Eigentlich schien die Lösung einfach. Die WM 2020 kann in Zürich und Lausanne wegen der Virus-Krise nicht durchgeführt werden. Also wird sie um ein Jahr in den Mai 2021 verschoben – und alle bereits vergebenen WM-Turniere rutschen einfach nach hinten: Riga und Minsk von 2021 auf 2022, Finnland von 2022 auf 2023, St.Petersburg von 2023 auf 2024, Tschechien von 2024 auf 2025 und schliesslich die Dänemark/Schweden von 2025 auf 2026. Alles klar, oder?
Ach, wäre es doch so einfach. Das letzte Wort bei WM-Vergaben hat der Kongress – also die Vollversammlung der 81 Mitgliederländer des Internationalen Eishockeyverbandes IIHF. Aber inzwischen wird klar: Die Organisatoren müssen bald wissen, woran sie sind. Niemand weiss, ob und wann dieser Kongress – geplant im Rahmen der WM – angesichts der Virus-Krise überhaupt stattfinden kann. Der Entscheid wird voraussichtlich im «Notrecht» das Council, das 13-köpfige IIHF-Führungsgremium, übernehmen. IIHF-Präsident René Fasel sagt: «In der zweiten Hälfte Mai wird es eine Entscheidung geben.» Also ungefähr zum gleichen Zeitpunkt, an dem die WM zu Ende gegangen wäre (24. Mai).
Eine Verschiebung der WM um ein Jahr schien in den Tagen nach der Absage der WM 2020 politisch machbar. Aber inzwischen ist die Auslegeordnung gemacht und es zeigt sich: Diese Verschiebung ist mit hohen Kosten verbunden. Erst recht, wenn die reiche Schweiz eine Verschiebung wünscht. Konkret: Die Organisatoren, die ihr Turnier um ein Jahr nach hinten verlegen müssten, wollen für ihren zusätzlichen Aufwand entschädigt sein. Schliesslich laufen ja dann die Kosten für die WM-Vorbereitung ein Jahr länger. Ein politischer Prozess, bei dem es um viel Geld geht und an dem acht Länder (Schweiz, Weissrussland, Lettland, Finnland, Tschechien, Russland, Schweden, Dänemark) beteiligt sind, ist nicht einfach.
Die Frage ist nun: Kommt die Versicherung der Schweizer WM-Organisatoren auch für diese erheblichen Verschiebungs-Zusatzkosten auf? Diese heikle Frage ist Gegenstand von laufenden Verhandlungen. Und inzwischen melden auf höchster Ebene tätige Gewährsleute ein weiteres Problem: Die Arena in Lausanne hätte im Mai 2020 praktisch gratis benützt werden können. Nächstes Jahr werde sie kosten. Wie viel, sei noch unklar.
Ob beziehungsweise welche Beiträge der Austragungsort Lausanne aus der Bundes- und anderen öffentlichen Kassen im Falle einer Verschiebung erhält, sei ebenfalls offen. Es gebe offensichtlich keine klaren Absprachen. Eine bereits angedachte Verschiebung nach Fribourg habe man wegen fehlender Hotelkapazitäten bereits wieder verworfen. Solche Unklarheiten sind halt der Preis für den Charme der welschen Unvollkommenheit im Lausanner WM-OK.
Was die Pläne für eine Verschiebung um ein Jahr erschwert: Niemand weiss, wie die Welt im nächsten Jahr aussehen und welche wirtschaftlichen Folgen die Virus-Krise haben wird. Sind die Firmen, die jetzt das 50-Millionen-Budget der WM als Sponsoren oder Werbepartner mitfinanzieren, im nächsten Jahr überhaupt noch dazu in der Lage, sich im gleichen Rahmen zu engagieren? Die Finanzplanung für eine WM 2021 wird schwierig.
IIHF-Präsident René Fasel fasst die Situation diplomatisch in einem Satz zusammen: «Eine Verschiebung der WM um ein Jahr ist mit Kosten verbunden. Sie ist nicht gratis zu haben.» Die Organisation einer WM 2021 in der Schweiz ist mit neuen, zusätzlichen finanziellen Risiken verbunden. Es wird sich kein Versicherungs-Unternehmen mehr finden lassen, das die WM noch einmal bei gleichen Prämien gegen die Folgen einer Absage versichert. Es geht dabei um eine Versicherungssumme von rund 60 Millionen Franken. Aber kann auf eine Versicherung verzichtet werden? Es kann ja nicht einmal ausgeschlossen werden, dass auch in einem Jahr eine WM wieder abgesagt werden muss.
Noch nicht einmal das Datum kann neu fixiert werden: Nach wie vor ist offen, ob die NHL die vorerst gestoppte Saison doch noch in irgendeiner Form zu Ende bringen und bis im August spielen wird. Dann würde die neue Saison erst im November beginnen und im Frühjahr 2021 so spät fertig sein, dass nur wenige oder gar keine NHL-Profis an der WM teilnehmen können – oder die WM müsste um zwei bis drei Wochen in den Sommer hinein geschoben werden.
Nun versteift sich auch noch der politische Widerstand. Schweden und Dänemark führen die WM gemeinsam 2025 durch. Beide Länder sträuben sich gegen eine Verschiebung um ein Jahr in den Mai 2026. Fussball ist in Dänemark und Schweden enorm populär. 2026 gibt es nebst einem olympischen Eishockey-Turnier auch noch eine Fussball-WM. Eine WM steht in Konkurrenz zu Olympia und Fussball.
Inzwischen arbeiten die Hockey-Diplomaten noch unter grösster Geheimhaltung an einer vielversprechenden Kompromisslösung: die Eishockey WM 2023 in Zürich und Lausanne. Warum? Die WM-Turniere 2021, 2022, 2023, 2024 und 2025 sind zwar vergeben. Aber konkrete Verträge gibt es erst für die WM 2021 in Lettland und Weissrussland und für die WM 2022 in Finnland. Also wird die WM 2021 und 2022 wie geplant in Riga und Minsk beziehungsweise in Finnland gespielt und die restlichen drei Titelkämpfe werden um ein Jahr nach hinten geschoben, damit die Schweiz 2023 die WM austragen kann. Allerdings muss noch die politische Opposition aus Schweden und Dänemark besänftigt werden.
Diese Lösung hätte den Vorteil, dass sie viel weniger kostet. Nur die WM-Ausrichter von 2023, 2024 und 2025 müssten entschädigt werden, die zurzeit noch wenig Vorarbeiten geleistet haben. Und die globalen Unsicherheiten und finanziellen Risiken sind wahrscheinlich 2023 nicht mehr so gross wie 2021 – so Gott will. Und bei einer WM 2023 hätten die Organisatoren auch mehr Zeit, die Unklarheiten mit dem zweiten Austragungsort Lausanne zu regeln.
Verbands-Präsident Michael Rindlisbacher sagt auf die Frage, wie hoch er die Chance auf eine WM 2021 in der Schweiz einschätze: «Das ist im Moment schwierig zu sagen. Wir befinden uns im stetigen Austausch mit dem internationalen Verband, dem WM-OK und all unseren Partnern. Dabei werden die verschiedenen Möglichkeiten und Szenarien diskutiert. Es gibt noch einige Abklärungen zu treffen, was viel Zeit in Anspruch nimmt. Die Situation ist für alle neu und sehr herausfordernd, es gibt viele verschiedene Faktoren und Bedürfnisse, die es zu berücksichtigen gilt. Ich wünsche mir, dass die Schweiz die Weltmeisterschaft durchführen kann, spätestens bis im Jahr 2023. Allein die Entscheidung liegt nicht bei uns.»
Eine WM 2023 in Zürich und Lausanne ist eine realistische Variante. Kann sie nicht verwirklicht werden, dann würde die nächste Eishockey-WM erst 2026 in der Schweiz stattfinden. Bis 2025 sind alle WM-Turniere vergeben und die Schweiz wird, wenn sie denn will, den Zuschlag für 2026 mit ziemlicher Sicherheit bekommen.
Die Versicherung bezahlt die aufgelaufenen Kosten für die WM 2020, finanziell kommen die Organisatoren (unser Verband und die Vermarktungsagentur Infront) und die Zuschauerinnen und Zuschauer so oder so praktisch ungeschoren davon. Die 300'000 Tickets, die bereits verkauft worden sind, werden nach Abzug einer Verarbeitungsgebühr zurückerstattet.
Aber es wäre ja schade, wenn es rund um die Pläne einer Eishockey-WM in unserem Land am Ende heissen würde: ausser Spesen nichts gewesen.
2021 wird es sicher noch Nachwehen wegen den Verschiebungen der Coronakrise haben. Und 2022 sind Olympische Winterspiele.