), anschliessend 2:7 in Fribourg und nun ein 4:3 n. V. nach 0:3-Rückstand gegen den Tabellenführer: Die ZSC Lions sind noch lange nicht gefestigt. Sie befinden sich für den Rest der Qualifikation auf einer Gratwanderung zwischen Spektakel und Blamage. Sie bleiben anfällig auf «Abstürze». Sie sind aber auch dazu in der Lage, jede Partie noch zu «drehen» und zu gewinnen. Und sie werden die Playoffs erreichen.
Wenn die Zürcher ihr Spiel in der eigenen Zone besser organisieren, wenn sie die Angriffe weniger hektisch und dafür präziser auslösen, dann werden die Stürmer dazu in der Lage sein, in hohem Tempo in die gegnerische Defensivzone zu fahren und jede Abwehr «aufzureissen». Dann können sie auch durch den SCB nicht mehr aufgehalten werden.
Der Trainerwechsel zeigt also Wirkung. Unter Arno Del Curtos Vorgänger Serge Aubin hatten die ZSC Lions Eishockey gearbeitet und defensiv verwaltet. Keine Lust am Spiel. Kein Mut zum Risiko. Keine Leidenschaft. Pflicht statt Kür. Der Höhepunkt war das 1:0 gegen die Lakers mit 22:17 Torschüssen und bloss 5 im Schlussdrittel. Gestern waren es gegen Zug 45:30 Torschüsse und 18 im letzten Abschnitt.
Nun erwartet Arno Del Curto heute Abend eine Steigerung in Ambri. «Wenn wir es schaffen, gleich noch eine Schippe draufzulegen, dann sind wir schon einen Schritt weiter.» Aber Ambri zelebriert an einem guten Abend auch «Arno-Hockey».